Bundeskongress der Gewerkschaft: Krieg und Frieden bei Verdi

Der Ukrainekrieg beschäftigt die Gewerkschaft vor ihrem Bundeskongress. Auch Schlichtungsvereinbarungen werden diskutiert.

Beschäftigte im niedersächsischen Einzelhandel sitzten in Warnwesten mit dem Logo von Verdi auf einem Einkaufswagen

Beim Bundeskongress von Verdi könnte es kontroverse Debatte geben Foto: Julian Stratenschulte/dpa

BERLIN taz | Eigentlich könnte man dieses Jahr bei Verdi zufrieden mit sich sein. Zuerst setzte die Dienstleistungsgewerkschaft für die rund 160.000 Beschäftigten der Deutschen Post Gehaltssteigerungen von nach eigenen Angaben bis zu 16,1 Prozent durch. Dann erzielte Verdi bei den Tarifverhandlungen mit Bund und Kommunen – der größten Tarifrunde dieses Jahr – die „größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst“.

Doch die Reallohnverluste der letzten Jahre relativieren die Erfolge gleich wieder. Ursache für die Verluste sind vor allem die horrenden Inflationszahlen, die durch die Energiepreiskrise infolge des russischen Angriffkriegs auf die Ukraine ausgelöst wurden. Dabei ist dies nicht der einzige Grund, warum der Krieg in der Ukraine die Dienstleistungsgewerkschaft rund um ihren am Sonntag beginnenden Bundeskongress beschäftigt.

Sechs Tage lang beraten rund 1.000 Verdi-Mitglieder in Berlin. Sie diskutieren, stimmen ab und legen fest, wie die Gewerkschaft in den kommenden Jahren politisch und gesellschaftlich aufgestellt sein wird. Anders als bei der IG Metall stehen dieses Jahr bei ihr jedoch keine großen Rochaden an.

Die wichtigste personelle Erneuerung ist da noch, dass Stefanie Nutzenberger, die im Vorstand für Handel, Frauen-, Gender- und Gleichstellungspolitik zuständig ist, nicht mehr zur Wiederwahl antritt. Die derzeitige Leiterin des Fachbereichs Handel in Nordrhein-Westfalen, Silke Zimmer, gilt als Nachfolgerin abgemacht.

Petition bereits 10.000 Mal unterschrieben

Es dürfte also eigentlich ein eher ruhigerer Gewerkschaftskongress werden – wäre da nicht der Krieg in der Ukraine. „Hebt Eure Hand nicht für einen erneuten Schulterschluss der Gewerkschaften mit dem deutschen Kriegskurs“, heißt es in einer Onlinepetition an die Verdi-Delegierten. Man habe nicht vergessen, was 1914 geschah: „Die Gewerkschaftsführungen in ganz Europa schickten unter Bruch aller vorherigen Beschlüsse ihre Mitglieder in den Krieg – angeblich `gegen den russischen Despoten-Zaren`, tatsächlich aber für den Profit von Krupp, Thyssen und Co.“

Die Petition richtet sich gegen einen Leitantrag, den der Gewerkschaftsrat unter dem etwas sperrigen Titel „Perspektiven für Frieden, Sicherheit und Abrüstung in einer Welt im Umbruch“ einbrachte. Die Pe­ten­t*in­nen warnen, dass durch der Antrag der „finale Kniefall vor militaristischer Logik“ sei. Immerhin wurde ihr Online-Aufruf bereits über 10.000 Mal unterschrieben.

„Krieg und Frieden wird ein großer Punkt auf dem Kongress sein“, bestätigt Anja Voigt, Krankenpflegerin und Delegierte aus Berlin die Wichtigkeit des Themas. Anhand der Antworten auf den Antrag sehe man, wie divers die Meinungen zum Krieg in der Ukraine seien. Die Ehrenamtliche treibt allerdings auch ein anderes Thema um: die Schlichtungsvereinbarung zwischen Verdi, Bund und Kommunen. Diese sieht vor, dass die Ta­rif­part­ne­r*in­nen eine Schlichtung anrufen können, wenn die Tarifverhandlungen festgefahren sind, um auf diesem Wege doch noch eine Einigung zu erzielen.

Diskussion um unbefristete Streiks

In der Gewerkschaft mehren sich die Stimmen, die eine Kündigung dieser Vereinbarung fordern. Ihre Kritik: Mit der Vereinbarung werden die Mitglieder am Streiken gehindert. Denn während der Schlichtung herrscht Friedenspflicht und den Gewerkschaften sind damit Arbeitskampfmaßnahmen, mit deren Hilfe die Gewerkschaften Druck auf die Arbeitgeber aufbauen können, untersagt.

So geschah es auch Anfang des Jahres. Wochenlang kämpften die Verdi-Mitglieder im öffentlichen Dienst mit Warnstreiks für ihre Forderungen. 10,5 Prozent beziehungsweise mindestens 500 Euro mehr Gehalt im Monat wollte die Gewerkschaft in den Verhandlungen mit Bund und Kommunen erreichen. Immer wieder wurde laut über eine Urabstimmung über einen unbefristeten Streik nachgedacht. Nach einer ergebnislosen dritten Verhandlungsrunde schien es fast so weit.

Doch die Arbeitgeber riefen die Schlichtung an. Heraus kam ein Kompromiss: steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen von insgesamt 3.000 Euro und tabellenwirksame Lohnerhöhungen im nächsten Jahr von mindestens 340 Euro. „Das ist kein schlechtes Ergebnis. Mit einem Streik wäre aber mehr drin gewesen“, meint denn auch Krankenpflegerin Voigt.

Ganz so gemächlich scheint der Verdi-Bundeskongress offenbar also doch nicht zu werden. Zumal die Gewerkschaft viele neue Mitglieder verzeichnen kann, die sich nun auch in der Gewerkschaft einbringen wollen. Allein durch die Arbeitskämpfe bei der Deutschen Post und im öffentlichen Dienst von Bund und Länder konnte Verdi Anfang des Jahres etwa 50.000 zusätzliche Mitglieder gewinnen. Und derzeit läuft der Arbeitskampf im Handel und im Herbst stehen die Tarifverhandlungen mit den Ländern an.

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