Gaza-Krieg polarisiert Unis in Schweden: Meinungsfreiheit wieder erlaubt

Nach tagelangen Protesten dürfen nun doch Studenten in Göteborg wieder frei über Politik sprechen. Ein israelischer Militärkonzern steckte dahinter.

Auffällige Architektur, die sich kubisch nach oben hin weitet und rote mit grünen Farben verbindet

Gebäude der Chalmers-Universität im schwedischen Göteborg Foto: Alexander Farnsworth/picture alliance

STOCKHOLM taz | Die umfassenden Proteste hatten Erfolg: Am vergangenen Freitagnachmittag hob das Rektorat der Technischen Hochschule Chalmers in Göteborg das vier Tage zuvor verhängte Verbot politischer Meinungsäußerungen auf dem Campusgelände wieder auf.

Der Druck auf die Universitätsleitung war im Laufe der vorangegangenen Tage immer massiver geworden, beispielsweise hatten die Studentenorganisationen aller im Reichstag vertretenen Parteien – mit Ausnahme der Schwedendemokraten – gegen den „schockierenden Schritt“ protestiert. Sie warnten: Ein solches Verbot bedrohe die Demokratie.

Für seinen Rückzug hatte Chalmers-Rektor Martin Nilsson Jacobi gleich mehrere Begründungen. Zum einen gestand er ein, seine Entscheidung reichlich überstürzt getroffen zu haben: Nicht einmal die Leitungsgremien der Hochschule seien vorab informiert worden. Zum anderen sei „die Situation“, wegen der er gemeint habe, diese Maßnahme anordnen zu müssen, mittlerweile vorbei.

Außerdem behauptet er nun plötzlich, das Verbot sei von vornherein nur vorübergehend und für einen befristeten Zeitraum gedacht gewesen, nur habe er leider vergessen, das auch so zu kommunizieren. Rückblickend, gestand er zu, seien eine ganze Reihe Fehler gemacht worden.

Studentenvereinigungen

„Wir haben in Schweden ein enormes Demokratieproblem an unseren Hochschulen“

Verbot aufgrund einer einzelnen Veranstaltung

Die „Situation“, aufgrund derer das Verbot also angeblich nur vorübergehend eingeführt werden sollte und die es mittlerweile nicht mehr gibt, war offenbar eine einzige an der Hochschule geplante Veranstaltung. Am Dienstag vergangener Woche, also wenige Stunden nachdem Jacobi seine umstrittene Maßnahme eingeführt hatte, fand bei Chalmers eine Jobmesse statt, auf der Firmen sich bei den StudentInnen als mögliche künftige Arbeitgeber präsentieren konnten.

Eine der eingeladenen Firmen war Israels größter Militärkonzern Elbit. Eine Firma, die sich unter anderem auf Überwachungstechnik zur Abwehr von Flüchtlingen spezialisiert hat und sich damit rühmt, ihre auch in Gaza eingesetzten Drohnen seien „kampferprobt“. Gegen ihre Auftritte gab es in der Vergangenheit in mehreren Ländern Proteste.

Offenbar hatte man auch bei Chalmers mit Protesten gerechnet, nachdem es solche in Göteborg, wo Elbit vor einigen Monaten eine Filiale eröffnet hat, in jüngster Vergangenheit bereits mehrfach gegeben hatte.

Letztendlich hatte sich das Chalmers-Verbot dann doch als überflüssig erwiesen, weil Elbit nach heftiger Kritik seitens StudentInnen und Chalmers-Personal in letzter Minute von der Teilnahme an der Jobmesse wieder ausgeladen worden war. Auf Rückfragen konnte der Hochschulrektor allerdings nicht erklären, warum er das Verbot dann nicht unmittelbar wieder zurückgenommen hatte, sondern sich dafür mehrere Tage Zeit ließ und erst nach weiteren Protesten reagierte.

Demokratie-Räume statt No-go-Zone

Dass Chalmers den Campus offenbar allein aus dem Grund zu einer No-go-Zone für politische Meinungsäußerungen erklärt hatte, um Proteste gegen einen höchst umstrittenen israelischen Miltärkonzern zu verhindern, den beispielsweise der staatliche schwedische Pensionsfonds schon vor Jahren aus seinem Portefeuille genommen hatte, ließ die Kritik an dieser Maßnahme nicht verstummen. Ganz im Gegenteil – es gab ihr eher zusätzliche Nahrung.

Auch Bildungsminister Mats Persson wird kritisiert. Dieser hatte sich sofort hinter das Verbot politischer Meinungsäußerungen gestellt und erklärt, er „teile vollständig die Sicht von Chalmers“.

Überrascht von dem, was hier passiert sei, könne man eigentlich nicht sein, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der politischen Studentenvereinigungen: „Wir haben in Schweden ein enormes Demokratieproblem an unseren Hochschulen.“ Und das gerade in einer Zeit, in der sich immer weniger Menschen parteipolitisch engagieren wollen. „Damit die Demokratie unseres Landes erhalten bleibt, braucht es Menschen, die bereit sind, politische Rollen zu übernehmen“, und es brauche „Arenen, in denen Menschen Teil der Demokratie sein können“. Versuche wie die von Chalmers, diese Arenen auch noch verkleinern zu wollen, schadeten Schwedens Demokratie.

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