Festival „Tanz im August“ in Berlin: Der Körper, der lacht

Turbulent und mystisch beginnt das dreiwöchige Festival „Tanz im August“. Der künstlerische Leiter Ricardo Carmona zeigt die Vielfalt der Tanzsprachen.

Auf der Bühne sieht man eine Gruppe Tänzer in engen Bodysuits

Athletisch, ehrgeizig: „Carcaça“ von Marco da Silva Ferreira während des Festivals Tanz im August Foto: Jos Caldeira

Kann man mit dem Hintern lachen? Ganz gewiss. Zumindest scheint es so, wenn man auf die zuckenden, hüpfenden und vibrierenden Hinterteile schaut, die von den Per­for­me­r*in­nen des Stücks „Prophétique. (on est déjà né.es)“ dem Publikum präsentiert werden. Wie in einem Wettkampf um den schönsten, lebendigsten und attraktivsten Arsch. Coupé-Décalé heißt dieser Po-betonte afrikanische Tanzstil, der hier mehr Sex und Glück verspricht, als ein Orgasmus je erreichen kann.

Mit ansteckender Lust und Euphorie beginnt das Tanzstück, das die Choreografin Nadia Beugré mit sieben Künst­le­r*in­nen aus der Transgender-Community in Abidjan erarbeitet hat und das beim Festival Tanz im August im Theater am Halleschen Ufer gespielt wurde. Dem turbulenten Auftakt folgt eine Passage, in der die eben noch Schönen eine Haltung der Bedrohung und Agression einnehmen, bellend und auf allen Vieren hüpfend wie eine aufsässige Affenbande.

Eingeübte Härte, Frechheit und Wehrhaftigkeit – das gehört möglicherweise zu den Bildern, die sie beherrschen müssen, um in einem Land, das Homosexualität unter Strafe stellt und Transgender diskriminiert, im Alltag nicht unterzugehen. Die Nachahmung, die Imitation, das ständige Performen unterschiedlicher Rollen, bei Tag und bei Nacht, sie ist in dem Stück von Nadia Beugré ein ständiges Spiel. Es kostet Kraft. Es ist lebensnotwendig. Und es wird von den Darstellenden, die nebenbei auch singen und lautmalerisch Sounds produzieren, mit so viel Parodie und Ironie gefüllt, mit so viel Witz, dass man den bitteren Ernst darin fast vergessen könnte.

Das Festival Tanz im August, das bis zum 26. August läuft, begann am Mittwoch und zeigte in den ersten Tagen viel Sexyness, viele Verbindungslinien in afrikanische Länder, viele Tanzsprachen. Es ist die erste Ausgabe, die Ricardo Carmona, langjähriger Kurator für Tanz im HAU, als künstlerischer Leiter verantwortet. Die Vielfalt der Tanzsprachen aufzufächern, historisch, soziologisch, kulturgeschichtlich, ist eines seiner dezidierten Ziele. Und das hatte sich auch das Eröffnungsstück, „Carcaça“ vorgenommen von dem Choreographen Marco da Silva Ferreira, der wie Carmona aus Portugal kommt. Ein Land, das durch seine Vergangenheit als Kolonialmacht, sehr viele Verbindungslinien nach Afrika hat.

Athletisches Spektakel, Tänzer mit Armprothese

Auch in „Carcaça“ wird einmal gesungen, rau, polyphon und bewegend, ein altes Arbeiterlied, das in die sonst so dynamisch bewegte Landschaft des Stücks hereinragt wie ein altes, vergessenes Denkmal. Auch in „Carcaça“ verheißen die Körper heiße Sexyness, anfangs in engen, vielfach durchbrochenen Bodysuits. Ihre Performance ist ein athletisches Spektakel, Energie wird verschleudert, Training ist alles, Hochleistung ein Ehrgeiz, den auch ein Tänzer mit Armprothese teilt. Vor allem die Füße, hüpfend, stampfend, federnd legen hier in etwas über einer Stunde eine gewaltige Strecke zurück.

„Carcaça“ ist mitreissend. Dass die Choreografie aber auf der Erforschung und Amalgamierung verschiedener Folkloren beruht, ist nicht unbedingt nachvollziehbar. Zwar erinnern viele Passagen mit überkreuzten Füßen an irische Tanzshows, zwar legt sich das Ensemble gelegentlich die Hände auf die Schultern in einer langen Reihe, zwar erinnern die Positionswechsel in einer Formation an Volkstänze: Aber all das bleibt vages Zitat, ohne dass man diese Bilder einer Geschichte und Kultur zuordnen könnte. So bleibt eine schöne und temperamentvolle Show übrig, eine Ensemble-Leistung, die über die Rituale, sich als Kollektiv zusammenzufinden nicht mehr und nicht weniger erzählt, als viele andere Tanzstücke auch.

Es ist bei diesem Festival wie oft im Tanz: Die Buzzwords des Diskurs, – Klima, Postkolonialismus, Genderfluidität – die an den Produktionen hängen, um ihre politische und soziale Relevanz zu behaupten, werden ihnen nicht immer gerecht. Vieles bleibt dabei Behauptung, die sich ästhetisch nicht unbedingt vermittelt. Was aber nicht heißt, dass die Stücke nicht viel zu erzählen haben, aber eher nicht in politischer Eindeutigkeit.

In fremden Zungen sprechen

Von einer Ästhetik, die zum Berliner Festival-Publikum in eher fremden Zungen spricht und es doch durch die starke Präsenz der Performerin fesselt, war das Solo „Toi, moi, Tituba“ von Dorothée Munyaneza geprägt. Als Jugendliche aus Ruanda nach Europa gekommen, und schon mehrfach zum Tanz im August eingeladen, widmete sich die Musikerin, Sängerin, Tänzerin und Choreografin schon in vorhergehenden Stücken afrikanischer Geschichte aus feministischer Perspektive, teils mit dokumentarischen Mitteln. „Toi, moi, Tituba“ gleicht dagegen mehr einer Séance, dem Versuch Frauenfiguren der Vergangenheit, denen die eigene Stimme und Geschichte genommen wurde, als Sklavin oder als verfolgte Hexe, wieder einen Körper, eine eigene Erzählung zu geben.

Das hat etwas von einer Geisterbeschwörung und einem Gespräch mit den Ahnen, was für Tänzer und Choreografen aus afrikanischen Kulturen oft eine Rolle spielt. Munyaneza trat in der Villa Elisabeth auf, einem intimen Bühnenraum. Leuchtstoffröhren, die anfangs aufrecht stehen, später umgelegt werden, bilden das sparsame Bühnenbild. Der Musiker Khyam Allami begleitet sie live, oft mit harten, metallischen Klängen.

Sie durchläuft Metamorphosen, entschiedene Gesten lösen suchende Bewegungen ab, ihre Stimme singt und ruft, malt uns Zonen der Dunkelheit aus, durch die ihre Reise geht. So entsteht ein mythischer Raum. In dem findet vielleicht nicht jeder Zuschauer das, was Dorothée Munyaneza hingelegt hat, aber doch auf die Spur gebracht wurde, das Verschüttete zu suchen.

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