Fatima im Rollstuhl steht in der Mitte einer Partygesellschaft, alle klatschen und lachen

Feiern gegen Nazis: Fatima Maged bei der Eröffnung des IZDA Foto: Sitara Ambrosio/laif

Gegen Rassismus in Chemnitz:Ein Raum im Nazikiez

Chemnitz machte 2018 mit Neonazis-Ausschreitungen Schlagzeilen. Noch immer sind rechte Strukturen stark. Fatima Maged will dem etwas entgegensetzen.

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Aus chemnitz, 21.3.2024, 14:51  Uhr

Wer Fatima Maged begegnet, merkt im ersten Moment, dass sie durch und durch Optimistin ist. Während die 28-Jährige in ihrer Wohnung in Chemnitz Tee zubereitet, lacht sie herzhaft. Maged sprüht vor Lebensfreude. An der Wand ihres Wohnzimmers hängen selbstgemalte Bilder. „Das Leben der Menschen verschiedener Herkunft in Chemnitz ist gerade ein Neben- und nicht ein Miteinander“, sagt Maged.

Auch wenn ihr das zusetze, habe sie nicht aufgegeben. „Hier gibt es einen kleinen Keim Hoffnung, der nicht vertrocknen darf, den man zu einer Pflanze wachsen lassen sollte“, sagt sie, und ihre dunklen Augen blitzen, während sie spricht.

Chemnitz ist ein Ort der Widersprüche. Die Ästhetik der Ostalgie dominiert das Stadtbild. International erlangte die Stadt 2018 mit schweren rechtsextremen Ausschreitungen und der Jagd auf „ausländisch“ gelesene Personen einen Platz auf der Weltbühne. Fatima Mageds in Deutschland geborener Bruder wurde damals Opfer dieser Gewaltausbrüche, stürzte und landete mit einer Gehirnerschütterung im Krankenhaus.

Für die Betroffenen, ihre Familien und alle von Rassismus und rechter Gewalt Betroffenen wirken die Ausschreitungen bis heute nach. Auch die juristische Aufarbeitung läuft äußert schleppend. Im Stadtbild bewegen sich die rechtsextremen Tä­te­r*in­nen von damals, – Nachbar*innen, Kol­le­g*in­nen oder Pas­san­t*in­nen – entsprechend selbstbewusst umher.

Neuer Raum statt Nazikiez

Seit 26 Jahren ist Chemnitz Mageds Zuhause. Sie ging hier in den Kindergarten, besuchte die Schule und machte eine Ausbildung. Dann studierte sie Medienmanagement in Mittweida, rund 20 Kilometer nördlich von Chemnitz. „Ich war so froh, studieren zu können – als migrantische Person, als Frau, im Rollstuhl. Als Person, die in verschiedene Randgruppen gesteckt wird“, sagt Maged.

Heute arbeitet sie für den Dachverband sächsischer Migrantinnenorganisationen, leitet die internationale Redaktion „SpeakOutL_out“ des freien Radios in Chemnitz und steht einem neuen Verein vor, der die Stimmung in der Stadt ändern will: Dem Internationalen Zentrum für Demokratie und Aktion – kurz IZDA.

Als sich Maged an einem Samstagnachmittag Anfang März die Gießerstraße im Bezirk Sonnenberg hinauf bewegt, empfangen andere IZDA-Mitglieder sie freudig. Der 28-jährige angehende Sozialarbeiter Ahmed Al Ahmed steht auf der kleinen Treppe vor dem Ladenlokal. Sonnenstrahlen fallen über die Häuserschluchten der Altbauten.

Hier, wo militante Neonazis vor Jahren einen vermeintlichen „Nazikiez“ ausrufen wollten, entsteht ein neuer Raum. Ein Raum, der durch migrantische Selbstorganisation geschaffen und getragen wird. Die Mitglieder stammen aus zwölf verschiedenen Ländern. Auch der Afghanische und der Arabische Verein beteiligen sich am Aufbau des Zentrums.

