Deutsche Iran-Politik: Zeitenwende gegenüber Teheran

Nach dem Angriff auf Israel muss sich die deutsche Außenpolitik gegenüber Iran ändern. Welche Optionen gibt es?

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin des Auswärtigen, schaut sehr ernst.

Annalena Baerbock diese Woche in Italien beim Treffen der G7-Außenminister:innen, bei dem es auch um härtere Iran-Sanktionen ging Foto: Britta Pedersen/dpa

Im Sommer 2015 kann es dem niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) gar nicht schnell genug gehen. Am 14. Juli 2015, als die fünf UN-Vetomächte und Deutschland sich mit dem Iran auf ein Atomabkommen einigen, wirbt Lies für eine Reise nach Teheran. Von einer „70-köpfigen Wirtschaftsdelegation“ ist in einer Ankündigung die Rede, und von der „Chance für die Wiederbelebung der historisch guten deutschen Wirtschaftsbeziehungen“.

Weil damals mit dem Atomabkommen das umfassende UN-Embargo fällt, wittern deutsche Unternehmen und Po­li­ti­ke­r*in­nen das große Geschäft. „Selbstverständlich“, so heißt es in Lies’ Ankündigung, „wird es bei diesem Besuch auch um den Umgang mit Menschenrechten gehen.“

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Ein bisschen Menschenrechte und ganz viel Handel – jahrzehntelang war die deutsche Außenpolitik von diesem Geist beseelt, unter dem Motto „Wandel durch Annäherung“ oder eben „Wandel durch Handel“. Ein Konzept aus dem Hause SPD. Gegenüber Russland war es Praxis, aber auch gegenüber dem Iran.

Niedersachsens Wirtschaftsdelegation steht dafür als Beispiel, Frank-Walter Steinmeier (SPD) trieb es als Außenminister voran. Als Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) 2015 als einer der Ersten nach Teheran reiste, entgegnete er Kritiker*innen, er sei dem Motto „Kontakte statt Konflikte“ gefolgt.

Naiv gegenüber der Bedrohung?

All das ist neun Jahre her. Es war vor Trumps Ausstieg aus dem Atomdeal, vor der feministischen Revolte im Iran, vor der russischen Invasion der Ukraine, vor dem 7. Oktober 2023 und dem Gazakrieg. Und vor dem iranischen Angriff auf Israel mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen am 14. April diesen Jahres, der auf eine Bombardierung eines Konsulargebäudes in Damaskus folgte, bei der mutmaßlich Israel auch zwei hochrangige iranische Generäle der Al-Kuds-Brigaden der Revolutionsgarden getötet hat.

Am Freitag wiederum kam es zum mutmaßlichen Gegenschlag Israels. Der iranische Angriff am Wochenende zuvor jedenfalls war der erste direkt auf israelisches Staatsgebiet, bei dem das Mullah-Regime nicht stellvertretend die Terrororganisationen Hisbollah oder Hamas benutzte. Eine Zäsur. Bedeutet das eine Zeitenwende gegenüber dem iranischen Regime, ein Umdenken, wie es schon gegenüber Russland stattgefunden hat?

Hört man sich unter Exil-Iraner*innen und Regime-Kritiker*innen um, so glauben viele nicht daran. Eine „Strategielosigkeit“ gegenüber der Islamischen Republik kritisiert etwa die Aktivistin und taz-Autorin Daniela Sepehri. Man sei naiv gegenüber der Bedrohung gewesen, nicht konsequent und setze weiterhin auf eine „Appeasement“-Politik. Deutschland bleibe für den Iran der wichtigste Handelspartner innerhalb der EU.

Gleichwohl erkennt Sepehri Fortschritte an, etwa die Fact Finding Mission der UN. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte sich im November 2022, zwei Monate nach Beginn der feministischen Revolte im Iran, beim UN-Menschenrechtsrat für eine unabhängige Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen im Iran eingesetzt. Im März 2024 stellten die Ex­per­t*in­nen in einem Bericht fest, dass es bei der gewalttätigen Unterdrückung der Proteste zu Tötungen gekommen sei, zu Folter und Vergewaltigungen – zu „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. Die UN-Mission wurde Anfang April für ein weiteres Jahr verlängert.

