Debatte um Migration: „Blühende Landschaften“ in Afrika

Damit weniger Menschen nach Europa fliehen, schlagen SPD-Politiker aus Thüringen afrikanisch-europäische Flüchtlingscamps vor.

Porträt von Wolfgang Tiefensee, nachdenlich blickend

Thüringens SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee macht sich Gedanken, wieviel Klimaschutz akzeptiert ist Foto: Martin Schutt/dpa

BERLIN taz | Sie wollen die „Mehrheitsgesellschaft in den Blick nehmen“ und sich auf das „Machbare“ konzentrieren“ – die im Januar in Thüringen neugegründete konservative SPD-Strömung der Seeheimer. Als zentral sehen sie die Frage an, wie Migration gesteuert und die Aufnahme von Geflüchteten begrenzt werden könne. Und da hat der Kreis um Katja Böhler, Staatssekretärin im Thüringer Wirtschaftsministerium, und Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee streitbare Ideen, die weit über das politische Tagesgeschäft hinausgehen.

Böhler und Tiefensee schlagen in der taz prosperierende Flüchtlingsstädte, sogenannte Future Cities, entlang der Fluchtrouten vor, in denen Menschen auf Dauer eine Heimat finden. Es sei an der Zeit, das Thema Migration grundsätzlicher und größer zu denken, so Böhler. „Der Migrationsdruck wird in den kommenden Jahren steigen, weil ganze Gebiete wegen des Klimawandels unbewohnbar werden.“ Deshalb müsse man jetzt anfangen, darüber nachzudenken, wo Menschen, die wegen Dürre oder Hungersnöten, aber auch aus wirtschaftlichen Gründen aus ihrer Heimat fliehen müssen, dauerhaft unterkommen könnten.

Die Unterbringung in Lagern an den EU-Außengrenzen, wie sie das Gemeinsame Europäische Asylsystem vorsieht, greift aus ihrer Sicht zu kurz. „Uns geht es nicht darum, Menschen in großem Stil zurückzuführen und unter haftähnlichen Bedingungen in Lagern unterzubringen“, so Böhler. „Sondern Räume zu schaffen, wo Menschen, die fliehen, ein rechtsstaatliches Asylverfahren außerhalb der EU erhalten und wo sie bleiben können und eine Perspektive haben.“

Die SPD-Politiker*innen regen eine von EU und Afrikanischer Union getragene Initiative zur Gründung solcher „Zukunftsstädte“ an. „Wir können uns afrikanisch-europäische Städte mit Ansiedlungsanreizen und Sonderwirtschaftszonen vorstellen, wo Unternehmen investieren, Jobs entstehen und Menschen ausgebildet werden“, erläutert Böhler. Diese sollten in enger Zusammenarbeit mit den Ländern vor Ort entwickelt werden.

Fast 1 Milliarde weniger für Entwicklung

Böhler war zuvor für verschiedene Entwicklungsorganisationen tätig, darunter den Verein „Partnerschaft für Afrika“. Ins Rampenlicht geriet der Verein vor Jahren wegen umstrittener Zuweisungen von Geldern seitens des damals FDP-geführten Entwicklungsministeriums. Auch derzeit ist der Etat des Entwicklungsministeriums wieder Thema, gehört das Haus von SPD-Ministerin Svenja Schulze doch zu jenen, die in diesem Jahr am stärksten sparen müssen. Fast 1 Milliarde Euro fallen weg, unter anderem bei der Initiative „Geflüchtete und Aufnahmeländer“, was Entwicklungsorganisationen scharf kritisieren. An Zukunftsstädte ist da momentan wohl kaum zu denken.

Porträt von Katja Böhler, lächelnd

Wirtschaftsstaatssekretärin Katja Böhler überlegt, wo Klimaflüchtlinge künftig leben sollen. Vielleicht in Future Cities? Foto: Freistaat Thüringen

Bei der Bekämpfung des menschengemachten Klimawandels und den notwendigen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft raten die Thüringer Seeheimer wiederum zur Mäßigung. „Die Politik verzichtet auf die Rolle des Musterschülers, sie setzt sich zukünftig realistische Ziele“, heißt es im Gründungspapier. Es gehe nicht darum, beim Klimaschutz zurückzurudern oder das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 in Frage zu stellen, meint Tiefensee im Gespräch. „Aber wir befürchten, dass wir dieses Ziel nicht erreichen, weil die Akzeptanz der Bevölkerung verlorengeht.“

Gerade im Osten sei der Begriff der Transformation seit der Wende negativ besetzt. Tiefensee nennt als Beispiel das Heizungsgesetz und fordert: „Wir sollten künftig tunlichst vermeiden, die Belastungen für die Menschen nicht mitzudenken.“ Gleichzeitig hält der Wirtschaftsminister massive öffentliche Investitionen für notwendig. „Wir brauchen dringend eine Reform der Schuldenbremse“, so Tiefensee. Und sieht dies auch als unabdinglich an, sollte es zu einer Neuauflage der Ampel kommen.

Laut Umfragen hätte die Ampel derzeit aber keine Mehrheit. In Thüringen, wo im September gewählt wird, liegt die SPD im einstelligen Bereich. Die Neu-Seeheimer fordern auch eine „politische Neuausrichtung und Prioritätensetzung innerhalb der SPD“.

Droht der Thüringer SPD also das gleiche Szenario wie der Linken im Bund, die sich gerade in das Bündnis Sahra Wagenknecht und eine Rest-Linke gespalten hat? Auf keinen Fall, erklären Böhler und Tiefensee, sei es ihr Anliegen, die SPD zu spalten „Das wäre in der Tat ein Bärendienst.“ Und führen SPD-Chef Lars Klingbeil ins Feld. „Lars ist auch Seeheimer. Und niemand spricht von Spaltung.“

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