Buch „3 – Ein Leben außerhalb“: Lob der Freundschaft

Der Philosoph Geoffroy de Lagasnerie beschäftigt sich in seinem neuen Buch mit der Freundschaft. Paare und Familien dagegen seien reaktionär.

Éduard Louis sitzt am Tisch, vor ihm stehen Leute mit erwartungsvollen Gesichtern

Signierstunde von Éduard Louis nach der Lesung in Berlin Foto: Charlotte Kunstmann

Es sei ein „sehr französisches Buch“, das da über die Freundschaft entstanden sei, sagt Sonja Finck. Was die Übersetzerin damit meint, ist die Art, wie Geoffroy de Lagasnerie Philosophie und Soziologie mit Alltagsleben in „3 – Ein Leben außerhalb. Lob der Freundschaft“ miteinander verwebt. Der Autor und Soziologe erzählt in seinem neuesten Buch vom Pariser Leben im Triumvirat. Die Freundschaft zwischen ihm und seinen Autorenkollegen Didier Eribon und Édouard Louis beschreibt er als integrale Form, als „Dreh- und Angelpunkt, der unsere gesamte Existenz prägen würde“.

Jeder Tag beginne und ende mit Textnachrichten zwischen ihnen, de Lagasnerie benennt die „Anwesenheit der Abwesen­heit“ als charakteristisch für ihre Beziehung; mit jemand anderem als Louis essen zu ­gehen bedeute für Eribon oder ihn, nicht mit Louis zu ­essen.

Das Schreiben und das Sprechen darüber scheint jedoch mindestens ebenso charakteristisch für ihre Freundschaft. Louis, der bei der Buchpremiere am Dienstagabend auf der Bühne im Haus der Berliner Festspiele neben Eribon und de Lagasnerie sitzt, sagt, ihre Bücher seien das Ergebnis von Arbeit in Kollektiven. Wie sehr der fast 40 Jahre ältere Eribon ihn geprägt hat, gibt Louis unumwunden zu.

Nach einer Lesung, die Eribon vor einigen Jahren im nordfranzösischen Amiens gab, stand für den damals 17-jährigen Louis fest, er müsse auch Autor werden. „Ich bin wie Sie“, hatte er ihm gesagt und auf ihrer beider Abstammung aus ärmlichen, homophoben Verhältnissen angespielt, die Eribon in „Rückkehr nach Reims“ analysiert.

Der Impuls, Autor zu werden

Nachzulesen ist die Episode unter anderem in Louis’ Buch „Anleitung ein anderer zu werden“, deren Vorgeschichte in seinem Debüt „Das Ende von Eddy“. Man hat schon viel gelesen, Gutes, Ehrliches, von der Éducation sentimentale des heute 31-jährigen Louis, die de Lagasnerie nun weiter ausmalt, wenn er die Anfangstage des Trios Revue passieren lässt, seine Sichtweise der Louis’ zugesellt.

De Lagasnerie erzählt Persönliches mit Bourdieu, Barthes und Spinoza, wählt gutklingende Zitate von Ralph Waldo Emerson zum Wesen der Freundschaft aus. Die Gründe für eine Freundschaft, schreibt er in Anlehnung an den Soziologen Graham Allan, kennen die Beteiligten dabei nicht und müssten sie auch nicht kennen. Doch ist das das wirkliche Alleinstellungsmerkmal der Freundschaft? Lässt sich in der romantischen Liebe die Frage nach dem Warum nicht ebenso gut mit „darum“ beantworten?

An einem Tisch auf der Bühne sitzen Geoffroy de Lagasnerie, Didier Eribon, Éduard Louis und Sonja Finck

Didier Eribon, Éduard Louis, Geoffroy de Lagasnerie und Sonja Finck stellen das Buch vor Foto: Charlotte Kunstmann

Die drei Autoren sind kein reines Freundschaftsteam. De Lagasnerie und Eribon sind seit über 20 Jahren ein Paar. In „3“ kommt dieser Umstand praktisch nicht vor. Als Sonja Finck de Lagasnerie in Berlin nach dieser Sonderstellung fragt, antwortet der bloß, er und Eribon lebten nicht zusammen und bewahrten sich so ihre Unabhängigkeit.

Liebe verbunden mit der „Idee des Verschließens“

Dabei wäre ein Einblick in die Beziehung der beiden Soziologen ungemein interessant, macht de Lagasnerie die Paarbeziehung doch (normalerweise) als Kern des Übels, als die Freundschaft verunmöglichende Kraft aus. Er führt Zahlen an, die belegen, wie viel seltener Verheiratete ausgehen, schreibt, das Konzept der Liebe sei mit der „Idee des Verschließens“ verbunden. Dass jemand, der manifestartig an die Neuordnung zwischenmenschlicher Beziehungen herangeht, noch nie etwas von alternativen Beziehungsformen wie Polyamorie oder offenen Beziehungen gehört zu haben scheint, ist dabei mehr als erstaunlich.

Noch reaktionärer als die Paarbeziehung ist de Lagasnerie zufolge nur noch die Familie. Darauf angesprochen sagt der 42-Jährige, eine „alternative“ Familie sei wie grüner Kapitalismus – ein Widerspruch in sich. Während seine (durch Wilhelm Reich inspirierte) Überlegungen zum autoritären Charakter der Familie und der automatischen Reproduktion von Herrschaftsstrukturen noch ganz interessant sind, mutet de Lagasneries auch auf der Bühne vorgebrachtes Lamento der fehlenden Akzeptanz von Freundschaft als Lebensform leicht infantil an.

Ein krankes Kind berechtige zum Fernbleiben von der Arbeit, ein Freund in Not stoße hingegen auf wenig Verständnis beim Arbeitgeber, moniert er. Dass das unbetreute Kind im Zweifel in der Wohnung Feuer legt oder das Badezimmer nicht alleine erreicht, unterschlägt er so genauso, wie er die realen, rechtlichen Probleme herabwürdigt, denen Beteiligte außerehelicher Beziehungen ständig begegnen.

Zuletzt kommt bei der Buchpremiere auch der Altersunterschied zwischen den drei Freunden zur Sprache. Eribon erzählt vom Zirkel Michel Foucaults, dem neben ihm viele jüngere und ältere Freunde angehört hatten. Kreise dieser Art habe es stets gegeben, sagt er und verweist auf die ebenfalls homosexuellen Schriftsteller Oscar Wilde und André Gide.

Viel von dem, was Eribon noch sagt, ist allerdings nicht zu verstehen, hört man dem simultan aus dem Französischen Übersetzenden seine Müdigkeit nach knapp zwei Stunden doch deutlich an. Während der männliche Übersetzer de Lagasnerie, Eribon und Louis ins Deutsche übertrug, war die Übersetzerin bloß für die Fragen der Moderatorin zuständig. Damit war die Arbeitslast jedoch höchst ungleich verteilt, ließ Sonja Finck den drei Autoren doch reichlich Raum und Redezeit.

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