Feministische Literatur in Österreich: Die beredte Wut der Autorinnen

Als progressiv und selbstkritisch möchte sich Österreich als Gastland der Buchmesse präsentieren. Viele Schriftstellerinnen nehmen diesen Anspruch ernst.

Eine Frau schiebt einen Kinderwagen auf einem Waldweg, ein Kind springt aus dem Wald

Fürsorgearbeit in heteronormativen Familienkonstellationen wird oft als „Frauensache“ gesehen Foto: Frederik Franz/imago

An was denken Sie bei Sisi, Sachertorte und Schnitzel? Bei Falco, Freud und FPÖ? Hader, Haider und Hitler?

Als Gastland der diesjährigen Leipziger Buchmesse möchte Österreich mit den gängigen Stereotypen aufräumen, stattdessen zeigen, wie viel mehr das Land zu bieten hat: „meaoiswiamia“ lässt das diesjährige Motto verlauten. Übersetzt heißt das „mehr als wir“ und soll ein Gegengewicht zum pathetischen und wenig selbstreflektierten Ausruf „mia san mia“ bieten.

Katja Gasser, Literaturjournalistin und künstlerische Leiterin des Gastlandauftritts, wünscht sich, dass Österreich so als „progressives, großzügiges, vielgestaltiges, geschichtsbewusstes, mehrsprachiges, selbstkritisches, humorbegabtes, erkenntnishungriges, zukunftsfreudiges, offenherziges, als Partner egalitäres und verbindliches Land“ wahrgenommen würde.

Das klingt erstrebenswert, doch aus meiner bescheidenen Sicht als Ös­ter­rei­che­r*in ist das Land von einigen dieser Attribute noch mindestens fünf Gebirgsketten entfernt. Bevor Österreich also so wahrgenommen werden kann, wie es sich Gasser hier erträumt, muss zunächst auf den Tisch, was dort alles so gar nicht leiwand läuft – und wie ginge das besser als mit Literatur?

Birgit Birnbacher

Die Autorin Birgit Birnbacher beispielsweise hinterfragt in ihrem unlängst erschienenen Roman „Wovon wir leben“ gängige Arbeitsstrukturen sowie die Verteilung von Care-Arbeit im Beruflichen wie Privaten. Größtenteils im Salzburger Land spielend, ist die Geschichte nicht zwingend an Österreich gebunden, sie könnte auch in einem bayrischen Dorf stattfinden, vielleicht auch anderswo.

Birgit Birnbacher: „Wovon wir leben“. Zsolnay, Wien 2023, 192 Seiten, 24 Euro

Die Frage nach dem Wert des eigenen Lebens, wenn sich dieser bloß anhand der Erwerbstätigkeit bemisst, ist allgemeingültig. Birnbacher, die 2019 den Bachmannpreis erhielt, kritisiert zudem die in unserer patriarchal ausgerichteten Gesellschaftsstruktur inhärente Annahme, Frauen fiele der Großteil der (privaten) Pflege zu – auch das eine immersive Problematik.

Thematisch ähnlich ist Mareike Fallwickls jüngster Roman. Was sie kritisiert, wurde durch die Pandemie wie durch ein Brennglas sichtbar, ist aber keineswegs ein neues Phänomen: Fürsorgearbeit in heteronormativen Familienkonstella­tionen wurde und wird immer noch als „Frauensache“ gesehen. Mögliche Auswirkungen werden bei Fallwickl gleich auf den ersten Seiten deutlich, als die Nachfrage des Vaters nach Salz das Fass zum Überlaufen und die Mutter zu einem Sprung vom Balkon bringt.

Mareike Fallwickl

„Der erschöpfte Vater ist gesellschaftlich anerkannt, er bekommt Verständnis, die erschöpfte Mutter bekommt Sprüche. Sie muss da jetzt durch, sie hätte sich das vorher überlegen müssen, sie hat es sich ja so ausgesucht“, schreibt Fallwickl. „Die Wut, die bleibt“ ist nicht nur ein konsequenter Titel, er beschreibt auch die Triebkraft für viele, besonders weiblich gelesene Autor*innen.

Eine, die von jeher daraus schöpft, ist die Grande Dame der österreichischen Literatur Elfriede Jelinek, auch sie steht für das von Gasser erträumte Österreich.

„Ich funktioniere nur im Beschreiben von Wut“, sagte Jelinek bereits vor über vierzig Jahren. Mit ihren Texten schreibt die Literaturnobelpreisträgerin von je her gegen die Missstände ihrer Heimat an, die politischen und sozialen, die öffentlichen und die privaten; immer provokant, blasphemisch, verhöhnend, vulgär und eben vor allem wütend.

All das, was man in Österreich nicht so gern hat, zumindest, wenn es gegen das eigene Land geht. Denn das sieht sich gern als neutral, oft als benachteiligt und überhaupt als Opfer – historisch, aber auch gegenwärtig. Dagegen anzuschreiben, hat sich nicht nur Jelinek zur Aufgabe gemacht.

Sprachlosigkeit der Frauen

So heißt es bei Fallwickl: „Diese Sprachlosigkeit wurde dir anerzogen […], die Gesellschaft hat dir nicht das Rüstzeug gegeben, dich in ihr zu behaupten, im Gegenteil, sie hat dir beigebracht, dass du nicht berechtigt bist, dich zu behaupten. Dass du schweigen sollst, wenn du gedemütigt wirst.“

Statt also wütend zu werden, sollen Frauen brav die ihnen zugewiesenen Bereiche hüten und ansonsten die Klappe halten.

