Eine junge Nigerianerin in Deutschland: Doppeltes Glück

Eine Familie gründen, die Schule nachholen: Augustina O. weiß genau, was sie will. Das Bleiberecht hat die junge Nigerianerin schon. Nun ist sie auf Wohnungssuche in Potsdam.

Augustina O.: "Hier arbeitest du, und niemand nimmt sich deinen Verdienst." Bild: cordula flegel

Der Mann mit Hut, der im Vorraum der Sparkasse am Luisenplatz seine Scheine aus dem Geldautomaten ins Portemonnaie sortiert, zuckt zusammen. Irritiert schaut er auf die junge afrikanische Frau, die einen Schrei loslässt, als sie die Zahl über 100 auf ihrem Kontoauszug entdeckt, und einmal entzückt, mit nach hinten geworfenem Kopf und vor Übermut blitzenden Augen, um den Auszugsdrucker tanzt. Das Kindergeld für Alicia ist gekommen. Morgen muss die neue VBB-Monatskarte bezahlt werden, das Baby braucht Windeln und Milchpulver. Heute schiebt Augustina O. stundenlang den Buggy durch die Brandenburger Straße. An den Tischen mit den heruntergesetzten Handtaschen bei Karstadt und vor den Ständern mit den Accessoires von H & M verbringt sie kleine Ewigkeiten. So fühlt es sich an, reich zu sein. Kaufen wird sie nichts.

"Wenn ich zehn Euro bekomme", sagt Augustina, "lege ich davon fünf zur Seite für meine Geschwister, den Rest teile ich ein in kleine Summen für jeden Posten: Transport, Essen, Kleidung, Telefon." Augustina O. ist 27 Jahre alt, kommt aus Nigeria und lebte bis zur Geburt ihrer Tochter im Juni 2009 eine Zeit illegal in Deutschland. Sie weiß, wie man mit sehr wenig Geld haushaltet.

Zehn Euro pro Nacht bezahlt die Stadt Potsdam für Augustinas Aufenthalt in einer betreuten Wohngemeinschaft. Hier leben sechs Frauen unterschiedlicher Nationen mit ihren Kindern in jeweils einem Zimmer und teilen sich Küche und Fernsehraum. Augustinas Zimmer ist mit ihrem Bett und dem Kinderbett für Alicia bereits in der Breite ausgefüllt. Längs passt noch ein Schrank und ein Regal hinein. Es interessiert Augustina wenig, wenn die anderen Frauen sie auf ihre Seite ziehen wollen, weil sie sich wegen der Kinder oder der gemeinschaftlich zu nutzenden Spielzeuge und ungeputzten Pfannen einigen müssen.

Augustina ist es nicht gewohnt zu streiten, aber noch weniger rechnet sie damit, dass sich jemand ihrer Probleme annimmt. Für sie ist Frau G., die zuständige Sozialarbeiterin, nicht anderes als eine Angestellte der Wohnungsbaugesellschaft. Frau G. wiederum versteht nicht, warum die junge Frau aus Nigeria nicht zur Zusammenarbeit bereit ist, wie sie sich ausdrückt. Doch einige illegale Jahre lang hat es in Deutschland niemanden interessiert, wo Augustina unterkommt und wie sie sich ohne offiziellen Status, ohne Lese- und Rechtschreibkenntnisse in der fremden Sprache und Kultur zurechtfindet. Noch als sie im Juni letzten Jahres in einer Münchner Klinik ihr Baby zur Welt gebracht hatte, drückte man ihr kurz nach der Geburt einen Buggy in die Hand und schickte sie allein mit der U-Bahn quer durch die Stadt zur Erstaufnahmeeinrichtung.

"Als ich wusste, ich bin schwanger, war ich so glücklich", sagt Augustina. "Ich habe mir nichts mehr als eine Familie gewünscht, und das Kind ermöglicht es mir, in Deutschland zu bleiben. Es war ein doppeltes Glück."

