Gutachten zu Vergesellschaftung: Enteignen ist machbar, Herr Nachbar

Der schwarz-rote Senat will ein neues Gutachten zur Vergesellschaftung. Damit offenbaren CDU und SPD ein fragwürdiges Demokratieverständnis.

Cheerleader tanzen bei einer Protestkundgebung von «Deutsche Wohnen und Co. enteignen» vor dem Roten Rathaus, während im Rathaus das zweite Treffen des Bündnisses für Wohnungsneubau und bezahlbares Wohnen stattfindet.

Die Ent­eig­nungs­ak­ti­vis­t*in­nen geben alles – und werden doch nicht erhört Foto: Jörg Carstensen/dpa

Ich mach mir die Welt, widdewidde wie sie mir gefällt – das Lebensmotto von Pippi Langstrumpf scheint auch im Berliner Senat angekommen zu sein. Oder zumindest gutachten sie sich dort die Welt, bis sie ihnen gefällt. Doch was bei der neunjährigen Autonomen und Anarchistin ein sympathisches Lebensmotto ist, ziemt sich noch lange nicht für gewählte Re­gie­rungs­ver­tre­te­r*in­nen. Denn in der harten Realität macht im Gegensatz zu Astrid Lindgrens Kinderbuchwelt zwei mal drei eben nicht vier und drei auch nicht neune.

So lustig die Vorstellung von Kai Wegner mit zwei roten Zöpfen und gestreiften Kniestrümpfen auch sein mag, das Vorhaben der schwarz-roten Koalition, ein neues Gutachten darüber einzuholen, ob Enteignungen großer Wohnungsunternehmen rechtlich möglich sind, ist es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es ist sogar brandgefährlich und zutiefst antidemokratisch.

Denn da die Mehrheit der Ber­li­ne­r*in­nen im Gegensatz zu Pippi Langstrumpf keine eigene Villa besitzt, sondern sich nicht mal die Miete für ihre Wohnung leisten kann, haben die Menschen von ihrem demokratischen Stimmrecht Gebrauch gemacht und für die Vergesellschaftung profitorientierter Immobilienkonzerne gestimmt. Das kann man blöd finden, aber so ist das nun in einer Demokratie: Die Mehrheit entscheidet.

Das scheinen die vermeintlichen Sozialde­mo­kra­t*in­nen jedoch anders zu sehen: In der Hoffnung, den erfolgreichen Volksentscheid dadurch aushebeln zu können, hatten sie eine 13-köpfige Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on durchgesetzt, die die rechtliche Machbarkeit dieses Vorhabens prüfen sollte. Doch selbst ausgewiesene Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen in dem Gremium kamen nach einjähriger Prüfung nicht umhin festzustellen, dass das Land Berlin das laut Grundgesetz darf. Mehr noch: Angesichts der fehlenden Möglichkeiten zur Kontrolle des außer Rand und Band geratenen profitorientierten Wohnungsmarktes ist dies auch verhältnismäßig.

Missachtung von Wäh­le­r*in­nen­wil­len und Verfassung

Das war nun wahrlich nicht das, was sich die Ent­eig­nungs­geg­ne­r*in­nen von CDU, SPD und ihre Spezies aus der Immobilienlobby erhofft hatten. Aber man kann es nicht oft genug sagen: Demokratie ist kein Wunschkonzert und sowohl der Wäh­le­r*in­nen­wil­le als auch die Verfassung müssen von Regierungen respektiert werden. Wer das nicht tut, ist nichts anderes als ein Verfassungsfeind. Und das Grundgesetz sieht Enteignungen laut Artikel 15 explizit vor, auch wenn dieser noch nie zuvor angewendet wurde.

Doch im Roten Rathaus scheinen sie keine allzu großen An­hän­ge­r*in­nen der Demokratie zu sein. Anders ist nicht zu erklären, dass sie im kommenden Jahr ein Rechtsgutachten einholen wollen, das die verfassungsrechtlichen Fragen eines Gesetzes zu Enteignungen prüfen soll – also genau das, was die Ex­per­t*in­nen­kom­mis­si­on bereits gemacht hat.

Dass nun die Möglichkeiten eines Rahmengesetzes statt eines konkreten Enteignungsgesetzes für Wohnungskonzerne geprüft werden sollen, ist dabei nicht mehr als ein Feigenblatt: Entweder sind Enteignungen machbar – und das sind sie – oder nicht. Und wenn sie das sind, ist das Grundgesetz der „Rahmen“, dafür braucht es kein neues Gesetz. Und weil das so ist, sind sowohl das Rahmengesetz als auch das neue Gutachten reine Verschleppungstaktik, um den Willen von mehr als einer Million Ber­li­ne­r*in­nen zu ignorieren. Eigentlich ein klarer Fall für den Verfassungsschutz.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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