Thema: Revolutionsgarden auf EU-Terrorliste

Mehrfach folgten seit September 2022 neue EU-Sanktionspakete gegen iranische Unternehmen und Regimevertreter, Baerbock äußerte offen Kritik und wurde aus Teheran dafür angefeindet.

Am Donnerstag erklärte sie am Rande eines G7-Außenministertreffens: „Der Iran muss isoliert sein. Und zugleich darf es zu keiner weiteren Eskalation kommen.“ Beim Treffen wurde über weitere Sanktionen verhandelt, auch die EU kündigte neue Maßnahmen an, in Bezug auf Drohnen- und Raketen-Produktion. Ebenso war die Aufnahme der Revolutionsgarde auf die Terrorliste der EU erneut Thema.

Die Revolutionsgarden, die nach der Islamischen Revolution 1979 als Gegengewicht zur regulären Armee gegründet wurden, sind stark in die iranische Wirtschaft verstrickt. Ihre Spezialkräfte, die Al-Kuds-Brigaden, orchestrieren das weltweite Terrornetzwerk des Iran.

Anfang 2023 hatte Baerbock beteuert, sie auf die EU-Terrorliste setzen zu wollen. Passiert ist das bislang nicht. Dafür erntet die deutsche Außenministerin regelmäßig Kritik. Monatelang hatte ihr Ministerium unter anderem auf ein vertrauliches Rechtsgutachten des Juristischen Dienstes des Europäischen Rats verwiesen, wonach dafür die Rechtsgrundlage fehle.

Recherchen der taz zeigten, dass dies aus dem Gutachten selbst so nicht hervorgeht. Immer wieder hieß es: Die Terrorlistung müsse rechtssicher sein und dass sie nicht über Sanktionen hinausgehe, die im Bezug auf Massenvernichtungswaffen für die Revolutionsgarden bestehen. Der politische Preis für eine Durchsetzung in der EU sei hoch, es drohe Vergeltung durch den Iran und ein Abbruch jeglicher Gesprächskanäle. „Kontakte statt Konflikte“ also?

Rote Linien gegenüber dem Regime

Am Mittwoch sagte Baerbock im Interview mit den „Tagesthemen“, man habe die EU erneut gebeten, die Terrorlistung zu prüfen. Sie verwies auf ein jüngstes Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen einen Deutsch-Iraner wegen eines geplanten Anschlags auf eine Synagoge. Die Richter hatten festgestellt, dass die Anschlagsplanung auf „eine staatliche iranische Stelle“ zurückgeht. Unter anderem die taz hatte berichtet, dass die Er­mitt­le­r*in­nen die Revolutionsgarden dahinter vermuten. In der Urteilsbegründung wurden diese aber nicht explizit benannt – unwahrscheinlich also, dass dies für eine Listung herangezogen werden kann.

Ulrike Becker, Historikerin und Forschungsleiterin beim Mideast Freedom Forum Berlin, kritisiert, dass Deutschland dem Iran nicht längst konsequenter gegenübertritt. Nicht nur die Revolutionsgarden bedrohten Jüdinnen und Juden sowie iranische Oppositionelle auch in Deutschland. Sie verweist zudem auf das Islamische Zentrum in Hamburg. Im November 2022 hatte der Bundestag beschlossen, dessen Schließung zu prüfen. Es gilt als ideologischer Brückenkopf des Regimes in Europa, teils mit Nähe zur Hisbollah. Das Bundesinnenministerium ermittelt, im November gab es Durchsuchungen. Geschlossen ist das Zentrum bis heute nicht.

„Es braucht klare rote Linien gegenüber dem Regime“, sagt Becker. Der Handlungsspielraum müsse auf allen Ebenen eingedämmt werden – innenpolitisch, außenpolitisch, mit Sanktionen und Diplomatie. Deutschland habe sich jahrelang gegen harte Sanktionen gesperrt.

Wandel durch Handel? „Das ist ein Hohn“, sagt sie. Bei der Menschenrechtslage in Iran habe sich nichts verbessert. Das müsse sich nun endlich ändern, durch eine harte Gangart, denn obwohl es das Ziel der Bundesregierung sei, eine Eskalation und einen großen Krieg zu verhindern, führe der aktuelle Kurs genau darauf zu. Er ermutige das Regime, Israel anzugreifen.