Die Angst spielt eine Rolle

Kurz vor seiner Eröffnung des IZDA steht vom Tresen nur das Skelett. Die Küche wird noch montiert. Die etwa 130 Quadratmeter sind eine riesige Baustelle. Arabische Musik ist zu hören. „In Chemnitz werden Migrantinnen politisch zu wenig repräsentiert“, sagt Maged. Tatsächlich sitzt kein Mensch mit Migrationsbiografie im Stadtrat. Dabei spiele auch die Angst vieler Menschen, sich zu engagieren, eine Rolle, sagt Maged. „Es ist immer noch schwierig, die Leute zu empowern und zu sagen: Es sind manche Dinge nicht gegeben, aber die können wir uns schaffen“.

Etwa zehn Personen sind an diesem Märznachmittag in den Räumlichkeiten, Menschen mit und ohne Migrationserfahrung, Schüler*innen, Auszubildende, Studierende und Menschen, die mitten im Berufsleben stehen. Alle beteiligen sich am Aufbau des Zentrums. Einige wollen anonym bleiben. Unterschiedliche Personen versuchen, sich zu ergänzen und zu unterstützen. Seit eineinhalb Jahren arbeitet diese heterogene Gruppe am IZDA.

Fatima Maged, 28 Jahre

„Das Leben der Menschen verschiedener Herkunft in Chemnitz ist gerade ein Neben- und nicht ein Miteinander. Aber es gibt einen kleinen Keim Hoffnung, der nicht vertrocknen darf“

Das Gesellschaftszentrum will das Konzept der Nachbarschaftsarbeit wiederbeleben. Eine Mischung aus Stadtteilarbeit, demokratischer Selbst­organisation und kulturellen Angeboten soll die verschiedenen Communities des Sonnenbergs sichtbarer machen im Alltag. Demokratie stärken, indem man neue Räume dafür schafft in Chemnitz – in Form eines Treffpunkts wie dem IZDA, in Form von Teilhabe. Darum geht es Maged und den anderen.

Die Räumlichkeiten hat die Kreativ-Achse, eine Städtebauförderungsmaßnahme, die der nachhaltigen Stadtentwicklung dienen soll, vermittelt. Die Aufwertungsmaßnahme, die dem Leerstand in Chemnitz entgegenwirken soll, trägt für eineinhalb Jahre die Miete mit. Zusätzlich unterstützt die Bewegungsstiftung den Aufbau des Zentrums. „Wir wollen die Stadtgesellschaft bereichern und zum Besseren verändern“, heißt es auf der IZDA-Website.

Eine Hochburg der Rechten

Die gesellschaftliche Stimmung in Chemnitz wirkt oft rau. Betroffene erzählen, sie seien im Alltag regelmäßig rassistischen Anfeindungen ausgesetzt. Die Bandbreite erstreckt sich von subtilen Blicken, Beleidigungen, bis zu körperlichen Übergriffen. Die Beratungsstelle für Betroffene rechter Gewalt, der RAA Sachsen, sammelt die Taten in einer Chronik. Für Chemnitz sind im vergangenen Jahr über 61 rechtsextreme und rassistische Vorfälle dokumentiert, seit Beginn der Chronik 2008 sind es 383. Insgesamt wurden für Sachsen 2023 912 rechtsextreme Vorfälle dokumentiert.

Das Dunkelfeld dürfte allerdings riesig sein, denn die Betroffenen müssen zunächst von der Beratungsstelle wissen und deren Angebot in Anspruch nehmen. Mit der Thematisierung rechtsextremer Ausschreitungen in seiner Bewerbung, dem kulturellen Angebot und der Beschreibung von Gegenkonzepten wurde Chemnitz unter dem Motto „C the unseen – European Makers of Democracy“ zur europäischen Kulturhauptstadt 2025 gewählt.

