Geflüchtete in Italien: Rechte rufen Notstand aus

Mehr als 31.000 Menschen kamen 2023 über das Mittelmeer nach Italien. Nun hat Giorgia Meloni für sechs Monate den Notstand verhängt.

Flüchtlinge im Mittelmeer auf einem Boot

Ein in Seenot geratenes Boot mit rund 400 Menschen im zentralen Mittelmeer, 9. April Foto: Giacomo Zorzi/Sea-Watch/dpa

ROM taz | Flüchtlingsnotstand herrscht jetzt in Italien. So sieht das jedenfalls die Rechtsregierung unter Giorgia Meloni, die am Dienstag per Kabinettsbeschluss den „stato di emergenza“ zunächst für die Dauer von sechs Monaten verhängte.

Die Maßnahme ist die Reaktion auf den weiter ungebrochen anhaltenden Zufluss von Flüchtlingen vor allem über das Mittelmeer. In den fünf Tagen vom 7. bis zum 11. April trafen erneut etwa 3.000 Menschen in Italien ein, während sich weitere gut 1.000 Personen auf zwei Schiffen befinden, die Kurs auf die Küste Kalabriens halten. Wie schon im März treffen dutzende kleine Boote aus Tunesien kommend ein, zugleich aber auch größere Schiffe mit mehreren hundert Passagieren, die von der Türkei aus in See gestochen sind.

Mit Stand 11. April verzeichnete das Innenministerium seit Jahresbeginn die Ankunft von 31.400 Menschen; dies stellt gegenüber dem gleichen Vorjahreszeitraum fast eine Vervierfachung dar. Laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) war das erste Quartal 2023 das tödlichste Quartal für Migranten im zentralen Mittelmeer seit 2017. Das „Missing Migrants Project der IOM“ hat in der ersten drei Monaten dieses Jahres 441 Todesfälle dokumentiert.

Vor diesem Hintergrund befürchtet die Regierung, im Jahr 2023 könnten insgesamt 300.000 Flüchtlinge nach Italien kommen. „Notstand“ herrscht in den Augen der Rechtsregierung vor allem deshalb, weil die im Land zur Verfügung stehenden Aufnahmeeinrichtungen, die gegenwärtig etwa 110.000 Personen beherbergen, bis zum letzten Platz gefüllt sind.

Daran wird auch der jetzt verhängte, ganz offiziell verkündete Notstand kaum etwas ändern. Er räumt der Regierung vor allem die Vollmacht ein, mit Sofortmaßnahmen auf die wachsende Zahl der Ankünfte zu reagieren. Ein extra eingesetzter Sonderkommissar kann in verkürzten und vereinfachten Vergabeverfahren zum Beispiel Schiffe und Flugzeuge bereitstellten, um Flüchtlinge von Lampedusa aufs italienische Festland zu bringen, er kann ohne Ausschreibung Unterkünfte anmieten und neue Abschiebezentren öffnen. Unmittelbar hat die Regierung 5 Millionen Euro hierfür bereitgestellt, doch in Rom ist die Rede davon, dass in den nächsten Monaten bis zu 300 Millionen Euro lockergemacht werden könnten.

Italien fordert Maßnahmen aus Brüssel

Doch vorneweg erklärte der Zivilschutzminister Nello Musumeci, die Verhängung des Notstands werde „das Problem nicht lösen“ und „nur Europa“ könne für eine nachhaltige Lösung sorgen. Das Ihre will die Regierung beisteuern, indem sie jetzt weitere Abschiebezentren eröffnen sowie die Abschiebeverfahren beschleunigen und vereinfachen will. Auch dies wird allerdings nicht wirkliche Resultate zeitigen, da es Italien trotz bestehender Rücknahmeabkommen etwa mit Tunesien nicht gelingt, im Asylverfahren nicht anerkannte Flüchtlinge tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückzubringen. Wie bisher schon werden sie als irreguläre Mi­gran­t*in­nen im Land bleiben oder in andere europäische Staaten weiterwandern.

Den gleichen Effekt dürfte die von Melonis Regierung angestrebte Einschränkung des „besonderen Schutzes“ für jene Flüchtlinge darstellen, die kein Asyl erhalten, dennoch von den Kommissionen als in ihren Heimatländern durch Krieg bedroht anerkannt werden. Auch sie werden bei zukünftiger Nichtanerkennung das Heer der Irregulären vergrößern, nicht aber die Zahl der im Land präsenten Mi­gran­t*in­nen verkleinern.

So bleibt Meloni als letzte Hoffnung tatsächlich „Europa“. Außer allgemeinen Absichtserklärungen, dass der Flüchtlingszustrom „eine europäische Frage“ sei, hat Italiens Ministerpräsidentin jedoch auf den letzten EU-Gipfeln nichts erreicht. Weder wurden gemeinsame Einsätze im Mittelmeer beschlossen noch macht die Revision der Dublin-Verträge – nach ihnen ist der jeweilige europäische Erstaufnahmestaat allein für die bei ihm eintreffenden Flüchtlinge zuständig – bisher Fortschritte.

Stattdessen verweist zum Beispiel Frankreich gerne darauf, dass Italien sich bei den „sekundären Wanderungsbewegungen“ – sprich in den Fällen, in denen in Italien eingetroffene Menschen in andere EU-Länder weiterziehen – nicht kooperativ zeige und die Rücknahme der Flüchtlinge verweigere. Hinzu kommt, dass Italien bei der Flüchtlingsaufnahme keineswegs einen Spitzenplatz innehat: Im Jahr 2021 wurden dort 77.000 Anträge auf humanitären Schutz gestellt, während es in Deutschland 217.700, in Frankreich 137.500 und in Spanien 116.000 waren.

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