Die Wahrheit: Wir Kinder aus Ballerbü

Den kleinen Finger geben, damit die Hand dranbleibt: Umstrittene Branchen peppen ihr Image neuerdings mit hippen Filmproduktionen auf.

Cartoon: ein Mann im Frauenkleid hält eine Pistole. Er ist im Fokus einer Kamera, deren Verschluss halb zu ist und in der oberen Hälfte blutverschmiert - soll an das klassische James-Bond-Intro gemahnen

Illustration: Ari Plikat

Dem neuen „Barbie“-Film von Greta Gerwig wurde hie und da vorgeworfen, dass der 145 Millionen Dollar teure Hollywood-Blockbuster das Patriarchat anders verhandle als etwa das queerfeministische Missy Magazine. Das ist so, als wäre der Hauptvorwurf gegen Hitler, er hätte scheiße gemalt. Wir befassen uns deshalb lieber mit einem ernstzunehmenderen Kritikpunkt: Der milliardenschwere Barbie-Hersteller Mattel hat sich an der Finanzierung und Bewerbung des Projekts beteiligt.

Ganz offensichtlich wurde zwischen Spielzeugzar und Regisseurin hart um Details gedealt. Zwar darf ein Mädchen die Puppe im Film „sexistisch und faschistisch“ nennen, doch dafür bleibt mit dem Komplex Essstörungen ein zentraler Vorwurf gegen das Barbie-Ideal komplett außen vor. So behält der Konzern in einem entscheidenden Punkt die Deutungshoheit.

Mit diesem cleveren Konzept taugt Mattel zum Vorbild für andere Branchen, deren fragwürdiger Ruf ein Facelifting ebenfalls gut gebrauchen kann. Sie alle beteiligen sich nun an Filmproduktionen. So peppen sie ihr Negativ­image mithilfe pseudoselbstironischer Zitate auf. Man gibt den kleinen Finger, um eben nicht die ganze Hand zu verlieren.

Bereits im Schnitt befindet sich „Wir Kinder aus Ballerbü“, ein Kinderfilm des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Lasse, Bosse, Knarre, Kimme, Korn und Lisa leben in „Ballerbü“ in der schwedischen Provinz Småland auf einem kunterbunten Hof mit Hühpferdchen, Mähschäfchen und Grunzschweinchen neben der Waffenfabrik, in der ihre Eltern arbeiten.Die Waffen sind eigentlich sehr gut, weil sie in der Nacht den Schlaf der Kinder beschützen, doch sie dürfen auf keinen Fall in die falschen Hände geraten, wie zum Beispiel in die von Soldaten, Amokläufern, Jägern, Kriminellen, Sportschützen, Sammlern, Waffennarren oder Polizisten.

Bettelndes Kaninchenbaby

Am Anfang sehen wir tatsächlich auch, wie ein Biathlet aus allernächster Nähe auf ein um sein Leben bettelndes Kaninchenbaby abdrückt. Doch zum Glück explodiert die Patrone im Verschluss und reißt dem Bösewicht das halbe Gesicht ab.

Das ging ja gerade noch mal gut, doch damit auch in Zukunft nichts Schlimmes passiert, bilden unsere Filmfreunde daraufhin eine „Allianz der Vernünftigen“, zusammen mit dem Dorfzuckerbäcker Svensson, der harmlos verrückten Tante Torvquist sowie dem Mastino-Vielfraß-Mischling „Little Boy“. Sie sammeln in ganz Småland mit einem Enkeltrick die Waffen von Unbefugten ein, was auch den Vorteil hat, dass ihre Eltern immer wieder neue Kanonen bauen müssen. Das Geschäft floriert, und natürlich haben die Eltern auch Aktien, sodass es in Ballerbü jetzt täglich frische Zimtschnecken und den guten Heringssalat aus Knallköping gibt.

Um weg vom Ruch der skrupellosen Gierhälse zu kommen, die nicht säen, nicht ernten und sich doch vom Staat retten lassen, bringt wiederum die Commerzbank im Herbst ihr Arthouse-Sozialdrama „Gutes Geld“ in die deutschen Kinos: Bei einer Treibjagd im Privatforst eines Bankvorstands stoßen mehrere Commerzbank-Manager mitten im Wald auf die verfallene Kate einer armen Köhlerfamilie.

Sie schwatzen ihr einen überflüssigen Bausparvertrag auf und dafür das letzte Brot als Anzahlung ab. Als Pfand für die weiteren Raten nehmen sie das jüngste Kind mit, um es in einem Frankfurter Glasturm zum Arschloch auszubilden – die Eltern werden es nie wiedersehen.

Doch einer der Banker bekommt im Nachhinein ein schlechtes Gewissen und kehrt zur Hütte zurück, mit dem festen Vorsatz, den Armen ein Zehntausendstel seines Jahresbonus abzu­geben, also natürlich nicht zu schenken, aber immerhin zu einem annehmbaren Zinssatz zu leihen. Als er ankommt, sind leider schon alle verhungert, traurige Musik, Abspann, Credits.

Plutoniumbasierte Kontrazeptiva

Ein Happy End wird es dafür definitiv bei „Schneepillchen – Alles auf Turkey“ geben, dem in Kürze erscheinenden Märchenfilm von United Poison. Der internationale Pharma-Gigant aus Urexweiler, dessen Erfolg sich vor allem auf plutoniumbasierte Kontrazeptiva für Entwicklungsländer begründet, hat mit Regisseur Martin Scorsese einen Altmeister aus dem Hut gezaubert, der das Genre in neue, völlig ungeahnte Höhen katapultiert.

Der Ruf der Pharmazeuten als raffgierige Verbrecher wird hier von einer schönen Apothekerin konterkariert, die trotz der Drohungen durch eine böse Stiefkollegin, die Krebsmedikamente mit einer Gewinnspanne von 1.000 Prozent verhökert, sieben liebeskranke Zwerge aus Märkisch-Oderland mit kostenlosen Ärztemustern des Opioids Fentanyl kuriert, sodass sie auch ohne vorherige Wichsorgien wieder prima schlafen können. Dazwischen fliegen Pistolenkugeln und schwerblütige Männersprüche durch die immerdicke Luft, Scorsese halt.

Und auch die unter dem Druck sinkender Umfragewerte stehende Bundesregierung steigt nun endlich in das Imagespielfilmgeschäft ein. In Zusammenarbeit mit der Bundeszentrale für politische Bildung und Pixar entsteht der Animationsfilm „Scholz & Friends“, in dem das verschlafene Murmeltier Scholzi viele Abenteuer mit seinen kleinen Freunden erlebt – allen voran dem braukundigen Meerschweinchen Bierbock, dem ratlosen Retriever Robert und dem Mimimi, einer zwergenhaften Kreatur aus halb Koboldmaki, halb Finanzminister. Auf umweltschonenden Volksraketen düsen sie, so schnell sie wollen, durch einen herrlich gesunden Wald.

Wollen wir hoffen, dass der Streifen noch vor dem Konkurrenzprodukt der AfD fertig wird: „Der Übergang – Die ersten Tage im Führerbunker“.

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kari

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