Die Stadt ist aber bis heute auch eine Hochburg der Rechtsextremen. Wöchentlich marschieren die „Freien Sachsen“ – oft widerspruchslos – durch die Stadt. Ritualisiert demonstriert die selbst vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Gruppe. Im Juni wollen sie zur Kommunalwahl antreten.

Bei der letzten Wahl vor fünf Jahren unterstützten – damals noch unter dem Namen „Pro Chemnitz“ – etwa sieben Prozent der Chem­nit­ze­r*in­nen die extrem Rechten. Die Chemnitzer AfD liegt derweil laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts FORSA für die Landtagswahl im Herbst bei 34 Prozent.

Bunter Wochenmarkt vor der Glasfassade von Galeria Kaufhof in Chemnitz Innenstadt

Bunt mit Braun: Blumenhändler und Essensbuden, aber auch ein Stand der neonazistischen Freien Sachsen in der Chemnitzer Innenstadt Foto: Sitara Thalia Ambrosio/laif

Rechtsextremes Fanal

Zugleich errichten viele andere extrem Rechte Strukturen in Chemnitz. So eröffnete jüngst die Identitäre Bewegung einen Treffpunkt. Es gibt weitere Immobilien in der Hand verschiedener neonazistischer Organisationen. Bis heute leben NSU-Unterstützer*innen in Chemnitz und sind in der Szene aktiv, wie die Broschüre „Unter den Teppich gekehrt. Das Unterstützernetzwerk des NSU in Sachsen“ des Kulturbüros Sachsen e.V. belegt.

Aus verschiedenen Regionen Deutschlands sind Neonazis in die Sachsenmetropole gezogen. In einer jüngst im Sammelband „Brennpunkte der neuen Rechten“ erschienenen Situationsanalyse des Journalisten Johannes Grunert und Forschers Johannes Kieß zeigt sich, dass die extreme Rechte in Chemnitz durch ihr Netzwerk immer wieder in der Lage ist, schnell und oftmals erfolgreich zu mobilisieren. „Der 26. August 2018 gilt als Fanal rechtsextremer Mobilisierung in Chemnitz, die allerdings auf eine längere Entwicklung in der Region aufbaute“, heißt es in der Situationsanalyse.

Die Gruppe rund um das IZDA beschloss nach zahlreichen eigenen Erfahrungen: An der Situation in Chemnitz muss sich etwas ändern. „Wir wollen in den Medien und der Politik mit unseren Bedürfnissen repräsentiert werden“, sagt Maged. Deswegen das IZDA. Außerdem unterstützt die Gruppe bisher vor allem auch Demonstrationen verschiedener migrantischer Communities. Etwa vom „Zusammenschluss für Frieden im Nahen Osten“.

Hier betont der Verein auf seinem Instagram-Kanal, dass man für die Freiheit aller Völker in Palästina-Israel und für den Schutz von Zi­vi­lis­t*in­nen auf die Straße gehe. „Zusammen sind wir gegen Rassismus und Antisemitismus“, heißt es weiter.

Ein Drittel hat Migrationsgeschichte

Zur Eröffnung des IZDA am 3. März herrscht große Aufregung. Wie viele Leute werden kommen, wird das Zentrum gut ankommen, rätseln die Organisator*innen. Die Getränke werden geliefert. Alkohol gibt es keinen. Das steht in den Hausregeln. Verboten sind auch illegale Drogen und jegliches diskriminierendes Verhalten. Nach und nach trudeln erste Freun­d*in­nen des IZDA-Teams ein.

Das Buffet im Hinterzimmer, das später einmal ein Büro sein wird, füllt sich. Serviert wird unter anderem arabisches Brot, Nudelsalat, kleines selbstgemachtes Gebäck aus Blätterteig und Tabouleh. Auf dem Tresen vorne steht eine riesige Torte mit dem Logo des Zentrums, die eine aus Syrien geflohene Nachbarin gebacken hat.

