Gesichterkennung zur Terrorabwehr: Der Mensch erkennt am besten

Die Gewerkschaft der Polizei fordert Videoüberwachung mit Software zur Gesichtserkennung auf Weihnachtsmärkten. Chaos Computer Club hat Vorbehalte.

Ein Hund mit einem Rentiergeweih

Irritierend aber leicht wiederzuerkennen: verkleideter Hund auf dem Weihnachtsmarkt Foto: Andreas Arnold / dpa

BREMEN taz | Die Angst vor Terroranschlägen auf Weihnachtsmärkte ist mit dem Krieg der Hamas gegen Israel zurückgekehrt – und die Gewerkschaft der Polizei nutzt dies, um ihre Forderung nach mehr Videoüberwachung und Anwendung von Gesichtswiedererkennungs-Software zu erneuern. „Das bräuchten wir jetzt“, sagte am Montag in der ARD deren aus Bremen stammender Vorsitzender Jochen Kopelke. „Das setzt Ressourcen frei und dann können wir mehr Streifen, bürgerfreundliche Polizeiarbeit auf Weihnachtsmärkten, aber auch in Innenstädten machen.“

Im Gespräch mit der taz erinnerte Kopelke an ein aus seiner Sicht erfolgreiches Pilotprojekt am Berliner Bahnhof Südkreuz von Sommer 2017 bis Sommer 2018. Dort hatten Videokameras in bestimmten gekennzeichneten Bereichen gefilmt; die Aufnahmen wurden in Echtzeit von Software daraufhin ausgewertet, ob bestimmte freiwillige Test-Personen zu sehen waren. In der Realität wären dies „echte“ Straf­tä­te­r:in­nen oder Gefährder:innen, von denen Bildmaterial vorhanden ist.

Nach Darstellung des damaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer hatten sich die getesteten Systeme „in beeindruckender Weise bewährt, so dass eine breite Einführung möglich ist“. So seien in acht von zehn Fällen die Test-Personen zuverlässig wiedererkannt worden. Falsche Wiedererkennungen habe es nur in 0,1 Prozent der Fälle gegeben.

Zweifel an dieser positiven Darstellung der Ergebnisse hatte der Chaos Computer Club, der den Abschlussbericht des Bundesinnenministeriums auswertete. Die Trefferquote von 80 Prozent sei eine rechnerische, heißt es in der Stellungnahme der Hackervereinigung aus dem Oktober 2018. Der Wert werde nur erreicht, wenn alle drei getesteten Systeme zugleich zum Einsatz kämen. „Tatsächlich ist das durchschnittliche Ergebnis des Versuchs für das beste der drei Testsysteme die peinliche Zahl von 68,5 Prozent.“

Viele Fehlalarme

Auch die Falscherkennungsrate sei geschönt und liege mit 0,67 Prozent höher. „Bei einer durchschnittlichen Anzahl von etwa 90.000 Reisenden pro Tag am Bahnhof Südkreuz hieße ein solcher Wert, dass täglich 600 Passanten und mehr fälschlich ins Visier der biometrischen Installation gerieten“, schrieben die Hacker.

In all diesen Fällen müssten Po­li­zei­be­am­t:in­nen entscheiden, ob sie dem Computeralarm nachgehen und die Personen überprüfen. Vorstellbar sei, dass sie bei so vielen Meldungen auch dann einmal nicht reagieren, wenn ein tatsächlich gesuchter Straftäter auf dem Bildschirm erscheint. Auch den Versuchsaufbau hielt der Chaos Computer Club für unbrauchbar. So seien die Testpersonen in hoher Auflösung mit guter Beleuchtung fotografiert worden.

Tatsächlich sind die vorhandenen Aufnahmen von bekannten Straf­tä­te­r:in­nen oder Ge­fähr­de­r:in­nen selten gestochen scharf. Sie können auch nur in grober Auflösung vorliegen oder unscharf, bei schlechten Lichtverhältnissen aufgenommen. Zudem bemängelte der Chaos Computer Club die geringe Anzahl der Testpersonen und dass diese „kein aussagekräftiges Abbild der Bevölkerung“ in Hinblick auf Alter, Geschlecht und Ethnie dargestellt hätten.

Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke kritisierte dennoch, dass das Projekt der computergestützten Gesichtswiedererkennung aus politischen Gründen nicht weiter verfolgt wurde. Das hat in erster Linie mit datenschutzrechtlichen Überlegungen zu tun. Derzeit berät das EU-Parlament über den Umgang mit solchen Systemen. Zwischendurch hatte es sogar so ausgesehen, als würde die Wiedererkennung in Echtzeit ganz verboten werden. Jetzt soll den Ländern offenbar doch ein größerer Spielraum eingeräumt werden, wie das Mediennetzwerk Euractiv vor einem Monat meldete. So könnte es sein, dass sie zur Verhinderung oder Aufklärung schwerer Straftaten doch erlaubt wird.

Super-Recognizer werden in sieben Ländern und bei der Bundespolizei eingesetzt

Eine Alternative zur Gesichtswiedererkennung mit künstlicher Intelligenz sind Menschen, die besonders gut darin sind, Personen wiederzuerkennen, von denen sie nur Bilder kennen und die sich seit dieser Aufnahme stark verändert haben – so genannte Super Recognizer. Diese werden in Deutschland in sieben Bundesländern bei der Polizei sowie bei der Bundespolizei eingesetzt.

Bisher gebe es keine wissenschaftlichen Untersuchungen, die einen Vorteil der künstlichen Intelligenz gegenüber solchen Personen bewiesen, schreibt Meike Ramon, Professorin für kognitive Neurowissenschaften auf der Homepage ihres Instituts an der Universität Lausanne. Es scheine viel dafür zu sprechen, dass Menschen besser mit schwierigen Bedingungen zurecht kommen, heißt es weiter. Ramon ist führende Spezialistin für menschliche Super Recognition.

Der GdP-Vorsitzende Jochen Kopelke hält nichts vom Einsatz der Super Recognizer. Das sei zu personalaufwändig und nicht notwendig, weil es technische Lösungen dafür gebe.

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