Hilfe für Kom­mu­nal­po­li­ti­ker*innen: Der Verrohungsspirale begegnen

Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen erleben häufig Anfeindungen und Gewalt. Eine neue zentrale Anlaufstelle soll sie dabei unterstützen, sich zu wehren.

Fenster mit Geranien in den Blumenkästen und die Aufschrift Rathaus

Die Idylle trügt: Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen erleben häufig Anfeindungen und Gewalt Foto: Soeren Stache/picture alliance

BERLIN taz | Beleidigungen, Hass und Drohungen im Netz, gewalttätige Übergriffe im echten Leben – 60 Prozent der Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen in Deutschland haben das schon erlebt. Das ergab eine Befragung der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2022. Eine bundesweite zen­trale Anlaufstelle soll in solchen Fällen in Zukunft Hilfe leisten, unterstützen und vermitteln, wenn Betroffene sich an die Polizei wenden wollen. Am Freitag wird Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dafür den Startschuss geben.

„Wir erleben seit einiger Zeit, dass der Ton rauer wird und die Bedrohungslage für Kom­mu­nal­poli­ti­ke­r*in­nen zunimmt“, sagte Karoline Otte (Grüne), Berichterstatterin für Kommunalpolitik in der Bundestagsfraktion: „Vor allem diejenigen, die politische Entscheidungen vor Ort treffen und dort auch sichtbar sind, werden zur Zielscheibe, erleben Anfeindungen, Bedrohungen und sogar Gewalt“.

In diesen Fällen soll die zentrale Anlaufstelle eine niedrigschwellige Erstberatung anbieten. „Oft ist es wichtig, dass den Betroffenen jemand zuhört und sie darin bestärkt, die Anfeindungen oder Übergriffe nicht zu akzeptieren“, erklärte Otte. Sich an die Polizei zu wenden, erfordere oft Überwindung, auch bei gesetzeswidrigen Grenzüberschreitungen. Denn viele glaubten, sie müssten Anfeindungen als Po­li­ti­ker*innen aushalten.

Doch wenn Grenzverstöße nicht geahndet werden, führe das zu einer Verrohungsspirale mit gefährlichen Auswirkungen auf den demokratischen Diskurs: Fast ein Drittel der Man­dats­trä­ge­r*in­nen gaben in der Befragung der Heinrich-Böll-Stiftung an, sich zu bestimmten Themen nicht mehr oder weniger zu äußern, um Anfeindungen zu vermeiden. „Das wollen wir jetzt durchbrechen, einen Schlussstrich ziehen und den Leuten sagen: Es ist richtig, sich zu wehren“, sagte Otte. Denn Anfeindungen und Drohungen würden zunehmen. Steigende Umfragewerte der AfD zeigten eine wachsende Unzufriedenheit. „In den Rathäusern schlägt sich ein fehlender demokratischer Umgang mit dieser Unzufriedenheit nieder“, so Otte.

Gefahr für Vielfalt in der Kommunalpolitik

Misbah Khan (Grüne), Bundestagsabgeordnete und Expertin für Rechtsextremismus, sagte der taz, die Anfeindungen seien auch eine Gefahr für Repräsentation und Vielfalt in der Kommunalpolitik, denn besonders Menschen, die ohnehin schon Diskriminierungserfahrungen machten, zögen sich zurück: „Frauen, queere Personen, politisch Engagierte mit Migrationshintergrund und Menschen, die sich eher der unteren sozialen Schicht zuordnen, fehlen dann in der Kommunalpolitik“.

Die Anfeindungen treffen jedoch alle: Man­dats­trä­ge­r*in­nen sind laut Heinrich-Böll-Stiftung unabhängig von Geschlecht, Migrationshintergrund oder sozialer Herkunft gleichermaßen von Anfeindungen und Aggressionen betroffen.

Der Schutz von Man­dats­tragenden ist eine von zehn Maßnahmen aus dem Nationalen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, den die Bundesregierung im März 2022 vorlegte. Daraufhin hatte sich die Allianz zum Schutz kommunaler Amts- und Man­dats­trä­ge­r*in­nen mit Ver­tre­te­r*in­nen kommunaler Politik gegründet und sechs Forderungen vorgelegt. Die zentrale Anlaufstelle wird nun als erste dieser Forderungen umgesetzt.

Als nächsten Schritt ist unter anderem ein Schwerpunkt „Kommunales ­Engagement“ bei der Bundeszentrale für Politische Bildung gewünscht. Dafür müsste die Bundesregierung Haushaltsmittel zur Verfügung stellen. Das Bundesinnenministerium solle außerdem Kommunalpolitik in seine Demokratie-Strategie einbinden und den Austausch mit der Kom­mu­nal­po­li­ti­k fortsetzen. Als nächstes konkretes Projekt zum Schutz kommunaler Man­dats­trä­ge­r*in­nen ist eine Änderung der Bundeswahl­ordnung im Gespräch, um private Adressen von Kom­mu­nal­po­li­ti­ke­r*in­nen besser zu schützen.

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