Hetzjagd in Chemnitz: Prozesse gegen Neonazis starten

Die Neonazi-Ausschreitungen in Chemnitz 2018 schockten Deutschland. Am Montag beginnt der erste Prozess wegen der Gewalttaten.

In Chemnitz gingen am 1. September 2018 AfD, Pegida und andere Rechte gemeinsam auf die Straße.

Schulterschluss in Chemnitz: Am 1. September 2018 gingen AfD, Pegida & Co gemeinsam auf die Straße Foto: Ralf Hirschberger/dpa

BERLIN taz | In Chemnitz beginnen an diesem Montag vor dem Landgericht Verhandlungen gegen sechs Neonazis. Ihnen werden Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen. Am 1. September 2018 haben sie am Rande der rechten Demonstrationen in Chemnitz mutmaßlich mehrere Ge­gen­de­mons­tran­t*in­nen angegriffen. Die Demonstrationen gelten als der öffentliche Schulterschluss zwischen AfD und Neonazis. Parteigrößen wie Björn Höcke gingen vorweg, Rechte aus der ganzen Bundesrepublik marschierten dahinter.

Die Angeklagten kommen aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und dem Saarland. Vor der Kammer des Landgerichts soll am Montag die Anklage verlesen werden, und es sollen bereits auch zwei Beamte als Zeugen verhört werden. Elf Verhandlungstage sind bis Ende Januar angesetzt.

Dass die juristische Aufarbeitung so lange dauert, frustriert die Betroffenen. Die Rechtsanwältin Kati Lang vertritt einen der Nebenkläger. Sie sagt, dass wegen „der Trägheit“ von Behörden und Gerichten in Sachsen oft „keine wirkungsvollen Verfahren mehr stattfinden, ist inzwischen eine traurige Normalität“.

Das Landgericht Chemnitz erklärt die Dauer unter anderem mit den Pandemiebedingungen. Es sei schwer gewesen, einen Raum mit passender Größe zu finden. Zudem hätten andere Verfahren, bei denen Menschen in Untersuchungshaft saßen, Vorrang gehabt. Die für die Ermittlungen verantwortliche Generalstaatsanwaltschaft in Dresden antwortet auf taz-Anfrage, sie beziehe bei laufenden Verfahren keine Stellung.

Drei Prozesse, 122 Beschuldigte

Neben diesem Prozess sind noch zwei weitere geplant, für die es allerdings noch keine Verhandlungstermine gibt. Die Polizei ermittelte laut Generalstaatsanwaltschaft gegen insgesamt 122 Beschuldigte. Aus dem Ermittlungsverfahren wurden 27 Beschuldigte in Neuner-Gruppen aufgeteilt und gegen sie insgesamt drei Anklagen erhoben, eine davon nach dem Jugendstrafrecht.

Auch im Verfahren, das am Montag beginnt, gab es ursprünglich neun Angeklagte. Zwei sind ausgeschieden, weil sie bereits höhere Strafen in anderen Verfahren bekommen haben. In einem Fall wurde das Verfahren aufgeschoben, weil die Ladung nicht zugestellt werden konnte.

Bei einem weiteren Angeklagten ist zweifelhaft, ob er zum Prozess erscheint: Steven Feldmann aus Dortmund hätte am 17. November eine Haftstrafe aus einem anderen Verfahren antreten müssen – hat er aber nicht. Seitdem sucht ihn die Polizei.

Die Proteste im September 2018 folgten auf die Tötung eines Deutschkubaners, für die ein Syrer ein Jahr später zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Auf den Demonstrationen wurde mehrfach der Hitlergruß gezeigt. Unter den Teil­neh­me­r*in­nen waren auch spätere Mitglieder der terroristischen Gruppe „Revolution Chemnitz“ sowie Stephan E., der spätere Mörder des nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke.

Viele Opfer rechter Gewalt

In der Folge hätten auch andere in Chemnitz ihren Rassismus offener gezeigt, erzählt André Löscher vom Projekt „Support“, das in Chemnitz Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt Unterstützung anbietet. „Wenn so viele Rechte auf die Straße gehen, ermutigt das auch andere“, glaubt er. Am meisten davon betroffen sieht Löscher „die nichtweiße Community“. Nach den Ausschreitungen hätten viele ihre Termine bei der Migrationsberatung verstreichen lassen. Auf Nachfrage hieß es, man traue sich nicht aus der Wohnung, berichtet Löscher.

Im aktuellen Prozess habe „Support“ die Betroffenen juristisch unterstützt. Ihm zufolge ging es dabei vor allem um Informationen, zum Beispiel, ob der Fall überhaupt noch verfolgt werde. „Fünf Jahre sind eine lange Zeit“, sagt André Löscher. Zudem vermutet er, den Tä­te­r*in­nen vermittle ein solcher Prozess auch das Gefühl, keine Strafverfolgung fürchten zu müssen.

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