Forschung über Kriegsschäden: Kriegsopfer Natur

Der Krieg zerstört auch die Umwelt in der Ukraine. Von Hamburg aus erforscht ein Projekt das Ausmaß der Schäden an Naturschutzgebieten.

Ein Weizenfeld brennt

Ein Feuer, ausgelöst durch russischen Beschuss, zerstört ein Weizenfeld bei Saporisch­schja​ Foto: Foto: Ukrinform/dpa

HAMBURG taz | Mächtig sind die Eichen, Linden und Ahornbäume am Ufer des Siwerskyj Donez, rund um das Kloster Swjatohirsk. Die älteste Eiche der östlichen Ukraine wächst dort, 29 Meter ragt der 600 Jahre alte Baum in die Luft. Ein ganz besonderer Naturraum ist der Nationalpark Swjati Hory, auf Deutsch sinngemäß: „Heilige Berge“.

Eigentlich liegt er in einer Steppenzone. Aber hier finden Bäume ein bergiges Relief und genug Wasser, links und rechts des Flusslaufs sind weitläufige Laub- und Kieferwälder entstanden. An den Kreidefelsen im Park, die es fast in die Liste der „Sieben Naturwunder der Ukraine“ geschafft haben, gedeihen voreiszeitliche Kreidekiefern, eine seltene Reliktpflanzenart.

943 Pflanzenarten gibt es im Park, 48 von ihnen sind in der Roten Liste der Ukraine aufgeführt. Endemische Pflanzengemeinschaften gibt es dort, auf Ablagerungen aus der Kreidezeit, Steppen-, Wiesen- und Sumpfvegetation. Rund 300 Wirbeltierarten leben dort, 50 von ihnen werden in der Roten Liste seltener Arten der Ukraine aufgeführt.

Vor dem russischen Einmarsch am 24. Februar war der Nationalpark ein beliebtes Urlaubs- und Ausflugsziel. Doch lange verlief direkt hier, nahe der Stadt Lyman, die Front. Anfang Oktober erst zogen sich die russischen Truppen angesichts der groß angelegten Offensive der ukrainischen Armee in der Ostukraine aus dem Gebiet zurück.

Schäden durch Kriegshandlungen

Wer den Frontverlauf auf Google Maps verfolgt und sich Fotos anschaut, die dort verlinkt sind, sieht Familien vor Ferienresorts, spielende und badende Kinder, Menschen, die Ausflüge zum Kloster machen, zu den zahlreichen archäologischen Stätten oder zum Monument, das an den Deutsch-Sowjetischen Krieg dort vor bald 80 Jahren erinnert.

Wenn auf Twitter in den vergangenen Monaten Bilder aus dem Gebiet auftauchten, sah man auf ihnen Soldaten in Schützengräben, zerstörte Panzer und Artillerie, durch Bomben vernarbte Böden und Brände, die durch Geschosse verursacht wurden.

Wie sehr die Natur in der Ukraine vom Krieg bereits zerstört ist, erkenne man schon auf aktuellen Satellitenfotos, erzählt Maria Fedoruk. Einige der durch den Krieg verursachten Waldbrände seien so groß, dass sie vom Weltraum aus zu sehen sind.

Natur kennt keine Grenzen

Die ukrainische Ökologische Ökonomin ist im März vor dem Krieg nach Hamburg geflohen. An der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) erforscht sie nun als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und Transferzentrum Nachhaltigkeit und Klimafolgenmanagement gemeinsam mit dessen Leiter Walter Leal, welche Schäden die Kriegshandlungen in den Naturschutzgebieten in der Ukraine verursachen.

„Ukraine-Nature“ heißt das bis Ende 2023 von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt finanzierte Projekt. Ziel ist „die Untersuchung und Erstellung eines Profils der Schäden an Naturschutzgebieten und der natürlichen Ressourcen, die sie beherbergen“, sowie „das Ausmaß der Schäden zu kartieren“, heißt es auf der Internetseite des Projekts.

Vor ihrer Flucht leitete Fedoruk in der Ukraine die Abteilung für Kreislaufwirtschaft bei einer NGO und führte verschiedene Forschungsprojekte durch, gut vernetzt mit anderen ukrainischen Umweltschutzorganisationen. Einige ihrer Kolleg*innen, erzählt sie, hätten damals bereits begonnen, Daten über Umweltverbrechen und die Folgen des Kriegs für die Umwelt zu sammeln und täten dies noch immer.

Fedoruk will nun gemeinsam mit ihren Kol­le­g*in­nen und Leal auf der Grundlage dieser Daten exakt erforschen, welche Auswirkungen die Kriegshandlungen auf die Natur haben, will ihr Ausmaß messen und bewerten.

