Das Montagsinterview: "Stolz bin ich auf die Bilder, die ich nicht gemacht habe"

Jochen Blume ist Starfotograf, arbeitete für die "Bild-Zeitung" und Magazine wie den "Stern". In dieser Zeit hat er gelegentlich Negative zerschnitten.

Glaubt, dass man seine "große, reine, weiße Seele" nicht fotografieren kann: Fotograf Jochen Blume. Bild: Sebastian Isacu

taz: Herr Blume, Sie sind Fotograf. Werden Sie selbst gerne fotografiert?

Jochen Blume: Nein, das ist furchtbar, das ist das Allerletzte.

Wieso?

Ich gucke natürlich rein technisch: Wie fotografiert der Kollege mich? Ich habe natürlich alle Kriterien der Porträt-Fotografie drauf. Und ich bin natürlich der Meinung, dass der arme Mensch meine große, reine, weiße Seele überhaupt nicht fotografieren kann. Nein, im Ernst: Ich sehe einfach nicht sehr attraktiv aus. Ich fühle mich sehr unbehaglich, wenn ich fotografiert werde. Aber ich glaube, das geht fast allen Fotografen so.

Haben Sie schon mal Selbstporträts gemacht?

Nee. Ich würde nie auf die Idee kommen.

87, lebt in Hamburg-Hummelsbüttel, arbeitete seit 1948 als Pressefotograf und ist gelernter Lehrer. Er begann bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa), arbeitete dann für den Axel-Springer-Verlag, unter anderem für die Bild-Zeitung und die Zeitschrift Kristall. Später ging er zum Stern, machte sich selbstständig.

Ab 1973 lehrte er als Professor für Fotografie an der Hamburger Hochschule für Gestaltung. Er ist seit Jahrzehnten auch Dozent an der Akademie für Publizistik. Er ist Autor mehrerer Fotobücher und hat autobiographische Bücher verfasst. In "Traumtänzer im Gleichschritt" schreibt er über seine Jugend in der NS-Zeit, im Buch "Vom richtigen Moment" erzählt er die Geschichten seiner bekannteren Bilder.

Blume hat früher asiatischen Kampfsport betrieben - in seinem Wohnzimmer steht ein Zen-Garten.

Was finden Sie an anderen Personen spannend, die Sie fotografieren?

Ich mag es, mich auf den Menschen einzustellen und meine subjektive Meinung von einem Menschen mitzuteilen. Ich finde Menschen einfach interessant.

Wie haben Sie gelernt, den richtigen Moment für ein Foto zu finden?

Durch viele, viele Bilder. Und dann gibt es natürlich immer zwei Möglichkeiten: Meine Vorstellung und die Vorstellung von der Redaktion. Wenn wir über freie Fotografie reden, dann ist das meine subjektive Meinung, dass ich das Bild angucke und sage: Jawoll, diese Aufnahme entspricht meiner Idee, wie ich den Menschen sehe. Aber das ist nur in den wenigsten Fällen so. Und natürlich hat die Redaktion auch eine Vorstellung. Die Schwierigkeit ist, diese beiden Vorstellungen in eine Form zu bringen.

Warum sind Sie Fotograf geworden?

Weil ich neugierig auf Menschen bin und weil ich die Welt verbessern wollte.

Wie das?

Das habe ich versucht. Das geht nicht, das habe ich dann auch gemerkt.

Und wieso dachten Sie, dass das funktionieren könnte?

Ich bin ein absoluter, unverbesserlicher Idealist. Ich habe gedacht, dass man als Fotograf die Welt durch Bilder erklärt und damit vielleicht verbessert. Ich habe 1948 angefangen, als Fotograf zu arbeiten. Ich wollte dazu beitragen, dass die Welt nicht wieder in dieselbe Schiene kommt, die wir vorher seit 1933 hatten. Zumindest kann man mit Bildern aufrütteln. Im Vietnamkrieg etwa haben Bilder etwas bewirkt.

Und Ihre eigenen Bilder?

Meine Bilder von der Besetzung von Helgoland haben ganz sicher bewirkt, dass Helgoland frei wurde…

Zu sehen sind darauf die zwei Studenten René Leudesdorff und Georg von Hatzfeld, die 1950 auf Helgoland die Deutschlandflagge und die Flagge der europäischen Bewegung hissen. Die Insel war damals eine militärische Sperrzone der Briten und Bombenabwurfplatz.

Das ist mein erstes wirklich politisches Bild.

Welche Rolle hat bei Ihrer fotografischen Arbeit Ihr Kriegseinsatz als Soldat im Zweiten Weltkrieg und die Kriegsgefangenschaft gespielt?

Der Krieg und die Gefangenschaft haben natürlich mein Leben geformt. Wenn Sie dreieinhalb Jahre lang an der Grenze zwischen Leben und Tod, also am Verhungern sind, dann wird das schon ein bisschen ihr Leben verändern. Und wenn Sie im Krieg so viel Tod und Elend gesehen haben, beeinflusst Sie das auch. Die Einstellungen zum Leben und zu anderen Menschen ändern sich. Das ist umfassend. Vielleicht wäre ich nicht so empfindsam, wenn ich das nicht erlebt hätte.

Sie waren in den 1950ern Fotograf bei der Bild in Hamburg. Wie war das?

