Häusliche Gewalt in Deutschland: Um Jahre zurückgeworfen

Der Anstieg von häuslicher Gewalt zeigt, dass die Pandemie uns als Gesellschaft zurückgeworfen hat. Es braucht mehr Plätze in Frauenhäusern und Geld.

Eine Frau steht vor einem Frauenhaus

Vor allem braucht es gesellschaftliche Sensibilität und Antigewalttraining für Männer Foto: Sophia Kembowski/dpa

Die Zahlen zu häuslicher Gewalt sind gestiegen – um 9,3 Prozentpunkte gegenüber dem Pandemiejahr 2021. Das ergab eine Recherche der Welt bei den 16 Innenministerien und Landeskriminalämtern. Die Dunkelziffer ist vermutlich viel höher. Nun sind vor allem Männer überrascht: Huch, das ist ja schrecklich. Und dann geht’s weiter. Viel zu leicht ist das Wegsehen, viel zu komplex das Eingreifen in die vermeintlichen Privatangelegenheiten anderer Leute.

Die Reaktion von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) darauf ist denkbar schlicht: Opfer häuslicher Gewalt sollen Anzeige erstatten, außerdem soll es bald mehr Plätze in Frauenhäusern geben.

Es gibt allerdings gute Gründe, warum manche Opfer häuslicher Gewalt (Hilfetelefon: 116016) keine Anzeige erstatten wollen oder können: Wenn ich als Illegalisierte in Deutschland lebe, werde ich dann abgeschoben, wenn ich bei der Polizei Anzeige erstatte? Bin ich finanziell abhängig von meinem Partner? Bin ich pflegebedürftig und bei dem Kontakt mit der Außenwelt auf die Hilfe der Person angewiesen, die häusliche Gewalt ausübt? Es lässt sich eben nicht so einfach beantworten, wie sich ein Gewaltopfer im Zweifelsfall zu verhalten hat.

Und ja, es braucht mehr Plätze in Frauenhäusern. Aber bislang ist noch nicht einmal klar, ob das Ministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend das Kernanliegen Kindergrundsicherung finanziell gestemmt bekommt, da ist es zweifelhaft, wie viel Geld für Frauenhäuser bleibt. Abgesehen davon ist mit einer Anzeige und einem Platz im Frauenhaus nur wenig getan, denn dann hat die Gewalt ja bereits stattgefunden.

Es braucht also politische Präventionsmaßnahmen wie Antigewalttrainings für Männer, die ausgebaut werden müssen. Es braucht aber auch mehr gesellschaftliche Sensibilität: ein Klima, das sexistische Witze am Arbeitsplatz oder in der Kneipe ächtet. Dass es diesen Fortschritt nicht gibt, zeigen die Rückschläge der letzten Jahre: Die Coronapandemie hat die Gesellschaft in Sachen Gleichstellung zurückgeworfen.

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