Elektronik-Festival in Belgien: Radikal und ungeschliffen

Das „Meakusma“-Festival konzentrierte sein Programm in diesem Jahr auf einen „Weekender“. Bespielt wurde eine Kleinstadt in der ostbelgischen Provinz.

Eine DJ in blauem Licht

Die Brüsseler Künstlerin Ojoo Gyal beim Festival in Sankt Vith Foto: Caroline Lessire

Die deutschsprachige Gemeinschaft in Ostbelgien parliert in einer wunderschönen, eigenwilligen Sprachvarietät, die sich durch die Einflüsse des Französischen – immerhin liegt man geografisch in der Wallonie – und dem Eifeler Plattdeutsch auszeichnet. Hier, zwischen Aachen, Luxemburg und Liège (Lüttich), klingen die Sätze wie gesungene Verse in einer europäischen Hybridsprache. Hybrid zeigte sich auch das diesjährige Programm des neuen Boutique-Festivals „Weekender“ im ostbelgischen Sankt Vith, einer 10.000-Einwohner-Gemeinde in unmittelbarer Nähe zur belgisch-deutschen Grenze.

Veranstaltet wird das Festival vom ansässigen ArsVitha-Kulturforum und Meakusma npo – was Ken­ne­r*in­nen der randständigen Popmusik aufhorchen lässt. Immerhin gilt das Meakusma Festival als Vorzeigeprojekt einer Szene, die sich zwischen elektronischer (Tanz-)Musik, improvisierter Musik und Jazz verortet. Doch dieses Jahr bleiben die Bühnen leer im 60 Kilometer entfernten Eupen, wo das Festival bisher stattgefunden hat.

Ganz überraschen sollte das nicht, hat doch einer der Veranstalter, Michael Kreitz, bereits letztes Jahr im Gespräch mit der taz erklärt, dass man nach der Ausgabe 2022 eine Pause einlegen werde: „Wir haben wegen der Covid-19-Pandemie fast drei Jahre an dieser Ausgabe gearbeitet und das massivste Programm unserer Geschichte präsentiert. Wir müssen uns konsolidieren und schauen, wie es weitergeht.“ Mitte Juni war dann der Öffentlichkeit klar, wie es zumindest 2023 weitergeht: Es sprach sich herum, dass sich Kreitz und Partner beim „Weekender“-Festival engagieren.

Dennoch wolle man die diesjährige Veranstaltung explizit nicht als „Substitut“ verstanden wissen. Mit Sankt Vith scheint man auch den perfekten Ort gefunden zu haben, denn die Kleinstadt wird in die Veranstaltungen aktiv mit einbezogen – obwohl Künst­le­r*in­nen und die über 1.000 Be­su­che­r*in­nen durchaus Krach machen. Woanders wird um 22.00 Uhr das Ordnungsamt gerufen, um Konzerte zu unterbinden, hier scheint es niemand zu interessieren, dass die markigen Basswellen von Dubstep durch die nächtliche Hauptstraße wehen. Stattdessen wird man tags drauf erstaunlich freundlich in der örtlichen Bäckerei begrüßt, als die Feiernden ihr Frühstück gemeinsam mit den den Sankt Vithe­r*in­nen einnehmen, die zu Kaffee und Kuchen kommen.

Rave-Musik aus dem Orgelautomat

Das alles geschieht im Schatten der gigantischen Pfarrkirche. Der massive neoromanische Bau, der nach dem Zweiten Weltkrieg entstand, ist auch Schauplatz des Festivals und Bühne für den französischen Komponisten Maxime Denuc, der am Sonntagnachmittag sein Orgelwerk „Nachthorn“ aufführt. Der mittlerweile in Brüssel lebende Denuc drückt die Manuale und Pedale derweil nicht selbst, sondern hat einen Orgelautomaten manipuliert, der die vollständig am Computer programmierte Musik spielt. Das erinnert nicht nur an Synthesizer, sondern fühlt sich auch so an: Angenähert an die flirrenden Pads von Rave- und Trance-Musik, verleiten die Kompositio­nen zu spontanem Kopfnicken und Fußwippen.

Denucs Kirchenparty ist bei Weitem nicht das einzige Highlight des neuen Festivals, das generell mit einem konzentrierten Programm punktet: Der italienische Schlagzeuger Andrea Belfi trommelt sich bereits am Freitagabend mit einem imposanten Set in die Herzen der Besucher*innen. Ojoo Gyal, in Brüssel stationierte Marokkanerin und DJ, geht danach radikal zur Sache, verstört mit ungeschliffenen Ausflügen in tribalistischem Krach. Sowohl die Jugend aus der Region als auch die Angereisten aus Brüssel, Köln und Amsterdam hören gebannt zu und tanzen, wenn es möglich ist. Dafür ist im Triangel-Kulturzentrum ausreichend Platz: Das Gebäude wirkt ähnlich überdimensioniert wie die Kirche, bietet dafür aber perfekte Festivalbedingungen.

Kleiner kann man auch, etwa im DIY-Laden Kuckuck am Samstagmittag beim Duo Adiciatz aus Lyon: randständige Popsongs mit mittelalterlichem Unterton, vorgetragen in der südfranzösischen Minderheitensprache Okzitanisch. Die ein oder andere Träne kullert dem Publikum die Wangen herunter.

Der Zuspruch zum feinen Programm des Festivals ist insgesamt überwältigend, weswegen man auf Seiten der Veranstalter nicht ausschließen möchte, dass man nach der bereits geplanten und angekündigten Meakusma-Ausgabe 2024 doch wieder einen Abstecher nach Sankt Vith wagt. Die Ein­heimischen scheinen diesen Gedanken zu begrüßen: Eine Kassiererin sagt im örtlichen Dialekt, dass sie glücklich und stolz sei, weil so viele Menschen nach Sankt Vith kommen – und sie sich vielleicht auch ins amusement stürzen wolle. Typisch hybrid, typisch ostbelgisch, typisch Meakusma halt.

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