Drogenkiez in Kreuzberg: Investor will Suchtpraxis loswerden

Ein Ärz­t*in­nen­team am Schlesischen Tor in Kreuzberg behandelt auch und vor allem Menschen mit Drogensucht. Nun soll die Praxis nach 40 Jahren raus.

Das Team der Kiezpraxis in Kreuzberg hat sich um ein Protesttransparent versammelt, auf dem steht "Kiezpraxis muss bleiben"

Kämpfen, um zu bleiben: Das Team der Gemeinschaftspraxis am Schlesischen Tor Foto: Metin Yilmaz/Bizim Kiez

BERLIN taz | Obwohl sich das Drogenproblem in Berlin weiter zuspitzt, muss eine Praxis für Abhängige am Schlesischen Tor in Kreuzberg seine Räume wohl bald dichtmachen. Die Gemeinschaftspraxis, die auch über 100 opiatabhängige Substitutionspatienten behandelt, soll zum Ende des Jahres ausziehen. Eine Kapitalgesellschaft mit Sitz in Luxemburg will den Mietvertrag nach 40 Jahren auslaufen lassen. Seit fast zwei Jahren versucht die Praxis, den Gewerbemietvertrag verlängern zu lassen, seit fast zwei Jahren wurde sie vertröstet. Dann kam die Ablehnung aus Luxemburg.

Die Praxis will das nicht hinnehmen. Man habe sich auf allen Ebenen an Po­li­ti­ke­r*in­nen gewandt, berichtet Arzt Volker Westerbarkey. Was ihn und sein Team überrascht habe: „Wir haben viele Rückmeldungen und Unterstützungsangebote bekommen, die aber noch nicht zum durchschlagenden Erfolg geführt haben“, sagt Westerbarkey.

Die Praxis kümmert sich nach eigenen Angaben um über 130 Substitutionspatienten. Dabei handelt es sich vor allem um Heroinabhängige, die ein Ersatzopioid bekommen, das Entzugssymptome unterdrückt, ohne gleichzeitig einen Rausch auszulösen. Die Substanzen werden meist als Tabletten verabreicht, manchmal auch per Spritze ins Unterbauchfett. Darüber hinaus behandelt die Praxis jährlich 5.000 bis 6.000 Patienten, darunter Suchtkranke, die andere Drogen konsumieren oder unter Begleiterscheinungen leiden.

Über die Behandlung und Verabreichung der Substitute hinaus profitieren die Pa­ti­en­t*in­nen vor Ort auch von der sozialen Einbindung in der Arztpraxis. Besonders diese soziale Verwurzelung wäre durch einen Umzug bedroht. Die Ärztin Christiane Stöter verweist in dem Zusammenhang auch auf die hausärztliche Versorgung von älteren Menschen und solchen mit Beeinträchtigung. „Wenn wir gehen müssen, wird unser komplexes Versorgungssystem zusammenbrechen und es entsteht eine substanzielle medizinische Versorgungslücke im Herzen Kreuzbergs.“

Christiane Stöter, Ärztin

„Wenn wir gehen müssen, wird unser Versorgungssystem zusammenbrechen“

Demo gegen Verdrängung

Westerbarkey sagt: „Wir bereiten uns gerade in alle Richtungen vor.“ Denn Unterstützung hin oder her: Der Gemeinschaftspraxis am Schlesischen Tor droht jetzt ein ähnliches Schicksal wie dem Drogennotdienst am Checkpoint Charlie. Der Notdienst musste 2022 nach Spandau umziehen. Etwa 20 Prozent der Heroin-Substituierten sollen dort seitdem nicht mehr in Behandlung sein.

Dem Praxisteam zufolge will sich die Kapitalgesellschaft nicht auf Verhandlungen einlassen, schon die Kontaktaufnahme gestalte sich schwierig. „Das lässt total viel Raum für Unverständnis“, sagt Westerbarkey. Gleichzeitig bleibe die Hoffnung, dass sich der Eigentümer zumindest noch zu einer Vertragsverlängerung durchringen kann, sodass die Praxis geeignete Räume in Kreuzberg finden kann. Die Zeit drängt. Unterstützt von der Initiative Bizim Kiez will das Praxisteam deshalb am 22. November vor dem Haus am Schlesischen Tor gegen das Auslaufen ihres Mietvertrages demonstrieren.

In ganz Berlin hat sich das Drogenproblem in den vergangenen Jahren verschärft. Starben 2017 noch 168 Personen infolge des Konsums, gab es vergangenes Jahr bereits 230 Drogentote. Besonders in den Kiezen um den nicht weit vom Schlesischen Tor gelegenen Görlitzer Park verschlechtert sich die Situation, Abhängige konsumieren Drogen vermehrt in Treppenhäusern und Hinterhöfen. Dagegen hilft offenbar auch die massive Polizeipräsenz nicht: Niedrigschwellige Hilfsangebote sind deshalb umso relevanter.

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