E-Scooter-Plage: Verlässlich im Weg

Seit Einführung neuer Regeln gegen wildgeparkte E-Scooter hat sich kaum etwas verbessert. Der Fachverband Fußverkehr fordert ein Aus für die Anbieter.

E-Scooter hängt an einem Schornstein

Auch falsch geparkt – aber immerhin nicht behindernd Foto: Julian Stratenschulte/dpa

BERLIN taz | Mach mal Pause! So lautet kurzgefasst die Forderung des Vereins FUSS e.V. an die Anbieter von E-Scooter-Sharing, genauer genommen: an den Senat, der diesen Anbietern Genehmigungen erteilt. Der Sprecher des Fachverbands Fußverkehr, Roland Stimpel, erklärte am Freitag, die vier derzeit in Berlin operierenden Anbieter missachteten massiv die Auflagen, die für sie seit einem Jahr gelten. Sein Fazit: „Wir brauchen eine Zäsur.“ Die Senatsverkehrsverwaltung müsse die Bedingungen für E-Scooter grundlegend verändern – „dann können wir uns auch mit diesen Fahrzeugen arrangieren“.

Stimpel legte bei einem Pressetermin vor dem Roten Rathaus eine Untersuchung vor, für die Freiwillige in der letzten Augustwoche in drei exemplarischen Gebieten bei allen E-Scootern bewerteten, ob deren Parksituation den Vorgaben entspricht. Ausgewertet wurde die Gegend rund um die Straße Unter den Linden in Mitte, an der Schöneberger Hauptstraße und in Alt-Tempelhof. Insgesamt fällt das Ergebnis ernüchternd aus: Die Zahl der erfassten, aber auch der Anteil der „störenden“ Fahrzeuge habe fast genau der des vergangenen Jahres entsprochen, heißt es in dem Papier.

Dabei hat sich seitdem einiges geändert, zumindest auf rechtlicher Seite. Seit September 2022 definiert ein neuer Paragraf im Berliner Straßengesetz das Roller-Geschäft als Sondernutzung des öffentlichen Straßenlands, die von den Anbietern beantragt werden muss. An die Erteilung der Genehmigung – die zum Auftakt keinem der Anbieter versagt wurde – knüpft die Verkehrsverwaltung eine Vielzahl an Regeln.

So müssen die Firmen jetzt sicherstellen, dass ihre KundInnen die Scooter in gebührendem Abstand etwa von U-Bahn-Ausgängen oder Bushaltestellen parken. Werden die Fahrzeuge an einem Gehweg abgestellt, muss dieser in mindestens 2,30 Meter Breite frei bleiben. Wo ausgewiesene Parkflächen für Sharing-Fahrzeuge vorhanden sind, gilt sogar ein großzügiger Sperrradius – nur gibt es außerhalb des Bezirks Mitte aber bislang kaum solcher Flächen.

Im Umkreis der Linden, wo die Nutzung durch TouristInnen überwiegt, haben die FUSS-AktivistInnen dabei tatsächlich einen Rückgang von E-Scootern festgestellt, die behindernd herumstehen oder -liegen. Das dürfte auch der Tatsache geschuldet sein, dass sich die in Mitte zuständige Stadträtin Almut Neumann (Grüne) sehr für die Ausweisung besagter Abstellplätzen einsetzt – in Zusammenarbeit mit der „Jelbi“-Sparte der BVG, aber auch auf eigene Faust im Bereich von Kreuzungen. Die technische Umsetzung seitens der Anbieter, die eine Rückgabe des Fahrzeugs jenseits dieser Flächen verhindert, scheint hier einigermaßen zu funktionieren.

Störungen alle 50 Meter

Deutlich schlechter war dafür laut Stimpel die Situation in den zentrumsferneren Gebieten. Auf Berlin hochgerechnet, so der FUSS-Sprecher, stand alle 72 Meter ein E-Scooter im Weg herum. Wie Stimpel betonte, sei die Situation für Blinde noch einmal ungleich misslicher. Sie hätten „sogar alle 50 Meter“ mit Roller-Hindernissen zu kämpfen.

FUSS arbeitet mit dem Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenverein (ABSV) zusammen, der auch Abstellsituationen als störend oder gefährlich beurteilt, die in den Regularien der Senatsverwaltung nicht enthalten sind. So kann auch ein an einer Hauswand geparkter Roller Probleme verursachen, wenn Menschen sich mit einem Langstock an dieser orientieren wollen.

Rechnerisch ergeben sich damit laut FUSS rund 40.000 Störungen am Tag in Berlin, seit September 2022 also „mehr als zehn Millionen Verstöße“ gegen die geltenden Bestimmungen. Hinzu komme die fehlende Bereitschaft der Anbieter, die Verstöße zu beheben: Testanrufe bei den Hotlines, die für Meldungen falsch geparkter Roller eingerichtet werden mussten, zeitigten wenig überzeugende Ergebnisse.

So kamen beim Anbieter Bolt die FUSS-Freiwilligen nicht durch, beim Konkurrent Tier meldete sich nur ein Computer, bei Lime habe unter einer Frankfurter Nummer immerhin ein Mitarbeiter abgehoben, „der sich redlich bemühte, Deutsch zu sprechen“. Der Anbieter Voi schließlich habe auf seinen Scootern gar keine Hotline-Nummer angegeben.

Auch dass NutzerInnen bei Rückgabe mit der App ein Foto von ihrem abgestellten Mietfahrzeug schießen müssen, bringe wenig bis nichts: Man habe beobachtet, wie Personen dieses Foto nach dem Abstellen des Rollers mitten auf dem Gehweg geschossen hätten, heißt es bei den Fußverkehrs-AktivistInnen. Der Autor dieses Artikels kann das insofern bestätigen, als er bei verschiedenen Anbietern den Rückgabevorgang – nach korrektem Abstellen – problemlos mit einem völlig verwackelten Bild abschließen konnte.

Neumann will „aussieben“

Mittes Stadträtin Neumann, die am Freitag ebenfalls anwesend war, wollte sich der radikalen Forderung nach einem Aus für alle aktuellen Anbieter nicht anschließen, sagte aber auch, es sei sinnvoll, „auszusieben“. Im Übrigen arbeite sie mit Jelbi am Ausbau der Abstellflächen: Bis Jahresende sollen weitere 90 zu den bestehenden 140 hinzukommen.

Sehr gute Erfahrungen habe der Bezirk mit der durch Jelbi-Stationen ermöglichten 1 Quadratkilometer großen „No-Parking-Zone“ rund ums Brandenburger Tor gemacht. Sie soll nun bis zum Roten Rathaus und zum Potsdamer Platz ausgeweitet werden. Neumann kritisierte am Rande die Ungleichbehandlung von Fahrzeugen durch die Straßenverkehrsordnung: „Wer mit dem Fahrrad auf dem Gehweg fährt, zahlt 25 Euro Bußgeld, mit dem E-Scooter sind es dagegen nur 15 Euro.“

Auch vermeintlich korrekt abgestellte E-Scooter und Leihräder können übrigens zu Fuß Gehende behindern – weil die technischen Abstellsperren mit GPS funktionieren und dieses oft nicht genau genug ist. Eine mögliche Abhilfe stellte am Freitag auf Stimpels Einladung das norwegische Start-up „Sparkpark“ vor. Dabei handelt es sich um ein mit Bluetooth betriebenes Ortungssystem: Sensoren an einem Mast, der neben der Abstellzone aufgestellt wird, sollen auf den Zentimeter genau erkennen können, ob der Roller komplett auf der vorgeschriebenen Fläche steht – und erst dann die Rückgabe erlauben.

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