Alicias Vater stammt ebenfalls aus Nigeria, sogar aus derselben Stadt wie sie. Da er, bedingt durch die Heirat mit einer deutschen Frau, einen deutschen Pass besitzt und das Kind anerkannt hat, ist Alicia von Geburt an Bundesbürgerin. Augustina steht als Mutter ein achtzehnjähriges Bleiberecht zu. Die ersten Monate nach der Geburt verbrachten Mutter und Tochter in der Erstaufnahmeeinrichtung in München. Später wurden sie von der Regierung von Oberbayern nach Neuburg, einer Kreisstadt an der Donau, geschickt, in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber. Dort, in einem ehemaligen Kasernengelände, leben derzeit bis zu 500 Flüchtlinge aus ca. dreißig Ländern Osteuropas, Asiens und Afrikas, die auf ihr Aufnahmeverfahren warten oder auf ihre Abschiebung.

"Sonntags ging ich in Neuburg zur Kirche, und sie haben mich dort alle so angestarrt, dass ich wusste, ich soll da nicht sein. In Neuburg gibt es keine afrikanische Gemeinde. Wenn ich jetzt zurückdenke, habe ich mich dort sehr klein gefühlt."

Mit den fertigen Aufenthaltspapieren in der Hand zog Augustina unverzüglich von Niederbayern nach Potsdam. Am wohlsten fühle sie sich unter ihren Landsleuten, sagt sie, aber sie weiß auch sehr genau, warum sie unbedingt in Deutschland bleiben möchte. "Hier arbeitest du, und niemand nimmt sich deinen Verdienst. Und wenn du nicht arbeiten kannst, weil du ein kleines Kind versorgst, gibt es Hilfe. In Nigeria kennen wir so etwas nicht. Da kann dir jeder, der sich mächtiger fühlt als du, alles nehmen, und jeder, dem es nutzt, kann einer Frau befehlen, was sie tun soll. Wenn du etwas hast, nimmt man es dir, und wenn du nichts hast, unterstützt dich niemand. Außer vielleicht die Familie, aber unsere Familie hat nichts." Mit einem Schulterzucken beschreibt Augustina ihre Sicht auf die nigerianischen Männer: "In Nigeria denken die Männer nicht, sie sorgen nicht für die Kinder. Wenn sie Arbeit haben, verbrauchen sie ihren Verdienst für Bier und andere Frauen. Aber wenn sie in Deutschland ankommen, müssen sie sich anpassen. Hier fangen sie an, ihr Hirn zu benutzen."

Während Augustina den Buggy mit Alicia in die Straßenbahn am Naturkundemuseum hievt, spricht sie unvermittelt und laut in ihrer Sprache. Mindestens zehnmal am Tag ruft Alicias Vater an, der in Neuburg bleibt, weil er dort bei einem Autozuliefererbetrieb Arbeit gefunden hat. In Potsdam bekommt er nur Aushilfsjobs angeboten. Bei der Versorgung des Kindes kann Augustina nicht auf ihn zählen, doch per Mobilfunk stehen sie in ständigem Kontakt.

Zwei- bis dreimal die Woche fährt Augustina zur städtischen Wohnbaugesellschaft Gewoba am Stern, dann zurück zum Wohnungsamt in der Innenstadt, zum Arbeitsamt, und jeden Sonntag zum afrikanischen Gottesdienst in einem Gemeindezentrum am Schlaatz, einer Plattenbausiedlung hinter Babelsberg.

Der Schlaatz ist berüchtigt für seine, wie es im Städtebauprogramm des Bundesministeriums heißt, "Konzentration von städtebaulichen, wirtschaftlichen und sozialen Problemen". Hier gibt es den höchsten Migrantenanteil in Potsdam, aber auch das dichteste soziale Netz an Einrichtungen, die Beratung und Begegnung bieten.

