Berlins Queerbeauftragter über Pride: „Schutzschild der Community“

Queerbeauftragter Alfonso Pantisano will allen Teilen der Community Raum verschaffen. Gegen den gesellschaftlichen Rollback setzt er auf Sichtbarkeit.

Ein Porträt in Großaufnahme von Alfonso Pantisano, der seit Juli 2023 der erste Berliner Beauftragter für die Rechte queerer Menschen ist

Alfonso Pantisano ist seit Juli 2023 der erste Berliner Beauftragter für die Rechte queerer Menschen Foto: Political Moments/imago

taz: Herr Pantisano, Sie sind der Queerbeauftragte des Senats – was ist Ihre Aufgabe?

Alfonso Pantisano: Der Senat hat mich beauftragt, mich um queere Themen in unserer Regenbogenhauptstadt zu kümmern. Es gibt sehr viel zu tun. Wir haben auch viele Gruppen innerhalb des Regenbogens, die noch nicht sichtbar genug sind. Meine Aufgabe ist es, für all diese Gemeinschaften ein Sprachrohr in den Senat zu sein, gleichzeitig aber auch zurück in die Communitys zu kommunizieren. Weil ich aber natürlich nicht für alle sprechen kann, weil ich nicht Teil aller Communitys bin, versuche ich ihnen die Zugänge zu beschaffen, die ihnen zustehen und bisher noch nicht berücksichtigt worden sind.

Wie halten Sie Kontakt zu den Teilen der Community, die Sie selbst nicht repräsentieren?

Ich versuche aktuell einen starken Fokus auf die queeren BIPOC-Communitys zu legen, weil es da großen Nachholbedarf gibt. Ich kann verstehen, dass beispielsweise die Schwarze Community teilweise zu Recht sagt, dass sie mit vielen anderen queeren Gruppen eigentlich nichts zu tun haben will. Wir haben uns lange elitär verhalten und sie eher ausgeschlossen als eingebunden. Diese Wiedergutmachung ist jetzt keine leichte Aufgabe, weil es auch mit viel Vertrauensaufbau zu tun hat. Deshalb habe ich so manche Formate entwickelt, über die ich versuche, genau dieses Vertrauen entstehen zu lassen – in der Hoffnung, dass es einmal besser funktioniert als davor.

49, wurde im Juli 2023 erster Beauftragter für die Rechte queerer Menschen, zuvor Mitglied im Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverbandes, Referent der Innensenatorin Iris Spranger und persönlicher Referent der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken.

Was für Formate denn?

Ein schönes Format ist, dass ich Ver­tre­te­r*in­nen verschiedener Communitys außerhalb meiner Dienstzeit zu mir nach Hause einlade und für sie koche. Wenn sich Menschen privat treffen, entsteht ein ganz neuer vertrauensvoller Raum, in dem man Dinge ansprechen kann, also Themen, die man vielleicht innerhalb einer Senatsverwaltung vielleicht nicht sagen würde. Auf der Couch oder am Tisch bei mir zu Hause schwindet die Zurückhaltung und es macht sich mehr Offenheit breit. Die Community in all ihrer Vielfalt zu repräsentieren, bleibt dennoch eine Herausforderung. Allein schon deswegen, weil ich nicht trans*, sondern ein schwuler Mann bin. Weil ich, auch wenn ich nicht immer weiß gelesen werde, weiß bin.

Bräuchte es dann nicht eigentlich mehrere Queerbeauftragte? Um die Community eben in ihrer Gänze zu repräsentieren?

Was ich dazu nur sagen kann: Ich stelle mich jeden Tag der Herausforderung und auch der vielen Arbeit, die ich sehr gerne mache. Ich will den Auftrag, den ich vom Senat erhalten habe, so gut erfüllen, wie es in meiner Macht steht. So bin ich immer ansprechbar, auf allen Kanälen. Ich bin zum Beispiel aktuell über Instagram mit einem jungen Iraner in Kontakt, der in Berlin lebt und hier Anfang 2023 schwerst verletzt wurde. Auch um ihn will ich mich kümmern. So treffen wir uns auch mal sonntags im Café, also außerhalb der Räumlichkeiten der Senatsverwaltung, weil er Ämter und Behörden meidet …

Wir hatten vor, Sie zu fragen, wie konkret Ihre Arbeit werden kann – das Beispiel hört sich sehr konkret an.