Gut ein Fünftel der geschützten Naturgebiete in der Ukraine seien bereits von den Kampfhandlungen betroffen, sagt sie, und betont, dass die Zerstörung der Natur in der Ukraine – wie der Krieg ohnehin – ganz Europa betrifft. „Das Motto unseres Projektes ist, dass Ökosysteme keine Grenzen haben.“

Die Parks in der Ukraine sind Teil des Smaragd-Netzwerkes von Schutzgebieten, das auf der Grundlage des Übereinkommens über die Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume eingerichtet worden war. Die Ukraine hatte Stand 2020 377 Smaragd-Gebiete ausgewiesen. Rund 2,9 Millionen Hektar dieses Netzwerkes seien bedroht, sagt Fedoruk. „Wenn etwas in den Parks in der Ukraine passiert, beeinflusst es das Netzwerk in ganz Europa.“

Von Zerstörung bedroht seien vor allem im Osten und Süden der Ukraine auch 16 nach der Ramsar-Konvention geschützte Feuchtgebiete, die wegen ihrer Biodiversität von internationaler Bedeutung sind, insgesamt 600.000 Hektar.

Zwei Nationalparks befreit

Acht Naturreservate und zehn Nationalparks seien bislang von der russischen Armee besetzt worden, zwei Nationalparks wieder befreit worden, sagt Fedoruk. Derzeit untersucht das Projekt die Auswirkungen der Kriegshandlungen im Nationalpark Hetman und im Nationalpark Desna-Starohutskyi in der Oblast Sumy sowie im Holosiivskyi Nationalpark und im Biosphären-Reservat rund um das havarierte Atomkraftwerk Tschernobyl in der Oblast Kyiv.

Methodisch stellt der Krieg die Erforschung der durch ihn verursachten Schäden vor große Probleme. Mehr als 1.000 wissenschaftliche Artikel zu Kriegsfolgen in verschiedenen Ländern hätten Fedoruk und ihre Kol­le­g*in­nen ausgewertet, erzählt sie. Aber die Bedingungen in der Ukraine seien kaum vergleichbar.

Vergleiche mit historischen Daten oder Interviews vor Ort seien kaum möglich, auch wissenschaftliche Daten seien verloren gegangen und Messstationen möglicherweise zerstört worden, etwa in Tschernobyl. Mit den Verwaltungen der Nationalparks ist Fedoruk in Kontakt, aber auch deren Gebäude seien zum Teil zerstört, die Mit­ar­bei­te­r*in­nen vertrieben worden. „Bislang sind die Satelliten unsere besten Freunde“, sagt Fedoruk. Dazu kämen Open-Source-Daten und staatliche Daten etwa zur Luftqualität und zur radioaktiven Strahlung.

Ihre Kollegin Anastasia Splodytel sammele vor Ort Boden- und Wasserproben. Aber das sei kompliziert und hochgefährlich, vor allem in Gebieten, die sich in der Nähe der Front befinden. Vergangene Woche sei es Splodytel gelungen, in den Nationalparks Desna-Starohutskyi und Hetman Proben zu sammeln – aber nur mit Hilfe der Parkadministrationen und des Staatlichen Dienstes für Notfallsituationen. Immer noch ist die Gefahr groß, dort von Raketen getroffen zu werden. Ein anderes großes Problem seien die Minen, die beide Seiten gelegt haben.

Komplexe Auswirkungen

Insgesamt seien die Auswirkungen des Krieges auf die Umwelt kompliziert und ein systemisches Problem, weil alles miteinander verknüpft sei. Giftige Gase und Partikel werden durch die Waffen in die Luft geschleudert, Schwermetalle gelangen in Boden und Wasser.

Ganz gezielt greifen russische Truppen Fabriken an, damit Gifte ins Wasser gelangen. Feuer, Explosionen und der Lärm bedrohen und töten Tiere und zerstören ihre Lebensräume. Viele Delfine verhungern etwa, weil Sonare und Explosionen ihre feinen Navigationsorgane zerstören, sagt Fedoruk. Und schon kleine Einschüsse und Minensplitter verletzten Bäume so stark, dass sie zu sterben beginnen.

Wenn sie erzählt, merkt man, wie sehr die Ereignisse Fedoruk auch persönlich bewegen, viele ihrer Familienangehörigen und Freunde sind in der Ukraine. Dennoch ist das Projekt trotz der Bestandsaufnahme all der Zerstörung auf das Leben nach dem Krieg gerichtet. „Irgendwann werden wir wieder aufbauen müssen, restaurieren. Und wir müssen darauf vorbereitet sein, damit es schneller geht. Es ist gut, jetzt schon damit zu beginnen, auch wenn der Krieg noch nicht vorbei ist. Wir wollen bereit sein.“

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