Ausweitung von Sanktionen

Die Diplomatie sei aber nicht am Ende, das hätten die Jahre ab 2012 gezeigt: Harte Iran-Sanktionen, die vor allem von US-Präsident Obama vorangetrieben wurden, hätten Iran an den Verhandlungstisch gebracht, was letztlich zum Atomdeal führte. Das Ziel der Zusammenarbeit mit dem Regime sieht Becker jedoch als Fehler. „Es ist jetzt wichtig, dass die Bundesregierung sich ganz klar auf die Seite der Menschen im Iran stellt und einen Regimewechsel politisch offen unterstützt“, fordert Becker.

Eine härtere Gangart halten jedoch nicht alle im politischen Berlin für den richtigen Weg. Azadeh Zamirirad, Wissenschaftlerin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, erklärte gegenüber dem Spiegel, dass Sanktionen den Iran aus ihrer Sicht nicht von weiteren Angriffen auf Israel abhalten würden.

Statt nur zu schauen, wie man den Staat schwächt, solle man die iranische Zivilgesellschaft stärken. Zamirirad findet, dass die Bundesregierung über diplomatische Kanäle für Deeskalation sorgen und mit anderen EU-Partnern über China und die arabischen Golfstaaten auf Iran einwirken soll.

Auch Bauke Baumann, Nahost-Referent bei der Heinrich-Böll-Stiftung, zögert hinsichtlich einer massiven Sanktionsausweitung. Die Gefahr bestehe, dass sich die Bevölkerung wieder stärker hinter dem Regime versammeln könne. „Die deutsche Außenpolitik sollte nicht den Fehler machen und ausschließlich auf maximalen Druck sowie militärische Abschreckung zielen und dabei die Menschen aus dem Blick verlieren“, sagt er.

Der Snapback-Mechanismus des Atomabkommens

Der Angriff auf Israel habe gezeigt, dass man den Iran stärker in der Region isolieren müsse. „Ich halte es da für zentral, den Gazakrieg zu beenden. Das würde es den Nachbarstaaten innenpolitisch erleichtern, mit Israel zu kooperieren.“ Deutschland allein sei jedoch nicht in der Lage, genug Druck aufzubauen. Nicht ohne die USA.

Doch mit Joe Biden hat sich auch dort der Kurs gewandelt. Experten weisen darauf hin, dass unter seiner Präsidentschaft das Ölembargo der USA gegen Iran nicht konsequent durchgesetzt wird, wohl auch aus Sorge um den Ölpreis. Gerade beim Öl aber sei der Iran verwundbar, erklärt der Ökonom Mahdi Ghodsi im Spiegel. Rund 1,5 Million Barrel Öl am Tag würden aktuell exportiert, vor allem Richtung China und Indien. Laut Ghodsi gebe es Hinweise, dass unter anderem Ungarn iranisches Öl und Gas importiere. Beim Ölexport anzusetzen, wäre also eine konkrete Option, den Druck auf den Iran zu erhöhen.

Eine weitere Möglichkeit wäre der sogenannte Snapback-Mechanismus des Atomabkommens. Deutschland ist bis heute offiziell Vertragspartner, und könnte diese Karte ziehen – zumindest bis Oktober 2025, solange das Abkommen besteht. Der Mechanismus sieht vor, dass im Falle eines Vertragsbruchs durch den Iran die früheren umfassenden UN-Sanktionen wieder in Kraft treten. Russland oder China könnten diese nicht durch ein Veto verhindern – ob sie sie mit durchsetzen würden, stünde auf einem anderen Blatt.

Seit die USA das Atomabkommen einseitig aufgekündigt haben, hat das Regime in Teheran die Uran-Anreicherung ausgebaut und die Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) eingeschränkt – ein klarer Vertragsbruch. Laut der IAEA verfügt der Iran aktuell über rund 120 Kilogramm 60-prozentigen Urans. Für eine Atombombe wäre laut Experten 90-prozentiges Material nötig, der Weg bis dahin sei eher eine Frage von Wochen als Monaten. Bis zu einer Bombe, mit Trägersystem und Auslösemechanismus, bräuchte es wohl noch etwas länger. Ein Zeitfenster, das es zu nutzen gilt.

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