Die Gegend um das Zentrum IZDA gilt als Problembezirk. Zu Unrecht: In der Kriminalstatistik ist der Sonnenberg nicht besonders auffällig, sondern liegt im Mittelfeld. Etwa 17.000 Menschen wohnen hier. Ein Viertel aller Häuser steht leer. An vielen Stellen wird gebaut und renoviert. In den letzten fünf Jahren hat sich das Stadtbild stark verändert. Nach wie vor leben viele Menschen ohne Job im Viertel.

Was für Chemnitz besonders ist, ist, dass ein Drittel der Be­woh­ne­r*in­nen Migrationsgeschichte hat. Daher dürfte die Zuschreibung als „besonders kriminell“ nicht mehr als ein rassistisches Klischee sein. Das Leben pulsiert rund um eine Reihe arabischer Supermärkte und Restaurants auf der Fürstenstraße, wie an wenigen Orten in Chemnitz.

Künst­le­r*in­nen von überallher

Im zukünftigen Beratungsraum des IZDA macht sich Dania Yabroudi für die Feier fertig. Die 20-Jährige Schülerin lernt eigentlich gerade für ihr Abitur. Seit sieben Jahren lebt sie in Chemnitz. Im IZDA sucht sie vor allem einen Ort, an dem sie nicht wegen ihrer Herkunft abgewertet wird. Bisher hat sie dieses Gefühl nur beim Theaterspielen in ihrer Schule gehabt, erzählt sie. Nach und nach trudeln mehr Gäste ein. Auch der MDR ist da. Vor der Tür beziehen zwei Securities Position. Bisher ignorieren die extrem Rechten das IZDA. Ob das so bleibt, ist ungewiss.

Die Gruppe, die das IZDA organisiert, betritt die Bühne. Fatima Maged sagt: „Es ist so schön, euch alle zu sehen und dass wir so einen Raum in Chemnitz eröffnen, nach den letzten schweren Jahren in dieser in Teilen sehr rassistischen Stadt“. Ganz unterschiedliche Chem­nit­ze­r*in­nen sind da: junge Migrant*innen, weltoffene Zugezogene und alteingesessene Sonnenberger, wie der Chronist des Viertels.

Mit ernster Miene betritt der erste Künstler die Bühne. Pouriya stammt aus dem Iran, ist Geiger und eröffnet mit Johann Sebastian Bachs „Arioso“. Eine halbe Stunde später folgt ein rasanter Stimmungswechsel: Der Vorsitzende des Migrationsbeirats, Pedro Montero, singt auf Spanisch und spielt dazu Gitarre. Es folgt ein Studierender aus China mit Gesangseinlagen.

Endlich ist auch das Buffet eröffnet. Es gibt mehr zu essen, als die rund 200 Be­su­che­r*in­nen verdrücken können. Aus verschiedensten Communities sind Menschen gekommen. So richtig Fahrt nimmt das internationale Fest auf, als ein kurdisches Duo aus Syrien mit Synthesizern und Gesang einheizt. Ahmed Al Ahmed von IZDA beginnt mit mehreren Freunden Dabke, einen orientalischen Tanz, vorzuführen. Nach und nach lassen sich immer mehr Be­su­che­r*in­nen darauf ein, tanzen mit. Rechte Angriffe scheinen fern.

Die 20jährige Dania Yabroudi zieht sich festlich an

Musik aus der Heimat: Dania Yabroudi macht sich bereit für die Party Foto: Sitara Ambrosio/laif

Der Abend: Ein Moment des Glücks

Am frühen Abend endet die Eröffnungsfeier. Die Ägypter Mohammad und Ahmad spülen mit zwei Freunden in der Küche Teller. Das IZDA-Team schließt die Veranstaltungstechnik weg. Die letzten Be­su­che­r*in­nen bedanken sich für den gelungenen Nachmittag. Für das Team war der Tag ein voller Erfolg.

