European Media Art Festival in Osnabrück: Kunst nur für Durchblicker

Die Ausstellung „Trembling Time“ ist das vielgliedrige Herzstück des diesjährigen European Media Art Festivals – und gibt sich äußerst abweisend.

Eine Frau schaut in einer Ausstellung in eine Virtual-Reality-Brille

Künstlerin Clea T. Waite in ihrer Installation „Ice-Time 360°“ Foto: Friso Gentsch/dpa

Wer irritiert ist, macht sich Gedanken. Und weil „Trembling Time“, die 36. Ausgabe des European Media Art Festival (EMAF) in Osnabrück, Wert darauf legt, dass die Besuchenden sich Gedanken machen, zu sich und der Welt, scheut sie sich nicht, Irritationen zu erzeugen. Ihrem Kern, der Ausstellung in der Kunsthalle der Stadt, einer säkularisierten Kirche, gelingt das besonders gut.

Das fängt schon kurz hinter dem Eingang an. Drei Monitore stehen auf einer Art Orientteppich, und in ihrer Mitte lockt ein schwarzes Kästchen mit einem Knopf: „Push to reselect“. Nicht dass sich Entscheidendes tut, wenn man draufdrückt. Man ist danach von ähnlich unscharfen, verwackelten Amateurdokus und Lokalnachrichten umgeben wie vorher, aneinandergereiht durch einen Zufallsgenerator. Die Erkenntnis, dass all das mit den 1990ern zu tun hat, mit der Belagerung von Sarajevo durch bosnische Serben, stellt sich erst ein, wenn man im Katalog nachliest, was im flimmerigen Halbdunkel kein Vergnügen ist. Und auch, wer das tut, rätselt weiter. Ein Sinn offenbart sich nicht. Die Verweildauer auf dem Teppich ist kurz.

Von den Balkan-Videos irrt der Blick ins Dunkel des gewaltigen Kirchen­schiffs, in dem sich die Haupt-Acts der diesjährigen EMAF-Schau drängen, und die Irritation steigt. Objekte dicht an dicht, eher im Dominanzkampf miteinander als in Symbiose. Filme auf Boden und Wänden, gebeamt und auf Monitoren, dazu ein betäubendes Gewirr von Geräuschen und Stimmen aus einer Überfülle von Lautsprechern.

Hier blaue Laufschriften, neben einem fossilen Wal-Skelett. Dort ein Nackter, der sich an einen Baum klammert. Hier Fotos von Fischen, die sich auf ihrem Laich-Weg durch einen verseuchten Fluss selbst auflösen. Dort, als Klimakrise-Mahnung, Polargletscher als „poetisch-wissenschaftliches Porträt des Eises“. Hier ein unscharfes Video, das Kids zeigt, die auf einer öden Grünfläche spielen. Dort Paläontologen bei ihrer Laborarbeit. Hier VR-Brillen, dort Gamepads.

Trembling Time: Kunsthalle Osnabrück, bis 29. Mai

Das Gewöhnungsbedürftigste ist die Atomzerfalls-Klanginstallation „Decay“ von Martin Recker und Paul Hauptmeier. Angetrieben durch radioaktives Uranglas, erzeugt sie, angeblich, 20.402 Jahre lang Sound, durch das Tropfen von Wasser, die Durchrostung und Schwingung von Metallplatten. Über allem dräut Thomas Maders übelgelaunter Aufblas-Meteorit, etliche Kubikmeter groß, der irgendwas mit der NSU-Neonazi-Terrorzelle zu tun hat, und mit Paulchen Panther, und bestimmt jeden Moment mitten unter uns einschlägt.

Es geht um „Konzepte von Zeit und Zeitlichkeit“, erklärt uns der Katalog, in seinen hochintellektuellen Endlostexten selbst Teil der Irritation. Und wer sich nicht vorstellen kann, was „soziotemporale Modelle“ sind, wer bei Begriffen wie „Deep Time“ ins Schwimmen gerät, wer ungeübt darin ist, „Zeit in einem ganz anderen Maßstab zu denken“, hat an den 180 eng bedruckten Seiten ganz schön zu knacken. Immerhin kann sich, wer nur die Haupt-Ausstellung des EMAF in der Kunsthalle betrachten will, die Texte zum Filmprogramm sparen, zu den Vorträgen, zu den Beiträgen diverser Kunsthochschulklassen zum durchgeistigten Event, verteilt auf kleinere Galerien der Stadt.

Obwohl: Acht dieser Kunsthochschul-Experimente sind auch in der Kunsthalle zu sehen. Sie stammen von der Akademie der Bildenden Künste in München und setzen nahtlos die Verrätselung fort. Ein schmaler Durchlass führt hinein in ihre Welt. Dort, absichtsvoll im Weg, wartet ein bröckelnder Erdhaufen, der aussieht wie ein frisch geschlossenes Grab. Gerade wird er mit Wasser besprüht, offenbar soll hier irgendetwas wachsen. Schade nur, dass ständig Publikum dagegenläuft.

Daneben ein gewandähnliches Metamorphose-Gebilde, das so aussieht, als tropfe Wachs zu Boden. Dahinter schmale Pfeiler, auf denen Bahnfahrende zu sehen sind, die irgendwas Unverständliches murmeln, zu sich selbst, zu einander? „Du und ich, wir“ ist zwischendrin zu hören. Dahinter eine Tanzperformance, mit Maske. Und wer will, kann sich ein Kärtchen nehmen und einen Lückentext ausfüllen. „Ich ersehne mir einen lieblichen Ort“, steht da. „Dieser Ort ist geprägt von meiner Vorstellung einer Utopie. Voller (Lücke) erstrahlt dieser Ort. Ich bin umgeben von (Lücke) und genieße (Lücke). Dieser liebliche Ort ist frei von (Lücke)…“ Und so weiter. Media-Art? Manches hier legt diesen Begriff ziemlich weit aus.

Wo das eine Werk aufhört und das nächste beginnt, ist nicht immer auf den ersten Blick klar. Wer Titel und Urheber herausfinden will, hat es schwer, denn die ausliegenden Faltblätter lassen sich im Dämmerlicht ebenso schwer entziffern wie der Katalog.

Irritationen allerorten. Und je mehr Ratlosigkeit sich anhäuft, desto klarer wird: Das ist vielleicht keine Absicht, ist aber produktiv. Nichts zu verstehen, verstehen wir dadurch, ist zuweilen vielleicht gar nicht schlimm. Wer rätselt, wer vergeblich nach Eindeutigkeiten sucht, ist offen für Ungeahntes, für Ungekanntes, für gedankliches Neuland, für den Zauber des Lebens, für Geheimnisse. Wir wohnen also einem Akt der Befreiung bei.

Dass in Teilen der Kunsthalle sehr programmatisch die Deckenverkleidungen fehlen, eine Häutung für einen Blick auf Kabelstränge und Rohrleitungen, verstärkt diese Irritation noch.

Nein, das Rätseln ist kein verbindendes Instrument. Vieles wird erklärt in den Texten zu dieser Schau. Es geht um das Miteinander, um die Zerstörung der Natur, um menschliche Sehnsüchte, die Veränderung unserer Welt. Aber viele dieser Erklärungen sind ihrerseits erklärungsbedürftig. „Trembling Time“ gefällt sich darin, kompliziert zu sein. Oft sind die Brücken zwischen Objekt und Konzept schmal, schwankend, brüchig.Wie war das noch? Ich ersehne mir einen lieblichen Ort? Ersehnen wir uns, für EMAF-Ausgabe 37, eine Ausstellung, die weniger stolz darauf ist, unverständlich zu sein.

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