Die Wahrheit: Sarg im Paradies

Manchmal verkompliziert die Liebe zur Heimat alles, wie sich am Beispiel der einst nach Amerika ausgewanderten Mary Folan auf heftige Weise zeigt.

Schnell nochmal nach Inis Meáin, bevor die Herbststürme einsetzen und die Bootsfahrt zum brechenden Erlebnis wird. Inis Meáin ist die mittlere der drei Aran-Inseln in der Bucht von Galway im Westen Irlands. Hier leben rund 160 Menschen, ihre Umgangssprache ist Irisch. Die Insel ist im Gegensatz zu den beiden anderen weitgehend untouristisch.

Dabei gäbe es genug zu sehen: Megalithanlagen der späten Jungsteinzeit oder die katholische Kirche Séipéal Muire Gan Smál agus Eoin Baiste – die Kirche der unbefleckten Empfängnis Marias und Johannes des Täufers. Sie stammt aus dem Jahr 1939 und ist recht schlicht, aber sie enthält ein paar wertvolle Buntglasfenster.

Hinter der Kirche und dem Pfarrhaus liegt das Grab des heiligen Kenderrig aus dem 7. Jahrhundert, man sucht ihn allerdings im offiziellen „A–Z der Heiligen“ vergeblich. Ebenso wenig findet man das Grab von Mary Folan, obwohl es 1967 bereits ausgehoben war. Folan wanderte 1929 nach Boston aus und arbeitete dort als Kindermädchen. Manchmal schickte sie ihren Nichten Lippenstifte, aber die Väter nahmen sie ihnen weg, weil sie ihre Schafe damit markieren wollten. Folan war erst 56, als sie an Krebs starb. Ihr letzter Wunsch war es, zu Hause auf Inis Meáin begraben zu werden. Der Bestatter Gene Sheehan, der ebenfalls aus Irland stammte, wurde mit der Wunscherfüllung beauftragt. Die erste Etappe war einfach, der Sarg wurde von Boston ins westirische Shannon geflogen.

Sarg reißt sich los

Danach wurde es aber kompliziert, wie neulich im Radio noch mal zu hören war. Um Folan auf die Insel zu bringen, mietete Sheehan einen Hubschrauber. Der Sarg wurde mit Riemen daran befestigt, aber kurz nach dem Start geriet er in Schwingungen und riss sich los. Folan landete in Paradise, im Paradies, wie die Gegend dort heißt. In der Zwischenzeit hatte man auf Inis Meáin das Grab ausgehoben und weiße Bettlaken ausgelegt, um den Landeplatz zu markieren.

Sheehan bat, man möge sich einen Tag gedulden. Er organisierte heimlich einen Leichenwagen, der den Sarg aus dem Paradies abholte und in die Nähe der Klippen von Moher auf einen Golfplatz fuhr. Dort wurde er wieder an den Hubschrauber gebunden. Sheehan hatte am Morgen einen Testflug mit einem anderen Sarg durchführen lassen, und das war gutgegangen. Seine Zuversicht war unbegründet. Der Sarg riss sich erneut los und landete im Meer. Mary Folan tauchte nie wieder auf. Der Pfarrer segnete geschwind das Meer und ließ das Grab zuschütten.

Einige Menschen glauben bis heute, dass Folan nie in dem Sarg war. Sheehan habe darin stattdessen Waffen für die Irisch-Republikanische Armee (IRA) von Boston nach Shannon geschmuggelt. Da der Sarg versiegelt war und die Papiere aus den USA in Ordnung schienen, hätte der irische Zoll keinen Verdacht geschöpft.

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Geboren 1954 in Berlin. 1976 bis 1977 Aufenthalt in Belfast als Deutschlehrer. 1984 nach 22 Semestern Studium an der Freien Universität Berlin Diplom als Wirtschaftspädagoge ohne Aussicht auf einen Job. Deshalb 1985 Umzug nach Dublin und erste Versuche als Irland-Korrespondent für die taz, zwei Jahre später auch für Großbritannien zuständig. Und dabei ist es bisher geblieben. Verfasser unzähliger Bücher und Reiseführer über Irland, England und Schottland. U.a.: „Irland. Tückische Insel“, „In Schlucken zwei Spechte“ (mit Harry Rowohlt), „Nichts gegen Iren“, „Der gläserne Trinker“, "Türzwerge schlägt man nicht", "Zocken mit Jesus" (alle Edition Tiamat), „Dublin Blues“ (Rotbuch), "Mein Irland" (Mare) etc. www.sotscheck.net

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kari

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