„Ich habe so eine Feier in Chemnitz noch nicht erlebt“, sagt die 20-jährige Dania Yabroboudi und strahlt. Sie habe keinen Unterschied zwischen Menschen mit Migrationsbiografie und Deutschen gemerkt. Die Stimmung und die Musik hätten sie direkt in ihre Heimat Syrien zurückversetzt. „Zu unserem glücklichen Leben“, so Yabroudi. „Ich dachte: Wie schön ist das, dass ich sowas hier erlebe.“

Alleine wegen der Eröffnung hätten sich die eineinhalb Jahre Arbeit gelohnt, sagt sie. „Ich habe gesehen, was ich sehen wollte: Dass viele Leute glücklich sind, eine gute Zeit verbringen und sich wohlfühlen, ohne komische Gefühle zu haben, ob sie genug sind oder nicht“, so Yabroudi. Wenn das Team so weitermache und die selbstgesteckten Ziele erfülle, dann werde sie alle Kraft, die sie habe, in das Projekt geben, sagt die 20-Jährige.

Dania Yabroboudi, 20 Jahre, Schülerin

„Ich habe so eine Feier in Chemnitz noch nicht erlebt. Wie schön, dass ich sowas hier erlebe“

Während am Abend vor dem Laden Ruhe eingekehrt ist, kommen zwei Anwohnerinnen aus dem Nachbarhaus. Bei der Feier waren sie nicht. An einem Bauzaun hängen noch letzte goldene Luftballons. Sie blicken argwöhnisch. Eine witzelt, man solle diese zerstechen, und lacht. Das IZDA-Team rollt über solche Aussagen nur die Augen. Aber der Kommentar der Passantinnen zeigt auch: Die eigentliche Arbeit für das Zentrum beginnt jetzt wohl erst.

Hilfe bitter nötig

In der Woche nach der Eröffnung beginnen zunächst regelmäßige Beratungsangebote. Überall in den Läden auf dem Sonnenberg hängen Plakate. Alle Beiträge werden mehrsprachig publiziert, um möglichst viele Menschen zu erreichen. „Hilfe mit Post, E-Mails, Anträgen und Bewerbungen“, heißt es zum „Offenen Büro“. Vor Ort helfen ehrenamtliche Behördendschungel-Profis bei diversen Anträgen, unter anderem Ahmed Al Ahmed, der angehende Sozialarbeiter.

Gleich in der ersten Woche nehmen vier Nutzerinnen das Angebot wahr, schreibt das IZDA-Team der taz. Langsam aber sicher kommt das Zentrum in den verschiedenen Gemeinschaften in Chemnitz an. Zukünftig bieten mehrere solidarische An­wäl­t*in­nen hier auch eine kostenlose Rechtsberatung an. Außerdem nutzt der SABS e.V. die Räumlichkeiten für zwei wöchentliche Sprechstunden für Menschen ohne Krankenversicherung.

Bald soll es auch eine psychologische Beratung geben. Ein Sprach-Café, Nachhilfe, und dann irgendwann auch Abendveranstaltungen mit politischen Inhalten und internationalem Essen sind ebenfalls in Planung.

Die Angebote sind bitter nötig. Es kommen zwar weiter Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen nach Chemnitz, die Stellen für die Geflüchteten-Sozialarbeit werden aber nicht ausgebaut. Tatsächlich wird der Betreuungsschlüssel immer schlechter. Wie eine Anfrage der Stadträtin Carolin Juler (Linke) ergab, war dieser im Jahr 2022 noch bei 1:80. Heute liegt er, laut Pressestelle der Stadt Chemnitz, bei „bis zu 1:100“. Dabei fordern eine Reihe Expert*in­nen in der Sozialen Arbeit einen Schlüssel von maximal 1:50.

