Hippe Neoreaktionäre in New York City: Jung, urban, antiwoke und rechts

Die USA diskutieren über die hippe Subkultur der Dimes-Square-Szene von Manhattan. Sie pflegt Verbindung zu reaktionären politischen Bewegungen.

Am junger Mann liegt unter einem Laken mit Muster der US-Flagge auf einem Sofa

Der Autor Cassidy Grady liegt bei Proben zum Stück „Dimes Square“, unter einem Laken Foto: Mark Som­mer­feld/NYT/Redux/laif

Auf den ersten Blick unterscheidet das Dreieck am Rand von Chinatown nicht viel von Dutzenden anderer New Yorker Nachbarschaften in der Frühphase ihrer Gentrifizierung. Zwischen schmuddeligen Bodegas und chinesischen Wäschereien haben sich ein paar vegetarische Restaurants, eine In-Kneipe und ein Skatercafé eingenistet.

Die Bürgersteige sind an einem schönen Frühsommertag voller durchgestylter Frühzwanziger. Die Männer tragen bevorzugt Camouflage, die Frauen engsitzende Tops der Kultmarke Brandy Melville.

Man meint die Szene zu kennen. Vor zehn Jahren siedelte der Hipster-Cluster nur wenige Blocks nördlich von hier an der Lower East Side, bevor die Szene immer weiter nach Brooklyn hineindrang. Jetzt ist die jüngste Welle der Coolness zurück nach Manhattan geschwappt in eine kleine, bis dato vergessene Enklave unter der Manhattan Bridge.

Das allein wäre in den Lifestyle-­Foren der Stadt bestenfalls eine Rand­notiz gewesen. Die Gegend zwischen Canal, Allen und Division Street beschäftigt jedoch nun schon seit Monaten Trendbeobachter bei so unterschiedlichen Medien wie Vanity Fair, der New York Times und dem Londoner Guardian. Der Grund dafür: Hier hat sich eine Sub­kultur eingenistet, die als ­symptomatisch für einen neuen Zeitgeist gelesen wird.

Begonnen hat alles damit, dass eine Gruppe renitenter Jungintellektueller während der frühen Tage von Covid auf der Suche nach einer Ecke von New York war, in der man es mit den Quarantänevorschriften nicht so genau nahm. Die New Yorker Cops scherten sich nicht sonderlich um den entlegenen Zipfel in der Südostecke von Manhattan. Die Kneipe Clandestino und das Restaurant Dimes, das der Gegend ihren Spitznamen „Dimes Square“ bescherte, blieben offen, und in den Wohnungen gingen die Partys endlos ­weiter.

Trotz gegen Covidmaßnahmen

Schon in diesem Trotz gegen die strengen Covidmaßnahmen im liberalen New York brach sich unter den Gen-Z-Intellektuellen ein innerer Widerstand gegen die politische und kulturelle Dominanz der „woken“ Linken im urbanen Amerika Bahn. Die Migration weg von Brooklyn, der Hauptstadt des liberalen Mainstreams und des Zentrums der Anhängerschaft von Bernie Sanders, schien diesen Impuls zu unterstreichen.

All das bestätigte sich, als die Szene während Covid nur wenig zu tun hatte, außer auf den Sofas am Dimes Square herumzulümmeln, im Clandestino zu trinken, zu diskutieren und zu ­schreiben. Daraus entstanden das Underground-Theaterstück „Dimes Square“, aber auch der Podcast „Red Scare“ und die Zeitung Drunken Canal, die es ausschließlich in analoger Form gibt.

Vieles in den beiden Publikationen geht um Lifestyle, Mode, Musik und Literatur. Die beiden Hostessen von „Red Scare“, Anna Khachiyan und Dasha Nekrasova, die mittlerweile von einer hippen Modelling-Agentur vertreten werden, können sich beispielsweise ausgiebig über die Vorzüge von Sex unter dem Einfluss von Ketamin unterhalten.

Sie können jedoch ebenso leidenschaftlich Camille Paglia und Slavoj Žižek zitieren und über „leftist dirtbags“ hetzen sowie über die Art und Weise, wie diese das Label „weiße Suprematie“ als universellen Totschlagknüppel verwenden. „Ich kann den Bürgersteig entlanggehen und werde als Rassist beschimpft. Du hast keine Chance.“

Unterstützung von Peter Thiel

Spätestens als vor einem knappen Jahr der Internetmilliardär Peter Thiel bekannt gab, dass er den „Red Scare“-Pod­cast finanziert, wurde jedoch deutlich, dass es sich bei dem Dimes-Square-Phänomen um mehr handelt als nur eine lokale Subkultur. Thiel macht seit Jahren aus seinen Sympathien für Trump und Ron DeSantis keinen Hehl. Bei den Zwischenwahlen im Winter 2022 pumpte er viel Geld in die Wahlkämpfe von Trump-­nahen Kandidaten wie dem Senator J. D. Vance aus Ohio oder Blake Masters aus Arizona.

