Debatte über das Deutschsein: Jawoll, wir sind die Überdeutschen!

Anpassung an die Almans? Von wegen! Das stete Distanzieren und Schielen auf eine Leitkultur bringt die Superdeutschen auf den Weg.

Blick in einen mit Kugeln geschmückten Weihnachtsbaum

Doch irgendwie typisch deutsch: der Weihnachtsbaum Foto: picture alliance/dpa/Markus Scholz

Frohes Neues, Almanya! Oder doch nicht? Weißt du eigentlich, was da alles auf dich zukommt? Viel wird darüber geschrieben, eine Sache bislang jedoch tunlichst verschwiegen. Und die hat es gewaltig in sich. Nicht für meinesgleichen – nein, für euch, liebe Almans! Hey, keep calm and carry on, wie es so schön neudeutsch heißt. Macht mal ruhig weiter so.

Ich, mit meinem muslimischen Migra­tions­hintergrund, bin diesmal absolut auf der sicheren Seite. Und das will was heißen in diesen Zeiten. Ihr habt eine gewaltige Maschinerie in Gang gesetzt, nichts und niemand wird sie aufhalten können. Sie erschafft eine Spezies, die euch in allen Belangen überragen wird: die Superdeutschen. Okay, ich sag’s, wie’s ist: die Überdeutschen. Eigentlich leben wir schon längst unter, Pardon, über euch.

Was soll auch sonst dabei herauskommen, würden Mi­gran­t:in­nen im Allgemeinen und muslimisch gelesene im Besonderen all ­euren pauschalisierenden Forderungen gerecht? Schneller als Robert Habeck „Staats­räson“ (v)erklären kann, distanzieren wir uns ab sofort von jeder Form des Menschenhasses, von Terror und religiösem Furor. Drauf gespuckt, dass es für jede Distanzierung eine Nähe zu dem Bullshit braucht; Schwamm drüber, dass wir an anderer Stelle all das schon lange verurteilen, nur nicht unter deinem Kollektivlabel „die Muslime“.

Wir werden in mit dem Grundgesetz bedruckter Bettwäsche nächtigen

Jeden Dezember werden wir bauchtänzelnd „O Tannenbaum“ singen, ihn so edel und üppig orientalisch schmücken, dass bei den Merzens der Weihnachtsbaum vor lauter Angst zittern wird wie Espenlaub. Eure Leitkultur machen wir zur Neidkultur. Ihr werdet erblassen beim Anblick des von euch eingeforderten Bekenntnisses für die Menschenrechte. Tagtäglich erinnern wir euch an euren eigenen läppischen Umgang damit. Wir werden in mit dem Grundgesetz bedruckter Bettwäsche nächtigen und jeden Sonntag vom Bundesverfassungsgericht träumen – natürlich nach dem „Tatort“.

Eure Devise: Wandel durch Handel; unser Vorwurf: Handel vor Wandel. Willst du zum Beispiel Israel schützen, solltest du schnell den iranischen Mullahs das Wasser abgraben. Stattdessen stehst du immer noch dem in Teilen rechtsextremen Netanjahu-Kabinett beim Massenbombardieren bei. Kleiner Geheimtipp: Die größten Fans der einzigen Demokratie da unten sind diese Leute nicht.

Lieber Friedrich, wenn dir das nächste Mal auf dem Deutschlandtag der Jungen Union die Stimme bricht, weil du dich um die Sicherheit von Jüdinnen und Juden bei uns sorgst, erinnern wir dich an deinen heroischen Einsatz im Halbierungskampf gegen die AfD. Heute ist sie doppelt so stark. In neun Bundesländern gilt ihr Landesverband als Verdachtsfall oder gesichert rechtsextrem. Autoritarismus, ick hör dir trapsen!

Almanya, wallah, du bist ein Wunderwerk der extravaganten Logik und Vernunft. Wir Minderheiten beneiden dich um dein Selbstbewusstsein. Wie du beim inbrünstigen Vortragen der abstrusesten Forderungen und Gesetzesvorschläge jeden Sinn und Verstand für Verhältnismäßigkeit und Umsetzbarkeit verlierst, es aber erhobenen Hauptes tust. Respekt, Canım!

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Der kühn klingende Ruf nach Assimilation wäre dann obsolet, das ist dir schon klar, oder? Passen wir uns dir an, begingen wir Verrat an den Menschen- und Grundrechten, du musst dich schon entscheiden. Alter, wir sind Einbürgerungstest!

Das Ende der schwarz-rot-goldenen Fahnenstange wird aber durch etwas anderes erreicht. Im Gegensatz zu euch werden wir mit Fug und Recht „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!“ posaunen können. Uns ist das Deutschsein nicht in den Schoß gefallen, wir haben es uns hart erarbeitet. Nur dann kann man stolz auf etwas sein. Aber hey, keep calm and carry on!

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Jahrgang 1976, Südhang Hindukusch. Berliner Junge. Schon als Kind im Widerstand gegen Exoten-Bonus und Kanaken-Malus. Heute als Autor und Producer zu unterschiedlichen Themenfeldern journalistisch tätig. Für TV, Print, Online und Bühne. Und fast immer politisch.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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