Fatima Maged fährt fröhlich im Rollstuhl mit Unterstützern durch Chemnitzer Straßen

Aufbruch in eine bessere Stadt: Fatima Maged mit Unterstützern

Rechtsextreme Meinungen: normal

Die Geflüchteten-Sozialarbeit sei im Bereich der freiwilligen Kommunalaufgaben angesiedelt, erklärt Juler. Aufgrund des knappen Haushalts, aber immer mehr Aufgaben, die vom Bund an die Kommunen abgegeben würden, bleibe diese Art der Integrationsarbeit auf der Strecke, so Juler. Sie sitzt als Sprecherin für Gleichstellung und Migration ihrer Fraktion im Stadtrat.

Sie sei zwar selbst nicht von Rassismus betroffen, aber im Kontakt mit Betroffenen, erzählt sie der taz. Neben deren Perspektive kenne sie aber auch die der überlasteten Stadtverwaltung. Dort seien zwei Personen für die Einbürgerungen zuständig, erzählt die Linke-Politikerin. Für zwei zusätzliche geschaffene Stellen habe sich kein Fachpersonal gefunden. Das führe zu Wartezeiten, die teilweise bei über zwei Jahren lägen. Daneben sei die Normalisierung rechtsextremer Meinungen in allen Teilen der Gesellschaft ein großes Problem, sagt Juler.

Doch jüngst regte sich breiterer Widerstand in Chemnitz. „Ich merke, dass diese Enthüllungen der Correctiv-Recherche bei Betroffenen von Rassismus viel Angst ausgelöst haben – vor allem auch in Bezug zu 2018“, so Juler. 12.000 kamen zu einer ersten Demonstration nach den Enthüllungen Anfang des Jahres. Ein riesiger Erfolg, von dem sie befürchte, dass er die Stimmung leider nicht herumreißen und die Rechten stoppen werde, so Juler.

Doch was bedeutet das eigentlich, „die Rechten stoppen“? Eine Stärkung der demokratischen Zivilgesellschaft? Ein Rückgang rechter Übergriffe? Zu lange habe man weggesehen, kritisiert Juler. Auch die Initiative Kulturhauptstadt ändere daran nichts. Es gebe dort jetzt zwar ein Rahmenprogramm von zehn Veranstaltungen, wie die Ideen aus der Bewerbung aber letztendlich umgesetzt würden, stehe noch in den Sternen. Lange sei etwa um ein Dokumentationszentrum zum NSU-Komplex gerungen worden, das nun zumindest interimsmäßig geschaffen wird.

Förderung ungewiss

Das IZDA selbst ist kein Projekt der Kulturhauptstadt. Bis August 2025 unterstützt die Kreativ-Achse den Verein. Mitten im Kulturhauptstadt-Jahr endet dann die Förderung des interkulturellen Zentrums. Der Gruppe um das IZDA ist sich dessen bewusst. Bereits jetzt beantragen sie Mittel aus großen und kleineren Fördertöpfen, etwa aus dem einer Berliner Brauerei.

Klar ist, dass je nach kommunalpolitischen Mehrheiten Fördermittel wegfallen könnten. Das Ziel sei deswegen, möglichst viele För­der­mit­glie­der zu finden, um langfristig die Miete unabhängig von Stadt und Staat finanzieren zu können, erzählen die Mitglieder der taz.

Die größte Hoffnung setzen sowohl Dania Yabroudi als auch Fatima Maged in die nun regelmäßig stattfindenden Frauentreffen. Denn besonders für migrantische Frauen fehlen in Chemnitz Räume. „Ich hoffe, dass die Frauen uns vertrauen“, sagt Yabroudi. Maged hofft, dass auch die Generation ihrer Mutter zu den Frauentreffen komme. Sie spüre gerade eine Aufbruchstimmung, sagt sie. „Ich habe das Gefühl, dass viele ihren Mut zusammennehmen und sich aus ihrem Kokon trauen“, so Maged.

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