Direkte Demokratie in Schleswig-Holstein: Kläuselchen statt Klausel

Die Generalklausel in Schleswig-Holstein ist vom Tisch. Mit ihr wollte sich Schwarz/Grün ein Veto-Recht gegen kommunale Bürgerbegehren einräumen.

Auf einem Tisch liegen aufgeschlagene Bücher, deren Cover abwechseln grün und schwarz sind

Hier stand die Generalklausel noch drin: Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag Foto: Frank Molter/dpa

KIEL taz | Was der Bundesregierung die Gas­umlage, ist für Schwarz-Grün in Kiel die Generalklausel: Lange angekündigt, heftig diskutiert und am Ende kleinlaut zurückgezogen. „Eine Generalklausel wird es in Schleswig-Holstein nicht geben“, kündigte Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) am Freitag in Kiel an. Mit dieser Klausel, die CDU und Grüne in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart hatten, wollte die Regierung sich ein Veto-Recht gegen kommunale Bürgerbegehren einräumen, wenn diese der Landes­planung zuwiderlaufen.

Dagegen gab es reichlich Protest, also „sind wir noch einmal in uns gegangen“, so die Ministerin. Die Klausel ist nun vom Tisch, doch ganz verschwunden ist die Idee trotzdem nicht: Für Bürgerbegehren sollen künftig unter anderem neue andere Fristen gelten. Opposition und Verbände bleiben skeptisch.

„Wir begrüßen, dass die Klausel wegfällt, aber noch besser wäre es, die Politik insgesamt offener für Bürgerbegehren zu gestalten“, sagt Karl-Martin Hentschel vom Verein „Mehr Demokratie“ der taz. Dass die Regierung nun zurückrudert, hänge vermutlich mit der Kommunalwahl im kommenden Frühjahr zusammen: „Die CDU hat Muffensausen bekommen, dieses Thema vor der Wahl loszutreten“, mutmaßt Hentschel, der lang für die Grünen im Kieler Landtag saß.

Mit der im Koalitionsvertrag skizzierten Generalklausel wollte die Landesregierung Bürgerbegehren für unzulässig erklären, wenn sie sich gegen den Bau von Infrastrukturprojekten wie Krankenhäusern, Schulen, Kitas, Sozialwohnungen sowie Wind- oder Solaranlagen richte. Zwar seien „Bürgerbegehren ein demokratisches Instrument von herausragender Wichtigkeit, welches der Landtag in keiner Hinsicht in Frage stellt.

Demgegenüber ist allerdings ebenfalls unstrittig, dass Bürgerbegehren und die sich eventuell anschließenden Bürgerentscheide zu einer Verzögerung kommunaler Selbstverwaltungsaufgaben führen können“, heißt es in einem Antrag der Regierungsfraktionen.

Geist des Obrigkeitsstaats

Wie viel Zündstoff in dem Thema steckt, bekamen CDU und Grüne bei der Parlamentssitzung im September zu spüren. „Diese Klausel ist aus dem Handbuch für Untertanen“, schmetterte Bernd Buchholz (FDP), der bis zum Sommer als Minister der Jamaika-Regierung mit CDU und Grünen regierte. Für die geplanten Einschränkungen „gibt es einen Begriff: Das ist Willkür.“

Ähnlich sah es Kai Dolgner (SPD), den die Formulierungen des Regierungsantrags an Georg Orwells Dystopie „1984“ erinnerten: „Das ist schon fast unter Neusprech einzuordnen.“ Die Generalklausel „atmet den Geist des preußischen Obrigkeitsstaats und nicht den einer selbstbewussten Demokratie“, so Dolgner weiter, der besonders die Grünen ansprach: „Sie haben sich so lange über den Tisch ziehen lassen, bis Sie die Reibungshitze für Nestwärme gehalten haben.“

Lars Harms von der Minderheitenpartei SSW erklärte in Richtung Regierungsbank: „Bürgerbegehren sind nicht populistisch und destruktiv, sondern aktives politisches Handeln und demokratische Teilhabe.“

Nun versichert Ministerin Sütterlin-Waack: „Ein massiver Demokratieabbau, wie er uns als Landesregierung vorgeworfen wurde, wäre mit mir überhaupt nicht machbar.“ Es folgt ein Aber: Ein paar Einschränkungen soll es trotzdem geben, unter anderem zeitliche Begrenzungen.

So muss ein Bürgerbegehren innerhalb von drei Monaten komplett durchgezogen werden, zudem soll es eine Sperre von drei Jahren geben, innerhalb derer nicht erneut über ein einmal abgelehntes Thema abgestimmt werden darf. Außerdem wäre ein Begehren nicht möglich, wenn zwei Drittel des Kommunalparlaments hinter einem Beschluss stehen. Auch die Quoren, also die nötige Mindestanzahl an abgegebenen Stimmen, werden zum Teil angehoben, entscheidend ist hier die Gemeindegröße.

Planungssicherheit als Argument

Alle Einschränkungen dienten dazu, der Kommunalpolitik Planungssicherheit zu geben, so Sütterlin-Waack: „Ziel der Landesregierung ist ein maßvoller Ausgleich zwischen einer schnelleren Umsetzung von Vorhaben und der Wahrung des berechtigten Anspruchs der Bürgerbeteiligung.“ Schleswig-Holstein passe seine Vorgaben an die Regelungen vieler anderer Bundesländern an.

Für Bina Braun (Grüne) ist das im Vergleich zur alten Generalklausel die „bessere Lösung“: „Wir zeigen damit, dass unsere schwarz-grüne Koalition zuhört und zielorientiert zusammenarbeitet“, sagt die kommunalpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion.

Der Verein „Mehr Demokratie“, der gegen die alte Generalklausel Proteste angekündigt hatte, werde jetzt in Ruhe prüfen, was genau von den neuen Plänen zu halten sei, sagte Karl-Martin Hentschel. Für wenig sinnvoll hält er die Regel, dass Bürgerbegehren unzulässig sein sollen, wenn die Mehrheit im Gemeinde- oder Stadtrat groß genug ist. Und generell sei „die Angst vor dem Bürger unbegründet“, so Hentschel: „Bei über 1.000 Gemeinden in Schleswig-Holstein gibt es pro Jahr 25 Bürgerbegehren. Davon geht die Kommunalpolitik nicht unter.“

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