Dracula am Schauspiel Frankfurt: Von fremden Mächten gesteuert

Ein Vampir in Zeiten von Fake News: eigentlich eine gute Idee in Johanna Wehners Inszenierung des „Dracula“-Klassikers. Doch weit trägt sie nicht.

Bühnenfoto

Dracula im Schauspiel Frankfurt Foto: Arno Declair

Kein Biss, kein gieriger Blick. Nicht einmal ein Hauch des Monströsen ist von Dracula, diesem Fürsten der Finsternis, geblieben. In Johanna Wehners Adaption von Bram Stokers Weltklassikers (1897) für das Schauspiel Frankfurt werden wir stattdessen eines ergrauten, beinah gelangweilten Wiedergängers gewahr. Wenn überhaupt lässt allein noch die monumentale Kulisse (Bühne: Benjamin Schönecker) den Glanz vergangener Tage erahnen. Vor unseren Augen ragt ein Treppenaufgang mit hohen Fenstern empor.

Der Dachstuhl ist längst marode und der Putz bröckelt. Von des Vampirkönigs Schloss zeugt also eine Ruine, die ihre Besucher allein mit einem alten Getränkeautomaten im Empfangsbereich begrüßt.

Nun, was kann man von diesem Rest-Dracula überhaupt erwarten? Vor allem Misan­thro­pie, scheint der Untote doch zunehmend von den Gerüchten der Menschen genervt zu sein. Vom Geschwätz über die roten Augen, von dem allgemeinen „Wirbelsturm der Fantasterei“. Manchmal ruft der von Matthias Redhammer verkörperte Titelheld noch „alles Humbug!“ oder „alles gelogen!“ in die Runde. Aber vergebens.

Die eingeschworene Gruppe mit all den bekannten Figuren des Prosawerks, von der somnambulen Friedhofsgängerin Lucy (Judith Florence Ehrhardt) bis zum Vampirjäger Abraham van Helsing (Heidi Ecks), steigert sich im Vordergrund immer wahnhafter in die Bedrohungsszenarien durch den Blutsauger hinein, während die Story gänzlich in den Hintergrund tritt.

Pfahl ins Herz

Ja, auch Wehner lässt den Anwalt Jonathan (Christoph Bornmüller) nach Transsilvanien aufbrechen, um mit dem unheimlichen Grafen ein Immobiliengeschäft abzuschließen, und ja, auch in dieser Bühnenversion überquert Letzterer später den Atlantik, vergeht sich an der zukünftigen Frau des Juristen, Mina, und wird dafür mit dem Pfahl ins Herz getötet.

All dies erwähnt das ­Ensemble, aber im Fokus steht die Angst, das Phantasma vom Schrecken, das sich zum Fanatismus auswächst. Obwohl die Regisseurin keine einzige Anspielung auf unsere von Fake News durchgeschüttelte Gegenwartsgesellschaft vornimmt, erweist diese sich als Hauptadressat dieser Inszenierung. Als wären die Spie­le­r:in­nen von den viralen Posts unserer Tage erfasst, murmeln sie häufig tranceartig die Worte „In meinen Ohren ein Singen“ vor sich hin, erinnernd an ein wachsendes, gefährliches Geschwür.

Dracula als Folie für die nervöse Ära von explosivem Shit-Storm und Panikmache? Eigentlich ein innovativer Zugriff auf den Text, sollte man meinen. Doch leider trägt die Idee nicht über das sich knapp zwei Stunden erstreckende Arrangement. Wo uns so viel nacherzählt wird, tut sich auf der Ebene der sichtbaren Handlung nichts. Um den Charakter des Briefromans wiederzugeben, laufen die Figuren zu ihrem aufgesagten Text bisweilen wie auf Zeilen von rechts nach links.

Mal rotten sich die, die behaupten „Wir sind die richtigen“, zusammen, um den ironischen Gesang „Froh zu sein bedarf es wenig“ zu intonieren, mal geistern sie von scheinbar fremden Mächten gesteuert auf dem Parkett umher.

Das infektiöse Hirngespinst

Unterlegt wird das zähe Gebaren mit schauerlichen Klavier­tönen. Dabei gilt stets das Credo: Nichts darf wirklich dargestellt werden. Nur so wird aus den vermeintlichen Machenschaften Draculas, der das Ganze zumeist passiv mitverfolgt, ein infektiöses Hirngespinst.So radikal diese Konzeption auch anmutet – kaum ein Bild generiert einen Mehrwert, kein einziger nachwirkender Moment bleibt von dieser Aufführung hängen.

Und dann noch diese Frage: Was hätte man heute nicht alles aus diesem Mythos herausarbeiten können? Wie verhält es sich aktuell mit dem Vampir als melancholischer Zeitkritiker wie in Jim Jarmuschs „Only Lovers Left Alive“? Was taugt noch der spätmoderne Dandy in „Interview mit einem Vampir“? Oder gar: Welche Rolle spielt noch der Wiedergänger als Menetekel neofaschistischer Umtriebe, wie ihn einst Friedrich W. Murnau in „Nosferatu“ entwarf?

Letztendlich steht der Frankfurter Dracula etwas hilflos im Raum, müde und völlig blutleer.

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