Die Kunsthalle Basel zeigt Lu Yang: Frage nach der Conditio humana

Identität so flüssig wie die Kapitalströme: Die Kunsthalle Basel widmet Lu Yang aus Shanghai eine Schau, die einer ADHS-Hyperpop-Hölle gleicht.

Blick in einen Raum wie eine Kapelle mit leuchtenden Motiven auf Bildschirmen

Lu Yang, Electromagnetic Brainology, 2017, Installationsansicht, in der Kunsthalle Basel, 2023 Foto: Philipp Hänger/Kunsthalle Basel

Wer Lu Yangs Kunst hören und sehen will, muss knien. Der Weg in den Videospielabgrund beginnt mit einem festlich geschmückten Sakralraum. Dessen Altar ist die 5-Kanal-Videoinstallation „Electromagnetic Brainology“ und dessen Seiten sind abermals von diversen flirrend-klingenden Videoarbeiten gesäumt, die nur voll wahrnehmen kann, wer sich auf die bereitgestellten Kniebänke begibt, so wie während einer katholischen Messe.

Die Kunsthalle Basel zeigt „Lu Yang. Vibratory Field“, eine große Einzelschau des 1985 in Shanghai geborenen Künstlers, der zuletzt zum Beispiel in Berlin und auf der Kunstbiennale in Venedig zu sehen war – oder jetzt in der großen Schau über Kunst und Videospiele der Düsseldorfer Julia Stoschek Foundation. Die Ausstellung in Basel bietet aber einen besonders umfassenden Einblick in Yangs Kunst – und der historische Bau tut den Videoarbeiten gut.

Den ersten Raum des Parcours kann man mit wenig Fantasie tatsächlich für eine einstige Kapelle halten. Schummrig ist es in der Gaminghalle wie im Kirchenschiff, und nach einiger Zeit lässt sich in Lu Yangs ADHS-Hyperpop-Hölle sogar etwas Andächtiges erkennen.

Yangs überbordende Digitalwelten sind stets eingefasst in den sorgfältig gestalteten realen Raum, aus dem heraus sie in ihre Meta-Universen entführen. In wilden Stakkati begegnen einem Cyborgs, Götter und Menschen, oft angelehnt an den Künstler selbst.

Chinoiserie, Gaming-Ästhetik, Kitsch, Artyness, Satanismus, tibetischer Buddhismus, Techno und natürlich Fashionpunk

Sie erscheinen in ständiger Transformation wie die Kulissen, durch die sie gejagt werden: Chinoiserie und Gaming-Ästhetik, Kitsch, Artyness, Satanismus und tibetischer Buddhismus, Techno, Fashionpunk, Neurologie und Verhaltenstherapie dreschen im Soundgewitter eines nie enden wollenden Youtube-Videos auf ihr Publikum ein. Derweil wird von einer Off-Stimme philosophiert über das Sein und das Selbst, Höllenqualen, Bewusstsein, Wahrnehmung.

Teenage Angst, Teenage Schmerz, Teenage Euphoria

Lu Yang zeigt ein ausgesprochenes Interesse an den körperlichen Funktionen des Menschen, insbesondere seiner Neurologie. Wer steuert wen und was? Als Mann und Frau hat er sie geschaffen, spottet eine Arbeit über die binären Geschlechter, während sich im „TMS Exorcism“ die moderne Saga einer brachialen Psychotherapie mittels Magnettechnik verbirgt.

Teenage Angst, Teenage Schmerz, Teenage Euphoria: Eine herrlich theatralische, bildgewordene verlängerte Adoleszenzstörung ist das hier. Zwar soll nun auf Künstlerwunsch das Geburtsdatum keine Rolle mehr spielen. Aber es ist doch bemerkenswert, dass Yang gut zehn Jahre älter ist als viele, denen das Zuhause in virtuellen Welten gemeinhin zugeschrieben wird. Und tatsächlich meint man in dieser Schau den Abschied vom Körper als noch ebenso sagenhafte Möglichkeit wie unwiederbringliche Verlusterfahrung erzählt zu bekommen.

Dem Drang, stets flexibler und kommoder zu werden, setzt Lu Yang das homöopathische Prinzip entgegen, Gleiches mit Gleichem zu kurieren: Noch fluider sein! Flüssig wie die Kapitalströme, Datenströme, Plasmaströme, Hormon- und Blutkreisläufe –äquivalent dazu die Identitäten; Politik, Religion, Alter, Geschlecht, soziale und ethnische Herkunft. Was bleibt, ist nur folgerichtig das künstlerische Branding – Persona und Kunst werden von Yang bewusst in eins gesetzt; vor jeder Schau legt er fest, welches Gender jeweils in Ausstellungstexten aktuell verwendet werden soll.

Weisheit auf Tiktok

Fließende Bewegung stellt auch das Tanzen dar. Wer hin und wieder Tiktok-Videos schaut, weiß, dass sich hier unfreiwillig manche Lebensweisheit zwischen den Moves verbergen kann. Bei Lu Yang tanzen Avatare und Kulissen permanent vor sich hin, um zwischendurch zum Beispiel tragikomisch das Schopenhauer’sche Dilemma des Menschseins im Informationszeitalter zu kommentieren.

Lu Yang: „Vibratory Field“, Kunsthalle Basel, bis 21. Mai 2023

Das ist die große Überraschung in diesem überwältigenden, lustigen wie gnadenlos unpolitischen (im realpolitischen Sinne – und daher umso zwingenderen) Werk: Messerscharfe Beobachtungen, die sich im Augenblick einer Sekunde manifestieren können. Die selten in Theorie münden, sondern stets nur weiter durch den Äther gejagt werden wie ein Hyper-Bewusstsein, das an sich selbst irre geworden ist.

So fragen sie permanent nach der Conditio humana, und zwar wörtlich nach ihren Bedingungen. Denn vor dem „Bin’s noch ich im virtuellen Raum“ wäre Grundlegendes zu klären: Ist es noch derselbe Mensch, wenn ihm ein Arm amputiert wird? Wenn sich sein mentaler Zustand ändert, weil er Medikamente nimmt, krank wird, in Therapie geht? Gehört zum Ich, was man nur empfindet, aber nicht am Körper trägt? Und, unausgesprochen: Ist der viel größere Schrecken nicht schließlich der, dass dies alles gar keine Rolle spielt?

Lu Yang würde Letzteres wohl eher als Chance behaupten. Er hat seinen Eskapismus als künstlerische Fluchtroute längst gefunden. Zum Avatar werdend, ist die nächste Reinkarnation niemals weit.

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