Ich kann mich leider nicht um alle Anliegen, die mir zugetragen werden, kümmern. Es gibt eben Dinge, für die ich zuständig bin, und andere, wo das nicht so ist. Das deckt weder mein Aufgabenbereich ab, noch kann ich manchmal tatsächlich helfen. Was ich aber immer anbiete, ist mein offenes Ohr. Wenn ich der Meinung bin, dass dieses offene Ohr mir dann im Nachgang sagt, dass ich da eigentlich genauer hinschauen muss, jemanden an die Hand nehmen oder eine Person einfach mal umarmen muss, dann mache ich das.

Ein anderes Beispiel?

Neben all den zwischenmenschlichen Begegnungen arbeite ich aber an ganz konkreten Themen wie der Etablierung eines Runden Tischen gegen Queerfeindlichkeit, aus dem die Landesstrategie für queere Sicherheit entstehen wird. Die Planung des ersten landesweiten Magnus Hirschfeld Tages, den Berlin am 14. Mai 2024 begehen wird, macht mir große Freude und jetzt wo der Haushalt verabschiedet wurde, will ich die Zuwendungsmittel für die Außenbezirke weise einsetzen.

Haben Sie ein Budget, über welches Sie frei verfügen können?

Ich werde in Zukunft fachlich eigenverantwortlich Zuwendungsmittel für das Land Berlin verantworten. Um es kurz zu machen: Ja, ich habe ein Budget, welches ich als Ansprechperson Queeres Berlin (so der offizielle Titel des Queerbeauftragten – Anm. d. Red.) verwalten darf. Wir werden viel Geld in die Außenbezirke investieren, aber wir haben auch wieder einen Fonds für den Pride Sommer vorgesehen. Wenn jetzt also beispielsweise queere Projekte für die Pride-Saison schöne und sinnvolle Ideen auf die Beine stellen wollen, dürfen sie sich mit einem Antrag an mich wenden und wir prüfen eine finanzielle Unterstützung des Vorhabens.

Steckt der Senat genug Ressourcen in queere Projekte?

Berlin will in den kommenden Jahren für queere Anliegen viel Geld zur Verfügung stellen. Das Parlament konnte geplante Kürzungen, gerade im Bildungsbereich, abwenden. Auch 2021 mussten sich queere Bildungsträger um einschneidende Kürzungen sorgen. Das Drama hatte also nichts mit der aktuellen Landesregierung zu tun. Es ist die grundsätzliche Frage, wie wichtig alle politischen Koalitionen queere Bildung nehmen. Da dürfen wir in den kommenden Haushaltsplanungen besser werden, denn ohne Bildung gibt es keine echte Prävention und folglich kann kein Verständnis und vor allem kein Respekt entstehen.

Sind Sie für den Senat ein Aushängeschild?

Ich sehe mich nicht als Aushängeschild. Ich sehe mich als Schutzschild der Community.

Wie sehen Sie die Lage der Berliner CSDs? Es gibt ja mehrere. Den großen CSD, der vielen Ber­li­ne­r:in­nen zu kommerziell ist, und viele kleine CSDs wie zum Beispiel die Marzahn Pride. Ist das nicht eher von Nachteil, weil wir an Schlagkraft verlieren? Oder brauchen wir die vielen Pride-Paraden?

Die queere Community sieht sich in Berlin vor ganz viele Probleme gestellt. Wir haben es mit Ausgrenzung und alltäglicher Gewalt zu tun, deren Ausmaße beängstigend sind. Wir haben es mit Diskriminierung im Gesundheitsbereich zu tun, wo die Rechte von Trans* Menschen auf übelste Weise missachtet und verachtet werden. In all dem dramatischen Befund haben es BIPOC-trans*Menschen noch mal schwerer als weiße Trans* Menschen, Wir haben es mit der Verdrängung der queeren Community aus der Stadt in die Außenbezirke zu tun, wo aktuell kaum Angebote für sie vorhanden sind. Auch dadurch treiben wir die Leute in Einsamkeit, die wir dringend ernst nehmen müssen.