Schilfhof, Falkenhorst, Milanhorst heißen die Straßen auf dem Weg zu dem schmucklosen Flachdachgebäude, in dem sich die afrikanische Gemeinde sonntags zum Beten und Feiern trifft. Der Verein Soziale Stadt Potsdam e.V., der sich für ein gutnachbarschaftliches Zusammenleben einsetzt, stellt den Raum zur Verfügung. Heute wurde ein Kind getauft. Bis zum späten Nachmittag sitzt man bei ohrenbetäubender nigerianischer Ghettoblustermusik in dem länglichen Gemeinderaum. Jeder ist sorgfältig gekleidet, traditionell oder modern, die Schuhe glänzen, Kinder schwirren um die Tische, es wurde für alle gekocht. Rindfleisch und Reis aus riesigen blauweißen Kühlboxen, die das Essen warmhalten sollen. Auf wackeligen Tischen stehen Flaschen mit Cola, Weißwein und Malzbier. Zum Nachtisch gibt es Popkorn und Erdnüsse.

Augustina, die erst kurz vor Weihnachten nach Potsdam kam, hat hier bereits Freundschaften geschlossen, sie kennt alle Namen und jeder hat einen Rat für sie, wie sie sich in der Stadt zurechtfinden kann. Jeder berührt ihr Baby zur Begrüßung und jeder im Saal kann sich mal kurz um Alicia kümmern.

Einige Straßenbahnhaltestellen weiter, in der Filiale der Gewoba in Drewitz, wartet Augustina am nächsten Tag, bis ihr die Angestellte hinter dem Desk eine dreiseitige Wohnungsannonce ausdruckt. 65 Quadratmeter und bis zu drei Zimmer stehen ihr als Alleinerziehende zu, mit bis zu 5 Quadratmeter Toleranz nach oben, wie die Dame vom Wohnungsamt erklärte. Mit ihrer Annonce muss Augustina bei allen für sie zuständigen Ämtern zur Genehmigung eines Wohnungsbesichtigungtermins vorstellig werden. Dann muss sie, wie so viele ihrer Bekannten aus der afrikanischen Gemeinde, auf den Anruf eines Mitarbeiters der zuständigen Wohnungsbaugesellschaft warten, um einen Termin auszumachen, und hoffen, dass sie am Telefon versteht, was er zu ihr sagen wird.

Die Wohngebiete Schlaatz und Drewitz sind die jüngsten der Potsdamer Plattengebiete, viele Gebäude wurden nach der Wende erstellt. Trotzdem bestand bereits Ende der 90er Jahre ein hoher Erneuerungsbedarf, und bedingt durch den wachsenden Wohnungsleerstand wurden sie in das Städtebauprogramm aufgenommen. Der öffentliche Raum und das unmittelbare Wohnumfeld wurden aufgewertet. Grund genug für die Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft PBG, sich gegen den anstehenden Umzug eines Flüchtlingsheims in den Schlaatz auszusprechen.

Augustina weiß nichts von diesen Interessenkonflikten, der Begriff Plattenbausiedlung hat für sie keine Bedeutung. Von der Wiedervereinigung oder dem Potsdamer Toleranzedikt hat sie noch nie etwas gehört. Ihr gefällt es am Schlaatz und am Stern. Hier sei Platz zwischen den Häusern, sagt sie, alles ist hell, wie sie es aus Nigeria gewohnt ist, und in den Discountmärkten sind die Lebensmittel erschwinglich. Die sanierten Altbauten in der Innenstadt reizen sie nicht, dort sei es ihr viel zu eng und zu teuer.

Am Stern in Drewitz posiert Augustina fürs Porträt. Das Trafohaus im Hintergrund wurde von einer Agentur für Kommunikationsdesign mit einer Landschafts- und Illusionsmalerei versehen. Was sie machen möchte, wenn sie eine Wohnung gefunden hat, und Alicia alt genug für den Hort ist? Zur Schule gehen, ein Geschäft aufmachen, irgendwas mit Stoffen und Mode. An ihren Plänen hat sich seit Nigeria eigentlich nichts geändert.

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