Ein weiterer Protegé von Thiel ist der Blogger und Buchautor Curtis Yarvin, den das linke Magazin Jacobin als den „Hausphilosophen“ der Bewegung bezeichnet, die Thiel gerade aufzubauen versucht. Eine „Bewegung“, zu der „Red Scare“ und der Dimes Square hervorragend passen. Wie das Netzkultur-Magazin Dazed and Confused schrieb: „Der Dimes Square ist synonym mit der postliberalen Anti-Wokeness-Bewegung – einer heterodoxen Mischung aus Neoreaktionären und Dissidenten.“

Die sogenannte Bewegung unterscheidet sich deutlich von den Vor­stellungen, die man sich gemeinhin vom amerikanischen Konservativismus macht. Die Protagonisten sind weder gesättigte ältere Herren aus dem Bib­le Belt, die ihr Vermögen vor einem übergriffigen Staat schützen möchten, noch sind es zornige Angehörige der Arbeiterschicht im Rust Belt, denen man eingeredet hat, dass Immigranten und Minderheiten für ihre wirtschaftliche Misere verantwortlich sind.

Stattdessen ist dieser Teil der neuen Rechten jung, urban und hoch gebildet. Einige von ihnen haben noch bis zur Wahl im Jahr 2016 den selbsternannten Sozialisten Bernie Sanders unterstützt, um sich dann „im Fiebertraum der Trump-Jahre einem gewissen Nihilismus hinzugeben“, wie Dazed and Confused schreibt.

Für viele von ihnen ist das neoreaktionäre Gehabe eine provokative Pose, eine Art weltanschaulicher Modetrend, um seinem Unbehagen mit dem linksliberalen Mainstream Ausdruck zu verleihen. Für Ideologen wie Yarvin, der sich zu seinem Autoritarismus und seinen reaktionären Überzeugungen bekennt, ist es jedoch deutlich mehr.

Die Leute aufwecken

Yarvin, der selbst aus dem Silicon-Valley-Umfeld stammt und damit prahlt, gemeinsam mit Peter Thiel die Wahl von 2016 im Fernsehen gesehen zu haben, hat sich eine beängstigende neoautoritäre Philosophie zusammengebastelt. Seiner Meinung nach hat die amerikanische Demokratie ausgedient und brauche, in der Tech-Sprache bleibend, einen „harten Neustart“. Seine Grundprämisse ist, „dass das liberale Narrativ der amerikanischen Geschichte als unaufhaltsamer Marsch in Richtung Fortschritt fundamental fehlgeleitet ist. Es ist mein Job, die Leute aus ihrer Truman-Show aufzuwecken.“

Die demokratischen Institutionen in Washington, glaubt Yarvin, seien so offenkundig dysfunktional, dass sie ausgetauscht werden müssten. An ihrer Stelle möchte Yarvin eine Art CEO-Monarchen mit absoluter Macht sehen. Dieser oberste Manager werde von einer Art Aufsichtsrat der mächtigsten Leute aus der amerikanischen Wirtschaft gewählt und habe nur ihnen gegenüber Rechenschaft abzulegen.

Dieser Neustart ist für Yarvin keine Science-Fiction. In seinen Schriften hat er einen genauen Plan für einen autoritären Take-over der USA skizziert. Ein neuer CEO/Monarch würde sich zunächst, wie Trump, demokratisch zum Präsidenten wählen lassen, allerdings mit der unverhohlenen Agenda, die maroden demokratischen Institutionen abzuschaffen. Die allgemeine Desillusionierung der Bevölkerung über die amerikanische Demokratie, glaubt er, würde diesem Mann oder dieser Frau einen überlegenen Wahlsieg bescheren.

Kaum im Amt, würde der neue Herrscher alle Regierungsbürokraten entlassen. Die Gerichte würde er einfach ignorieren. Und den Kongress würde er mithilfe einer App durchgehend mit Loyalisten besetzen. Die Insti­tu­tio­nen der „Kathedrale“, wie er die derzeitigen liberalen Machtzentren nennt, also Eliteuniversitäten und konventio­nelle Medien, würden ebenfalls am ersten Tag ausgeschaltet.

Kandidaten wie J. D. Vance und Blake Masters schmeichelt dieser Plan, sie sehen sich jetzt schon in der Rolle dieses Neoabsolutisten, Peter Thiel vermutlich als Vorsitzenden des dazu gehörigen Aufsichtsrats. Und so zitieren sie gerne offen Yarvin und zeigen sich mit ihm. Verbindungen zu Trump sind zwar nicht direkt bekannt, dessen wichtigster Herausforderer, Ron DeSantis, hat sich jedoch mehrfach bewundernd über Yarvin ausgelassen.

Devote Anhängerschaft

In der coolen, neoreaktionären Dimes-Square-Szene hat Yarvin ebenfalls eine devote Anhängerschaft. Die Jahrestreffen seines Onlinenetzwerks Urbit finden regelmäßig in der Gegend rund um den Dimes Square statt.

Ob der Rechtsruck der gebildeten urbanen Elite mehr ist als nur ein vorüber­gehen­der Trend, bleibt indes abzuwarten. Ob sich Kandidaten wie Vance, mit dem ideologischen Rüstzeug von Yarvin sowie mit „Thielbucks“ bewaffnet, durchsetzen können, ebenso. Das linksliberale Establishment, die „Kathedrale“, tut jedoch sicher gut daran, aus seiner Bräsigkeit aufzuwachen und sich zu überlegen, warum es seine Zugkraft für kluge, junge Menschen zu verlieren beginnt.

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