Wunderbar. Die Bild war 1953 eine sehr gut gemachte Boulevard-Zeitung, sehr sozial engagiert. Es gab sehr viele Bilder in der Zeitung, was damals ungewöhnlich war. Wir haben es versucht und auch geschafft, mit Bildern etwas deutlich zu machen. Aber dann wurde Bild politisch, das war dann nicht mehr ganz so mein Ding und dann bin ich woanders hingegangen.

Vorher hatten Sie keine Probleme mit der Zeitung?

Nein, die Bild heute und die Bild früher, als ich dort gearbeitet habe, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Für die heutige Bild würde ich nicht eine Stunde arbeiten.

Mussten Fotografen damals schon Witwenschütteln, also Angehörigen von Opfern von Straftaten oder Unfällen Fotos abquatschen?

Nein. Das hätte ich auch abgelehnt. Das war das Gute: Ich konnte in der Bild-Zeitung damals so sein, wie ich meinte, als Fotograf sein zu müssen. Ich habe auch vieles nicht fotografiert. Wirklich stolz bin ich auf die Bilder, die ich nicht gemacht habe.

An was denken Sie da?

Das waren Momente, wo man Menschen mit einem Foto bloßstellen würde. Das fängt bei ganz simplen Dingen an: Beim Spaghetti-Essen sehen Sie auch nicht toll aus. Oder in Trauer-Momenten. Das war immer ein großer Kampf. Ich habe solche Negative immer durchgeschnitten, damit sie nun wirklich nicht gedruckt werden. Man weiß ja nie, was passiert, wenn Sie im Archiv sind.

Wie fand die Redaktion das?

Ganz furchtbar natürlich. Aber ich habe gesagt: Ich bin der Urheber und ich habe das Urheberrecht. Und außerdem: Wenn euch das nicht gefällt, dann kann ich ja gehen. Das hat funktioniert.

Gibt es trotzdem Bilder, von denen Sie heute sagen, das hätte ich mal lieber nicht gemacht?

Nein. Wenn ich überhaupt auf meine Arbeit ein bisschen stolz bin, dann darauf, dass es kein Bild gibt, über das ich sage, du musst dich schämen.

Wir sitzen in Ihrem Haus. Wie viele Ihrer Fotos haben Sie hier aufgehängt?

Acht. Aber bei einem Bild weiß ich nicht, wo ich das hinhängen soll. Es zeigt Kennedy, der bei seinem Berlin-Besuch 1963 auf dem Flughafen Tegel ankommt, mit verschränkten Armen. Die ganze Körpersprache sagt: Was soll ich machen mit Berlin? Das ist von der Aussage mein bestes politisches Bild. Aber es ist natürlich nie gedruckt worden.

Warum?

Ich habe dem Bildredakteur von dem Foto erzählt, der sagte, das passt überhaupt nicht in die Jubelstimmung und damit war das Thema durch. Das ist die Macht der Blattmacher. Gedruckt wurden Bilder von der Rede und vom Auto-Corso.

Was machen Sie jetzt als Ruheständler?

Ich mache ganze wenige Foto-Jobs, illustriere Bücher und suche mir selber Themen aus. Am liebsten schreibe ich aber. Das ist natürlich keine Literatur, sondern ein Schreiben vom Visuellen her. Ich beschreibe Begebenheiten in Bildern.

Haben Sie früher mal überlegt, ein schreibender Reporter zu werden?

Ich habe großen Respekt vor dem Schreiben gehabt, da habe ich mich nicht herangewagt. Da lag meine Messlatte sehr hoch, bei Tucholsky und solchen Leuten. Da habe ich mir gedacht: Das schaffst du ja nie. Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich mich ja doch ganz gut ausdrücken kann und habe mein erstes Buch geschrieben: „Traumtänzer im Gleichschritt“, in den 80ern.

Wie kam es dazu?

Ich war Professor an der Hochschule für Gestaltung. Und die Studenten haben mich immer gefragt, ob ich Nazi war. Ich habe dann immer geantwortet: Klar war ich Nazi. Und die konnten das nicht verstehen. Die fanden mich ja eigentlich ganz okay. Es ist unfassbar, was damals passiert ist. Das ist für die jüngeren Generationen weit, weit weg. Deswegen habe ich es dann aufgeschrieben.

Wie war das für Sie?

Die Zeit des Schreibens war ziemlich schlimm. Weil ich natürlich gemerkt habe, was für ein Verblendeter ich war. Wie kann man nur so denken? Ich habe mich geschämt, sehr geschämt. Es war eine Höllenzeit, aber auch eine Katharsis. Ich musste Stellung beziehen, in dem Moment, in dem ich schreibe.

Aber Sie haben Gefallen am Schreiben gefunden.

Die nächsten Bücher, die ich gemacht habe, handelten von Geschichten aus meiner Berufslaufbahn und zuletzt habe ich über meine Kindheit geschrieben.

Haben Sie für Ihre Bücher Verlage gefunden?

Nein, die sind im Selbstverlag erschienen. Das erste Buch wurde noch einigermaßen gekauft. Aber naja, das waren auch alles Studenten und alle, die mich kannten. Wenn die Auflage um zehn oder zwanzig Exemplare steigt, merke ich das schon.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.