Die Linke, Wagenknecht und Migration: Ein bisschen Frieden

Partei und Fraktion treffen sich zur Aussprache im Bundestag. Als Erfolg gilt schon, dass Sahra Wagenknecht bis zum Schluss zuhört.

Sahra Wagenknecht spricht im Bundestag

Plötzlich innerparteilich kompromissfähig? Sahra Wagenknecht im Bundestag Foto: dpa

BERLIN taz | Für die Grünen geht es derzeit bergauf, für die Linkspartei eher bergab. Bei acht Prozent liegt die Partei aktuell in Umfragen. Wie unterschiedlich gut die Stimmung ist, zeigte sich auch am Freitagabend in Berlin. Abgeordnete der Grünen trafen sich bei Wraps und Kuchen im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus des Bundestags und schauten zusammen den Dokumentarfilm „The cleaners“. Ein Stockwerk darüber tagten die Abgeordneten der Linken gemeinsam mit dem Parteivorstand. Zu essen gab es zunächst: nichts.

Man traf sich ja auch zum Krisengespräch, harmloser formuliert zur Aussprache. Diese war vom Parteitag im Juni schon beschlossen worden. Über nichts anderes streitet die Partei derzeit so erbittert wie über die Migrationspolitik. Das Thema ist umstritten auch deshalb, weil die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht immer wieder betont, dass sie die Position der „offenen Grenzen für alle“, wie sie im Parteiprogramm festgeschrieben steht, für völlig utopisch hält. Wagenknecht setzt sich für eine Begrenzung von Migration ein. Diese inhaltliche Debatte wird in der Linken in den vergangenen Monaten zunehmend offener als Machtfrage gestellt und gipfelte zuletzt in der unverholen vorgetragenen Forderung: Wagenknecht muss weg.

Am Freitag im Bundestag blieb Wagenknecht sitzen und hörte bis zum Schluss zu. Schon allein das kann die Linke derzeit als Erfolg verbuchen.

Die Erwartungen an die Aussprache waren divers. „Bringt ja eh nichts“, meinten vor allem einige Mitglieder der Fraktion, in der die Stimmung besser sein könnte. „Sie macht sowieso, was sie will.“ Mag sein: Wagenknecht, die in grüner Kurzjacke erschien und sich sofort von MedienvertreterInnen umstellt sah, macht jedenfalls kein Hehl daraus, dass sie sich auch künftig nicht der per Parteitagsbeschluss dekretierten Mehrheitsmeinung verpflichtet sieht. Was das Ergebnis der Veranstaltung sein werde? „Natürlich werde ich morgen nicht behaupten, dass jeder, der kommen will, kommen darf“, sagte sie, das Kinn erhoben.

Andere, besonders Mitglieder des Parteivorstands, freuten sich auf die Debatte: Es sei gut, dass man sich endlich mal treffe und reden könne. In der Tat war es das erste Mal, dass sich der 44-köpfige Parteivorstand und die 69 Mitglieder starke Fraktion in dieser Form trafen.

Selbstverpflichtung und Sprachregelung

Und so redete man denn. Nach Eingangsstatements der vier Vorsitzenden von je fünf Minuten kam jeder mal dran, fünf Stunden lang. Man redete und redete und zwar wie viele TeilnehmerInnen in der Pause – da gab es sogar Kuchen und Schnittchen – berichteten, auf angenehm sachlichem Niveau. Selbst Wagenknecht schmauste mit Appetit: „Ich bin positiv überrascht über die Sachlichkeit der Debatte“, sagte sie.

„Kontrovers, sachlich, konstruktiv“, lautet das Fazit von Katja Kipping

Ein gemeinsames Papier der Fraktions- und Parteivorsitzenden, welches nur wenige Stunden zuvor gemeinsam ausgehandelt worden war und neben zahlreichen Gemeinsamkeiten auch den zentralen Dissens, nämlich die Frage der Arbeitsmigration behandelte, hatte es ermöglicht, die aufgeheizte Stimmung zu befrieden. Viele, darunter auch Wagenknecht selbst, begrüßten das Papier als eine gemeinsame Diskussiongrundlage.

Die Parteiführung legt es indes etwas enger aus, nämlich als Selbstverpflichtung und Sprachregelung, an die sich Wagenknecht künftig zu halten habe. Ob sie das tut, ist die spannende Frage.

„Sehr sachliche Debatte“

Natürlich gab es auch Kritik: wie sich die Führungsrolle in der Partei mit ihrer herausgehobenen Rolle bei der Sammlungsbewegung Aufstehen vertrage, wurde Wagenknecht gefragt. Ein Genosse warf dem gesamten Quartett an Partei- und Fraktionsspitze, Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Katja Kipping und Bernd Riexinger, komplettes Führungsversagen vor. Andere meinten, man müsste generell mal über eine zeitliche Begrenzung von Mandaten und über ein Rotationsprinzip nachdenken.

Als man sich nach fünf Stunden trennte, waren die Gesichter überwiegend zufrieden: „Sehr sachliche Debatte“, meinte Wagenknecht und entschwand im Fahrstuhl. „Kontrovers, sachlich, konstruktiv“, lautet das Fazit von Katja Kipping.

Am 16. Februar, also gut einen Monat nach der geplanten Klausur der Fraktion im Januar, wollen sich die Linken zur Fachtagung treffen, um zu überlegen, wie man Arbeitsmigration tatsächlich regeln könnte. Und ob. Dann wollen sie vor allem zuhören und ExpertInnen reden lassen. Und zumindest Janine Wissler, die als Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen ihre Partei gerade wieder in den Landtag geführt hat, ist optimistisch, dass Sahra Wagenknecht kommen wird. Als Fraktionsvorsitzende im Bundestag.

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