Berliner Herbstsalon im Gorki Theater: Serbisches Sieger-Narrativ

Das Gastspiel „Cement Beograd“ mischt sich mehrsprachig ein. Es war im Rahmen von „Lost – you go slavia“ am Maxim Gorki Theater zu sehen.

Ein altes Ehepaar sitzt umschlungen auf einer braunen Couch, davor ein ebenfalls brauner Couchtisch

Milena Zupančič und Miodrag Kristović spielen ein altes Ehepaar, das seine Tochter verloren hat Foto: Dragana Udovičić

„Maschina ubie faschistow“ hallt es durch das Berliner Maxim Gorki Theater. Sechs SchauspielerInnen vom Belgrader Dramatheater stehen an der Bühnenrampe, schauen angriffslustig in den Zuschauersaal und werfen immer wieder neu ihre Erzählung vom Auto, das die Faschisten, also die deutschen Besatzer im 2. Weltkrieg, vernichtete, gegen die Zuschauer. „Das ist unser Feminismus“, konstatiert eine Schauspielerin.

Als in Agitprop-Manier immer mehr Schlagwörter mit dem Bild von dem NS-Besatzer-vernichtenden Auto verbunden werden, wird klar, dass das Sieger-Narrativ bis heute in Serbien eine konstituierende Rolle spielt. Ein starker Einstieg in „Cement Beograd“. Heiner Müllers Theaterstück „Zement“ über die politischen Umbrüche in der jungen UdSSR – verhandelt vor der Folie einer Liebesbeziehung – stand hier Pate.

Dramaturg Milan Ramšak Marković verlegt die Handlung ins heutige Belgrad. Und Regisseur Sebastian Horvat lässt die durchwegs jungen SchauspielerInnen einen Großteil der Inszenierung auf der fast leeren Bühne zu Techno-Musik kontrolliert abtanzen. Der peitschende Rhythmus wird mit nationalistischen Schlagworten gefüttert, die auch mal in Endlosschleife laufen. Die SchauspielerInnen agieren zur Musik wie Roboter-Marionetten.

Die Verknüpfung dieser beiden Ebenen mit kurzen Videos von Gewaltszenen im öffentlichen Raum ist extrem beklemmend. Das ergibt ein starkes Gesamtbild mit einer klaren politischen Positionierung. Während die Techno-Bässe die Zeit scheinbar nach vorne drücken, scheint die Zeit danach stillzustehen in einem kammerspielartigen Szenario einer alten Belgrader Wohnung.

Abgründe im postsozialistischen Serbien

Milena Zupančič und Miodrag Kristović, beide selbst schon über siebzig, spielen ein altes Ehepaar, das durch Covid gerade seine Tochter verloren hat. In der nur scheinbar belanglosen Unterhaltung werden immer wieder Abgründe im postsozialistischen Serbien gestreift: unter anderem die viel zu geringe Rentenzahlungen und der Verlust von Grundbesitz durch die Aufteilung Jugoslawiens in Einzelstaaten. Was aber hier möglicherweise noch wichtiger ist als die inhaltliche Ebene ist das Spiel von Zupančič und Kristović.

Ihr Spiel ist so fein, so nuanciert, dass es eine Freude ist zuzusehen. Gleichzeitig transportiert es viel Information über die Befindlichkeit dieser Generation dort. „Cement Beograd“ ist Teil einer Gastspielreihe, die Intendantin Shermin Langhoff und der künstlerische Leiter Oliver Frljić im Rahmen des 6. Berliner Herbstsalons „Lost – you go slavia“ am Maxim Gorki Theater kuratiert haben. Mitte Oktober war dort auch „All adventurous women do“ vom Belgrader „Theater Atelje 112“ zu sehen.

Als Gorki-sozialisierte Zuschauerin fühlte man sich stark an die Sibylle-Berg-Frauen-Selbstanalyse-Stücke erinnert, tauchte jetzt aber in den Seelenhaushalt und die Kollektiv-Schwangerschaft (realer Fall 2014 in Bosnien und Herzegowina) von Jugendlichen auf dem Balkan ein, die sich selbst empowern, da sie nur sich haben und sonst niemanden. Vielsprachigkeit wird in beiden Belgrader Theatern auf der Bühne gelebt, so scheint es, denn beide Inszenierungen finden dreisprachig statt: bosnisch, kroatisch und serbisch.

Das spiegelt eine mehrsprachige Realität wider und ist bestimmt in der gegenwärtigen politischen Gemengelage in Serbien und seinen Nachbarstaaten ein wichtiges Statement. Man bekommt den Eindruck, dass Theatermachen dort als aktive Einmischung in den gesellschaftlichen Diskurs verstanden wird. Der in Zentralbosnien geborene Regisseur Oliver Frljić hat sich selbst an die „Exhumierung des Leichnams der jugoslawischen Kultur“ gemacht und sich auch nach Berlin eingeladen. Seine in Ljubliana entwickelte „Mass for Yougoslavia“ kommt ganz ohne Worte aus, braucht dafür aber Lieder in zehn Sprachen.

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