Ist Einsamkeit ein großes Problem?

Wir haben ganz viele Sorgen, über die wir nicht laut genug reden. Einsamkeit ist so ein Thema. Ich kenne junge Menschen, die in ihrem Leben noch nie Sex hatten, ohne dabei Chems und andere Substanzen zu nehmen. Oder schauen wir auf queere Senior*innen: Sie brauchen mehr Einbindung und vor allem eine bessere Versorgung mit tollen Angeboten vor Ort, die barrierefrei und gemeinschaftsstiftend sind. Erlauben Sie mir aber bitte, dass ich noch mal auf die CSDs zurückkomme.

Ja, gerne.

Allein wenn wir uns die verschiedensten Formen der Diskriminierung und Gewalt anschauen, da wird schnell klar, dass beispielsweise die Community in Marzahn ganz andere Themen vor Ort hat als vielleicht andere Teile anderswo in der Stadt. Die trans*­Com­mu­ni­ty hat andere Themen als die vielen Bisexuellen in unserer Stadt und so weiter. Wir haben es auch mit einer immer noch sehr stark dominanten Schwulen-Community zu tun, die ich immer wieder liebevoll darauf anspreche, Platz zu organisieren, damit andere mehr Sichtbarkeit bekommen. Und schauen Sie sich an, wie stark die gesellschaftliche Ablehnung wieder wird. Allein schon deswegen müsste die Community mit Unterstützung ihrer Verbündeten viel lauter protestieren, noch viel mehr auf die Straße gehen. Mich erstaunt es immer wieder: Es ist 2024 und wir reden teilweise noch über die gleichen Vorurteile, den gleichen Quatsch, wie wir es schon vor 100 Jahren getan haben. Um also auf Ihre Frage zu antworten: Ja, wir brauchen jede einzelne Pride-Demonstration.

Die Angst vor einem gesellschaftlichen Rollback ist allgegenwärtig. Wir erinnern an den Brandanschlag auf den lesbischen Verein RuT im vergangenen Sommer.

Das ist keine Angst vor einem Rollback. Der Rollback ist leider Realität, wir befinden uns gerade mittendrin. Doch ich habe eine Botschaft für alle, die meine queere Community bekämpfen: Den Regenbogen kann man nicht verbieten. Queere Menschen waren schon immer da und sie werden auch immer sichtbarer werden. Das macht den anderen, die in der Dunkelheit festhängen, leider unbegründeterweise Angst. Durch die vielen Errungenschaften und Anstrengungen der letzten Jahrzehnte trauen sich immer mehr Menschen, sich dem Licht anzuschließen. Diese Sichtbarkeit fördert nicht nur mehr Akzeptanz, sondern auch Ablehnung und Gefahr. Daher gilt spätestens jetzt: Wir alle müssen gemeinsam die Demokratie schützen.

Noch mal nachgefragt: Bräuchte es einen queeren Einsamkeitsbeauftragten?

Die Community, kann sich darauf verlassen, dass ich das Thema Einsamkeit weit oben auf meiner Agenda habe. Wir müssen auch hinterfragen, welche Folgen Dating-Apps mit dem Thema Einsamkeit zu tun haben. Oder vor allem auch die Sozialen Netzwerke, gerade wenn Facebook, X, Instagram und Co immer unsozialer missbraucht werden. Wenn ich mir anschaue, wie viel Hass ich gefühlt jeden Tag abbekomme, da ich kann ich schon sagen, dass der Job, den ich derzeit mache, auch einsam macht. Auch wenn ich zwar den ganzen Tag unterwegs bin, bleibt die Bedrohung eine Realität, an die ich mich nicht gewöhnen will.

Werden Sie bedroht?

Eine bittere Wahrheit, die mit dem Amt Hand in Hand kam, ist, dass ich eben schon anlassbezogen Personenschutz erhalten musste. Eben saß ich in der U2 auf dem Weg hierher und habe mich daran erinnert, dass das Landeskriminalamt mittlerweile sagt, es wäre gefährdungsminimierend, wenn ich die öffentlichen Verkehrsmittel nur noch so selten wie möglich nutze. Die Gefahr der Wiedererkennung, gerade mit Blick auf meine schwule Identität, ist mit dem Amt größer geworden.

