Bilanz der Special Olympics World Games: Spiele der großen Emotionen

Die Special Olympics bezaubern in Berlin durch Sport mit ungefilterten Glücksgefühlen. Sie sind aber auch ein Schaufenster für Wege der Inklusion. 

Gebannte Zuschauer beim Basketball auf der Tribüne

Emotionale Unmittelbarkeit: Special-Olympics-Teilnehmer beim Basketball Foto: Sebastian Wells

BERLIN taz | Die Welt der Special Olympics ist vielfältig. Zu ihr gehören Athleten wie Timothy Moharan, der so schnell durch Dublin läuft, dass die ganze Nachbarschaft ihn kennt und die Leute ihm zurufen: „Run, Timothy, run!“ Jetzt, bei den Special Olympics World Games in Berlin, lief Moharan so schnell, dass er nachher in fast akzentfreiem Deutsch stolz in die Reportermikros sagen konnte: „Ich bin ein 5.000-Meter-Goldmedaillengewinner in Berlin.“

Michel Detouche gehört zum Universum der Weltspiele. Gewöhnlich flicht er Körbe in einer Werkstatt in Roseau, der Hauptstadt der Karibikinsel Dominica, und spielt Boccia im dortigen Botanischen Garten. In den letzten Tagen nahm er hier in Berlin in den Messehallen an den Bocciawettbewerben der Weltspiele teil.

Stefanie Drescher, Berufsjudoka aus Frechen bei Köln, gehört ebenfalls dazu. Dreimal trat sie in den Finalwettbewerben auf die Berliner Tatami. Dreimal warf sie ruck, zuck ihre Gegnerinnen und sprang danach wie ein Gummiball vor Freude in die Luft. Leon Colberg kann man nennen, einen Radsportler, der beim 1. RSC Strausberg trainiert, einem Klub, der auch schon Radprofis herausbrachte und bei dem Colberg gemeinsam mit Athleten ohne Einschränkungen aktiv ist.

Sehr viele Sport­le­r*in­nen müsste man nennen, aus vielen Ländern, mit vielen Sportarten, ganz eigenen Lebensläufen, und ja, auch ganz eigenen Einschränkungen. Die fallen manchmal auf, wenn das Reden schwerer fällt, manch einfach klingende Frage offenbar nicht verstanden wird, der Körper klein gewachsen blieb oder die runde Kopfform auf eine Erkrankung an Trisomie 21 hinweist.

Ausprobieren des Miteinanders

Interessant war, dass Tag für Tag bei diesen Weltspielen dieser letztere Teil der Chronistenpflicht immer mehr in den Hintergrund geriet. Die ganzen medizinischen Kategorisierungen gingen einfach über Bord. Und wichtig wurden einzig die Begegnungen.

Dabei probierte man immer wieder neu den Zugang aus. Funktionierte er am besten über Sprache mit Worten, und wenn ja, welche Sprache, oder über Sprache mit Gesten oder vielleicht auch nur mithilfe von Eltern, Trai­ne­r*in­nen und Betreuer*innen, die übersetzten und vermittelten?

War das geklärt, dann bezauberten regelrecht die Spontanität und die ungefilterte und eben nicht kontrollierte Emotionalität, in der sich die Ath­le­t*in­nen äußerten. Das war special an diesen Special Olympics. „Was mich an den Special Olympics fasziniert, ist, dass diese wahnsinnig puren Emotionen so unglaublich ehrlich und aufrichtig sind, und ganz auf den Moment fokussiert. Das ist einfach wunderwunderschön“, fasste Marina Müller, Judotrainerin und seit den letzten Weltspielen 2019 in Abu Dhabi bei den Weltspielen dabei, das Phänomen am prägnantesten zusammen.

Ath­le­t*in­nen und Trai­ne­r*in­nen war dies länger schon bewusst. Vielen Medienschaffenden und vielen der Tausenden Volunteers war es aber neu. Auf sie alle, wie auch auf die Zuschauer*innen, strahlte die Freude über diese Unmittelbarkeit ab. Selten sah man in dieser Stadt derart viele dauerglückliche Gesichter.

Tolle Entdeckungsreise

Darüber hinaus luden diese Weltspiele zu einer fantastischen Entdeckungsreise über Kontinente und hin zu Institutionen ein, die Sport, und nicht nur Sport, für Menschen mit Einschränkungen, ermöglichen. Sei es die Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen bei Köln, die Stipendien für Be­rufs­sport­le­r*in­nen vergibt. Sei es der Inklusive Sportverein Norderstedt, der nicht nur Leichtathletik, Radsport oder Basketball für Menschen in den eigenen Werkstätten anbietet, sondern sich auch Menschen ganz ohne Einschränkung öffnet und damit mal Inklusion ganz andersherum betreibt.

Und der gemeinsam mit dem Kieler Segelverein inklusiven Segelsport ermöglicht. Alexander Knaub aus Norderstedt und Nora Nockenroth aus Kiel segeln seit einem guten Jahr zusammen, im Wettkampf sie als Unified Partner am Steuer und Knaub an den Leinen für die Segel. Gold holten sie gemeinsam auf dem Wannsee. Und Nockenroth hat vor, dass ihr Segelpartner Knaub in Zukunft den nächsten Schritt geht und auch das Steuern übernimmt.

Erfahren hat man von den IMEs, den Institutes Medico-Educative, auf der Karibikinsel Guadeloupe, die Jugendlichen mit Beeinträchtigungen neben schulischer und beruflicher Ausbildung auch Kajak fahren, segeln, schwimmen, Basketball spielen lassen, und das oft bei Wettbewerben und Sportfesten mit Jugendlichen ohne Einschränkung.

Nun ist es wichtig, dass all diese Erfahrungen nicht vergessen, nicht weggewischt werden vom nächsten Sport­event. „Unser Ziel ist es, in Berlin flächendeckend Vereine zu finden, die inklusive Angebote über viele Sportarten hinweg anbieten“, versprach Tim Tschauder, seit gut zwei Jahren Inklusionsmanager beim Landessportbund Berlin. „Wohnortnähe ist ein sehr wichtiges Thema im inklusiven Sport. Jemandem, der mobilitätseingeschränkt ist und in Lankwitz wohnt, nutzt ein Schwimmangebot in Hohenschönhausen wenig“, erläuterte er die Problematik. Tschauder wird über die Weltspiele hinaus für Inklusion im Berliner Sport sorgen, damit sie Alltagspraxis wird. So kann ein Sportgroßevent sogar noch nachhaltig werden.

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