Denn weibliche Wut wird nicht gern gesehen. Als lächerlich oder hysterisch wird sie allzu gern bezeichnet, die wütende Frau. Dabei haben Frauen allen Grund, wütend zu sein. Nährboden für diese Wut ist nicht nur schlecht oder gar nicht bezahlte Fürsorgearbeit, sondern auch ganz reale Gewalt, mit der uns begegnet wird.

Die uns anerzogene Sprachlosigkeit ist der Grund, warum wir eher mit Angst reagieren oder, wie in Fallwickls Roman, die Gewalt gegen uns selbst richten. Angst aber lähmt, wohingegen Wut auch konstruktiv sein kann, wenn sie ein Ventil hat.

Femizid im öffentlichen Diskurs

Schreiben kann ein solches Ventil sein, um in Worte zu fassen, was gedanklich geblieben zu wenig greifbar wäre. So hat es das Thema des misogynen Tötens erst durch das Schaffen des Begriffs Femizid in einen öffentlichkeitswirksamen Diskurs geschafft. Als „Beziehungstat“ oder „Eifersuchtsdrama“ wurde hier allzu oft verharmlost, was ebendeshalb normalisiert wurde: geschlechtsspezifische Gewalt gegenüber weiblich gelesenen Menschen.

Im europäischen Vergleich liegt Österreich im oberen Drittel dieser Taten, um die 30 Femizide verzeichnet das Land jährlich, wobei die Tendenz steigend ist. Fast immer sind es Partner oder Ex-Partner, die Frauen töten. Um dagegen anzugehen, demonstrieren Ak­ti­vis­t*in­nen der Gruppe „Claim the Space“ zum Ende jedes Monats in Wien.

Nach dem Grund gefragt, warum es so viele geschlechtsspezifische Gewalttaten im Land gebe, sagte ein*e von ihnen unlängst in der taz: „Österreich schreibt der bürgerlichen Kleinfamilie einen sehr hohen Wert zu, womit traditionelle Geschlechterrollen und Arbeitsteilungen, also auch ein Besitzanspruch des Mannes über die Frau einhergehen.“

Körperliche Gewalt ist ein offensichtliches Warnsignal, aber auch starke Eifersucht und ein mit ihr einhergehender Kontrollwahn ­gehen Femiziden oftmals voraus, weiß die österreichische Autorin Yvonne Widler. Als Journalistin beschäftigt sie sich schon lange mit dem Thema Gewalt in Beziehungen.

Yvonne Widler

Unlängst ist daraus ein Buch entstanden: „Heimat bist du toter Töchter“. Widler verzichtet darin nicht auf explizite Gewaltdarstellungen, das ist hart und grauenvoll zu lesen, aber so gelingt es ihr, dieses komplex scheinende Thema greifbarer zu machen.

Biwi Kefempom: „Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen“. Verbrecher Verlag, Berlin 2023, 296 Seiten, 19 Euro

Dem gleichen Thema, wenn auch aus einer sehr wissenschaftlichen Perspektive nimmt sich das österreichische Au­to­r*in­nen­kol­lek­tiv Biwi Kefempom an. Im gerade erschienenen Band „Femi(ni)zide. Kollektiv patriarchale Gewalt bekämpfen“ rollen die Au­to­r*in­nen die historische Entwicklung des Begriffs „Femizid“ auf und machen die Verbindung zu queerfeministischen Kämpfen in Lateinamerika deutlich, von denen auch die europäischen Debatten beeinflusst werden.

Belletristisch nimmt sich dieser morbiden Realität Eva Reisinger an. Die Oberösterreicherin gab mit „Was geht, Österreich?“ bereits einen Einblick in ihre ländliche Heimat sowie die politischen Strukturen des Landes, in dem es nicht nur eine rechtsradikale Partei in die Bundes- und diverse Landesregierungen, sondern es auch ein megalomaner Jungspund an die Regierungsspitze schaffte. Nun legt Reisinger ihr Romandebüt nach. „Männer töten“ erscheint im Sommer dieses Jahres.

Gertraud Klemm

So wichtig feministische Debatten sind, rein theoretisch geführt bringen sie uns nicht weiter. Diese Meinung vertritt Gertraud Klemm. In ihrem Roman „Einzeller“ erschafft sie eine Wohngemeinschaft aus Frauen verschiedener Generationen und zeigt auf, was Fe­mi­nis­t*in­nen oft fehlt: Zusammenhalt und Solidarität untereinander.

Gertraud Klemm: „Einzeller“. Kremayr & Scheriau, Wien 2023, 312 Seiten, 24 Euro

Ihre Worte sind oft hart, aber durchaus unterhaltsam. Das bloße Leiden am Patriarchat reiche nicht, um kollektiv identitätsstiftend zu sein, sagt Klemm im Podcast „fair&female“. „Jede Frau tappt in dieselben Fallen“, es fehle ein Wissenstransfer zwischen den Generationen.

Natürlich ist nicht alles schlecht in Österreich. Damit das Land aber als jenes wahrgenommen werden kann, das Gasser und andere, mich inbegriffen, sich wünschen, muss sich einiges ändern; Literatur ist ein erster wichtiger Schritt.

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