Was macht das mit Ihnen?

Das macht mich einsam!

Ihre Stelle ist auf drei Jahre befristet. Was passiert danach?

Es steht viel auf dem Plan und ich hoffe, dass ich bald Unterstützung bekommen. Zwei Mitarbeitende kommen Anfang Februar. Dann legen wir erst mal richtig los. Zur gegebenen Zeit werde ich unsere Arbeit und die Institution evaluieren und Vorschläge machen, wie es weitergehen soll. Wir brauchen nachhaltige Strukturen, eben weil Berlin die Geburtsstadt der weltweiten Homosexuellenbewegung und somit zu Recht Regenbogenhauptstadt ist.

Wie bewerten Sie das Update des queeren Aktionsplans?

Dieses Update ist die dritte Auflage eines Aktionsplans. Damit zeigt Berlin, dass die LSBTI-Fachpolitik sehr wichtig ist. Und es zeigt auch, dass unsere Stadt die Belange von queeren Menschen als Querschnittsthemen sieht. Mit den x Handlungsfeldern verdeutlicht das Land Berlin, dass das Thema ernst genommen wird. Dem Aktionsplan ging ein partizipativer Prozess mit 18 Fachgruppen voraus. Dieses große Engagement zeigt, dass der Regenbogen Teil unserer Berliner DNA ist.

Aus dem Vorstand des CSD e.V. kamen Stimmen, dass die Maßnahmen nicht weit genug gehen würden, auch weil zahlreiche Prüfaufträge nun erst in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden müssten. Wie sehen Sie das? Reichen die Maßnahmen aus und ist eine Umsetzung realistisch?

Der Aktionsplan ist langfristig angelegt. Nun liegt es in der Verantwortung der jeweiligen Senatsverwaltungen, die im Aktionsplan zu den jeweiligen Maßnahmen explizit benannt werden, diese auch umzusetzen. Daran werden sich dann die Senatsverwaltungen messen lassen müssen. Und nochmals, unser Aktionsplan ist in seiner Langfristigkeit zu bewerten, denn es geht darum eine Nachhaltigkeit zu schaffen. Ich kann aber die Perspektive des Berliner CSD e.V. gut verstehen, denn es ist aus die Aufgabe der Zivilgesellschaft, das Land Berlin auch hier zu fordern. Selbst ein Prüfauftrag beinhaltet, dass man sich mit einem Sachverhalt auseinandersetzen muss und man dann schaut, wie man zu einer Lösung kommt. Es ist also eine Gemeinschaftsaufgabe und ich bin zuversichtlich, dass wir diese gemeinsam meistern werden.

Eine der Maßnahmen beinhaltet die Installierung eines Runden Tisch zum Thema „Hasskriminalität“. Bisher wurde der Berliner CSD e.V. hierfür nicht angefragt. Soll das noch passieren und wer soll Teil dieses runden Tisches sein?

Die Einberufung eines Runden Tisches ist nicht nur eine Maßnahme des Aktionsplans, sondern es ist auch ein Vorhaben des Senats. Der Runde Tische ist ein Teilaspekt einer Strategie. Das Ziel ist verschiedenste Ak­teu­r*in­nen zusammenzubringen und mit Blick auf die Bekämpfung von Queerfeindlichkeit neue Wege zu gehen. Gemeinsam mit der „Landesstelle für Gleichbehandlung – gegen Diskriminierung“ erarbeite ich gerade einen Umsetzungsplan, der auch ein Beteiligungsverfahren vorsieht. Ich würde mich freuen, wenn sich der Berliner CSD e.V. daran beteiligt. Der Runde Tisch ist nur ein Baustein unter vielen bei der Entwicklung einer Landesstrategie. Wir sind aktuell in der letzten Phase unserer Planungen. Sobald wir die konkreten Termine festgelegt haben, werden wir entsprechende Einladungen verschicken.

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