Buch „Geist und Müll“ von Guillaume Paoli: Revolution unmöglich, aber nötig

Das neue Buch von Guillaume Paoli ist pessimistisch. Dem Berliner Autor geht es darum, angesichts des Desasters wenigstens das Denkvermögen zu retten.

Einweg-Plastikgabeln stecken im Sand an einem Strand

Verbot von Plastikbesteck: Eine sinnlose Maßnahme angesichts des Desasters Foto: Petra Nowack/imago

Geist und Müll liegen heutzutage nah beieinander. Das scheint nur zu bekannt. Doch mancher Zusammenhang ist weniger offenkundig. Guillaume Paoli hat es in seinem neuesten Buch darauf abgesehen, vermeintliche Denkwahrheiten unter die Lupe zu nehmen, sie schonungsloser Kritik auszusetzen. Diesmal beschäftigt ihn die geistlose Ignoranz, mit der wir die Existenz des großen Desasters leugnen, Nähe und Möglichkeit eines Weltuntergangs, zumindest was die Existenz des Menschen angeht.

Ihm geht es nicht um Klima- oder Atomtod selbst. Deren hohe Wahrscheinlichkeit setzt Paoli gewissermaßen voraus. In seinem zutiefst pessimistischen Buch sieht er keinen Plan B, der es der Menschheit gestattete, das Steuer in letzter Sekunde noch herumzureißen. Zu sehr stehen wir uns selbst im Weg. Es bräuchte eine komplette Umwälzung der Lebensweisen und Verfahren, doch Paolis düsteres Resümee lautet: „Wir stehen vor dem paradoxen Umstand, dass eine Revolution sowohl unmöglich als auch unabdinglich ist. Das ist die Tragödie der Gegenwart.“

Paoli versteht sein Buch daher auch nicht als ein weiteres Plädoyer des Mahnens und Gedenkens, sondern ihm „geht es bescheidener darum, mitten in Turbulenzen das geistige Gleichgewicht zu behalten. Vor dem grassierenden Desaster zumindest das Denkvermögen zu retten.“

Grenzen des Wachstums – Club of Rome

Dazu geht Paoli zurück in die frühen 1970er Jahre, die er als „Achsenjahre“ bezeichnet. 1972 erschien der berühmte Meadows-Bericht des Club of Rome über die Grenzen des Wachstums, in dem die Gefahr der Umweltzerstörung erstmals deutlich benannt wurde. Die Reaktion der Menschheit dagegen war typisch – reine Verdrängung.

Statt sich mit Auswegen und strategischen Maßnahmen zu befassen, beschäftigten sich Technokraten eher mit der Richtigkeit der Prognosen, der Zahlen und Statistiken. Dabei gab es durchaus eine Reihe von Denkern und Philosophen, die sinnvolle Vorschläge und Analysen zum Thema einbrachten, etwa die französischen Nonkonformisten Bernard Charbonneau und Jacques Ellul.

Guillaume Paoli: „Geist und Müll. Von Denkweisen in postnormalen Zeiten“. Matthes & Seitz Berlin, 2023, 268 S., 22 Euro

Oder Ivan Ilich, der sich gegen die Auflösung historisch gewachsener Fertigkeiten und Überlebenstechniken von Ghettobewohnern wandte – die stattdessen von staatlich geplanter Wohlfahrt und Automobilität abhängig gemacht wurden. Solche Appelle verhallten ungehört. Stattdessen schritt die Merkantilisierung der Welt ungehindert voran, der Neoliberalismus machte sich auf seinen Siegeszug durch die Welt.

Minima Moralia

Trotz des düsteren Feldes, das Paoli beschreitet, ist sein furioser Essay sehr unterhaltend geschrieben, dargeboten in kleinen Aperçus, ein wenig an Adornos „Minima Moralia“ erinnernd. Doch verfolgt er durchaus eine kontinuierliche Argumentationslinie, die sich in souveräner Weise Schlenker und Assoziationen gestattet.

Das Ganze ist von galligem Sarkasmus geprägt. Paolis „Geist und Müll“ will nicht warnen, will nicht die Sturmglocke läuten, sondern die Totenglocke. Für ihn es ist längst zu spät. Man kann nur, so meint der Autor, den einen oder anderen Widerspruch in der Welt herausarbeiten, mehr nicht. Das ist fast schon stoische Eudämonie. Aber vielleicht gibt es für uns tatsächlich nicht mehr.

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