Bürgergeld und Lohnabstand: Nicht auf Kosten der Armen

Wer arbeitet, sollte deutlich mehr Geld bekommen. Aber statt denen, die es nicht tun, das Bürgergeld zu kürzen, sollte der Mindestlohn erhöht werden.

Ein Bäcker hält einen Brötchen-Röhling in den Händen

Wer als Bä­cke­r:in um 3 Uhr in der Früh aufsteht, hat mehr verdient als nur ein paar Euro mehr Foto: Thorsten Wagner/imago

Wer in den 1990er Jahren interne Debatten einiger So­zi­al­ex­per­t:in­nen über die Sozialhilfe verfolgte, dürfte sich über den aktuellen CDU-Vorstoß, das Bürgergeld abzuschaffen, nicht gewundert haben. Damals verwiesen die Ana­lys­t:in­nen auf die USA, wo Sozialhilfe nur insgesamt fünf Jahre gezahlt wird, verteilt über die gesamte Lebenszeit. Und maximal zwei Jahre ohne Unterbrechung. Das wird, so warnten die Expert:innen, auch irgendwann in Deutschland so kommen.

Nun ist die Debatte um staatliche Leistungen für Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht arbeiten – über die Stufen Sozialhilfe, Hartz IV, Bürgergeld – genau da angekommen, wo die USA schon vor 25 Jahren standen. Bekanntermaßen ist Amerika das „reichste Armenhaus“ der Welt – und mitnichten Vorbild für das deutsche Sozialsystem. Und trotzdem trifft CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen Punkt, wenn er fordert, es brauche mehr „Anreize für die Jobaufnahme“.

So weist das Institut für Weltwirtschaft in Kiel nach, dass manche Ar­beit­neh­me­r:in­nen mit einem relativ normalen Einkommen durchschnittlich 2,30 Euro in der Stunde mehr verdienen als Bürgergeldempfänger:innen. Dieser Lohnabstand ist tatsächlich zu gering. Wer als Bä­cke­r:in um 3 Uhr in der Früh aufsteht, damit um 7 Uhr warme Brötchen in der Auslage liegen, wer als Pfle­ge­r:in ab 6 Uhr morgens in einem Altenheim reihenweise bettlägerige Menschen umdreht und wäscht, wer als Reinigungskraft nachts Büros schrubbt, hat mehr verdient als nur ein paar Euro mehr.

Das Ziel darf jedoch nicht sein, das Bürgergeld abzusenken, sondern vielmehr die Löhne anzuheben. Insofern birgt die Linnemann-Idee beim Bürgergeld ein Verhetzungspotenzial, das den sozialen Frieden erheblich stören kann. Ungeachtet dessen hat aber jede Lohnerhöhung Folgen – Brot, Pflege, Restaurantessen, solche Dinge werden teurer werden – und zwingt sicher manches Kleinunternehmen dicht­zumachen, weil es seine Angestellten nicht mehr bezahlen kann. Um Lohngerechtigkeit herzustellen, braucht es bessere Vorschläge als die der CDU.

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Ressortleiterin Meinung. Zuvor Ressortleiterin taz.de / Regie, Gender-Redakteurin der taz und stellvertretende Ressortleiterin taz-Inland. Dazwischen Chefredakteurin der Wochenzeitung "Der Freitag". Amtierende Vize-DDR-Meisterin im Rennrodeln der Sportjournalist:innen. Autorin zahlreicher Bücher, zuletzt: "Und er wird es immer wieder tun" über Partnerschaftsgewalt.

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