Berliner Hochschulgesetz: Entfristungsregel auf der Kippe

Der neue Senat blockiert eine vorgesehene Regelung, nach der wissenschaftliche Mitarbeitende an Berliner Hochschulen entfristet werden müssen.

Menschen sitzen an Arbeitsplätzen in der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität

Die Bibliothek: für viele wissenschaftlich Beschäftigte heute ein Ort zum Forschen und Verzweifeln Foto: picture alliance / dpa | Christophe Gateau

BERLIN taz | Das Urteil von Jana Seppelt, Verdi-Landesfachbereichsleiterin Bildung und Wissenschaft, nach der Sitzung des Wissenschaftsausschusses am Montag war deutlich: „Die neue Koalition lässt sich von der LKRP (Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen; Anm. d. Red.) an der Nase durch die Manege ziehen.“ Für Seppelt hatte sich dies schon im Koalitionsvertrag abgezeichnet. Vor der Ausschusssitzung hatte sie gemeinsam mit Ver­tre­te­r*in­nen der Bildungsgewerkschaft GEW und Beschäftigten der Berliner Hochschulen protestiert, ehe sie diesem später als Zuhörerin beiwohnte.

Das Thema der Sitzung war die im neuen Koalitionsvertrag vorgesehene Aussetzung des Paragraf 110, Absatz 6 des Berliner Hochschulgesetzes bis April 2025. Der sollte eigentlich die prekären Beschäftigungsbedingungen des sogenannten Mittelbaus verbessern – das war zumindest das Anliegen des rot-rot-grünen Senats, als er das Gesetz 2021 beschloss. Der Mittelbau umfasst alle bereits promovierten wissenschaftlichen Beschäftigten der Hochschulen, die noch keine Professur innehaben.

Als einzige Berufsgruppe in Deutschland dürfen sie aufgrund des bundesweiten Wissenschaftszeitvertragsgesetztes (WissZeitVG) von den Hochschulen immer wieder befristet angestellt werden, ohne Perspektive auf Entfristung, außer im Rahmen einer sehr unwahrscheinlichen Professur. Und schlimmer noch: Wer keine Professur erreicht, wird nach sechs Jahren mit einem bundesweiten Berufsverbot belegt und muss sich entweder beruflich neu orientieren oder ins Ausland gehen. Der neue Paragraf 110 sollte regeln, dass Hochschulen ab Oktober dieses Jahres Perspektiven auf Dauerstellen für ihre promovierten wissenschaftlichen Mit­ar­bei­te­r*in­nen schaffen.

Die Gesetzesänderung sollte bundesweit Vorbildfunktion haben, wird nun jedoch vom schwarz-roten Senat ausgebremst. Die öffentliche Anhörung, die überhaupt erst auf Drängen von Linken und Grünen zustande kam, habe gezeigt, dass die guten Argumente gegen diese Aussetzung kein Gehör fanden, so Seppelt. „Der neue Senat hat sich voll auf die Strategie der Hochschulen eingelassen, die diese weitreichende Veränderung aussitzen möchten“, so Seppelt.

Deren Argumente, die Veränderungen stünden rechtlich nicht auf sicherem Boden und seien schwer umsetzbar, seien fadenscheinig. Eine verfassungsrechtliche Prüfung stünde noch aus und einige Hochschulen, wie die Humboldt-Universität, die die Veränderungen mittlerweile mittragen, haben schon vor Monaten konkrete Umsetzungspläne vorgelegt.

Problem für Hochschulstandort

Ähnlicher Meinung ist auch Isabel Bredenbröker, wissenschaftliche Mit­ar­bei­te­r*in an der Humboldt-Universität und organisiert im Netzwerk Fair Academia, dass sich gegen prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft stark macht. Bredenbrökers Fazit zur Ausschusssitzung: „Die Belange und Probleme der Beschäftigten ohne Dauerstellen wurden gut dargestellt.“ Jedoch sei es „betrüblich und wenig hilfreich“, dass die Umsetzung dieser wichtigen Innovation jetzt wieder verschoben wird. „Wir hängen jetzt alle im nichts. Ich bin jetzt 37. Ich möchte wissen, wie es mal weiter geht.“

Das sei auch ein Problem für den Innovationsstandort Berlin. „Je älter man wird, desto weniger Lust hat man auf so eine Limbo-Situation“, sagt Bredenbröker und erklärt, dass sie sich, wie viele andere auch, im Ausland umsehe. Diese Hängepartie gehe auch auf Kosten guter Forschung. Bredenbröker verbringe etwa die Hälfte der Zeit, die eigentlich für Forschung und Lehre gedacht ist, mit Zukunftsplanungen. „Ich schreibe etwa drei Bewerbungen pro Monat, dazu kommen Bewerbungsgespräche und langwierige Anträge für Drittmittel.“ Der Wissenschaftsbetrieb in Berlin sei, weil es tausenden so ginge, „extrem ineffizient.“

Eine Lösung dieser Probleme rückt nun erst mal in weite Ferne. Zwar hat sich der neue Senat vorgenommen, sich mit dem von der HU vorgeschlagenen Lösungskonzept und anderen rechtlichen Hürden zur Entfristung der wissenschaftlichen Beschäftigten auseinanderzusetzen. Allerdings ist der zeitliche Rahmen so weit gefasst, dass viele aktuell Betroffene sich nach beruflichen Alternativen umsehen müssen.

Für Gewerkschafterin Seppelt ist klar, dass hier eine Chance „auf weitreichende systemische Veränderungen verstellt wurde und das besonders auf Kosten der Beschäftigten“. Aus ihrer Sicht ein „Armutszeugnis für die schwarz-rote Koalition“.

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