In Luhansk an der Front: Scharfschützen unter Beschuss

Lange waren sie für die Ukraine an der Front besonders wichtig. Der Einsatz russischer Drohnen hat ihre Arbeit verändert.

Ein vermummter ukrainischer Soldat mit einem Gewehr.

Scharfschütze in Luhansk Foto: Juri Larin

AUS DEM GEBIET LUHANSK taz | In der Ukraine hat das Verteidigungsministerium die Scharfschützen der Streitkräfte mit neuen Gewehren und ausreichend Patronen ausgerüstet. Doch das zählt weniger, als man sich wünschen würde. „In Filmen sieht es oft so aus, als ob Scharfschützengewehre wie Laserwaffen schießen: dort, wo hingezielt wird, wird auch getroffen. Aber so ist es nicht“, sagt Alexei, 20-jähriger Nachtscharfschütze und Gruppenführer der 81. ukrainischen Luftlandebrigade.

Er steht auf einem Truppenübungsplatz im Donbass. Es weht ein starker, fast orkanartiger Wind. Hier trainieren sie Scharfschießen auf 600, 800 und 1.000 Meter. Seit er 18 ist, kämpft Alexei im Krieg und befand sich bereits im Feuergefecht mit feindlichen Schützen. Der junge Mann war an mehreren Hotspots der russisch-ukrainischen Front im Gebiet Luhansk im Einsatz, etwa in Sjewjerodonezk und Rubischne. Aktuell ist er im Bezirk Bilohoriwka, der ebenfalls in der Region liegt und wo russische Einheiten seit Monaten immer wieder in die Offensive gehen.

Die Scharfschützen sind die wichtigsten Soldaten der bewaffneten Streitkräfte der Ukraine. Ihre Ausbildungszeit beträgt mindestens 45 Tage. Auch danach trainieren sie weiter. Neben der Standardausrüstung aller Soldaten haben Scharfschützen zusätzliche teure Ausrüstungsgegenstände, darunter Scharfschützengewehr, Sichtgerät, Zielfernrohre und Dreibein-Stativ im Gesamtwert von 17.000 Dollar. Eine Patrone allein kostet etwa 17 Dollar.

Der Gruppenführer zeigt eine kleine Wetterstation, die Windgeschwindigkeit und -richtung, Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit anzeigt. Ohne Berücksichtigung dieser Informationen sind präzise Treffer auf große Entfernungen unmöglich.

Viele Faktoren beeinflussen einen Schuss

„Das ist ein schwerer Job. Es reicht nicht, körperlich fit zu sein, man muss auch technisch etwas können. Man muss wissen, wo man sich am besten hinlegt, wo sie dich nicht vermuten und nicht suchen“, erklärt Alexei und schießt ein paar Mal auf 800 Meter. Wegen des starken Windes ist erst der fünfte Schuss ein Treffer. Wäre dies ein echter Kampf, wäre Alexeis Position bereits entdeckt und er mit einem Mörser oder einer Drohne angegriffen worden.

Die Arbeit der Scharfschützen an der Frontlinie habe sich im vergangenen Jahr wegen des umfassenden Einsatzes von Drohnen stark verändert, erzählt der Soldat. Eingesetzt werden sowohl Wärmebilddrohnen, die Ziele auch nachts aufspüren, als auch Drohnen, die bei Tag Munition abwerfen. „Es herrscht jetzt ein Technologie-Krieg.“ Es gebe viele Faktoren, die die eigene Position aufdecken könnten.

„Selbst wenn du eine Wärmebildtarnung hast oder anderweitig gut getarnt bist, wirst du sofort abgeschossen, wenn du keine Deckung hast und eine Drohne dich aufspürt. Und wenn man am Boden liegt, ist es noch schlimmer“, sagt der Alexei. Heute müssen Scharfschützen sehr oft ihre Position wechseln. Die Zeiten, in denen sie tagelang an einem Ort liegen und auf das richtige Ziel warten konnten, sind vorbei.

„Drohnen verändern Strategie des Krieges“

Auch der ehemalige Trainer und Lehrer, jetzt Scharfschütze der 81. Brigade, Dmytro, spricht von einer erschwerten Situation. „Die Drohne ist ein Feind, der einfach die Strategie des Krieges verändert hat“, sagt er. Dennoch bleibe trotz der technologischen Kriegsführung die Prioritätensetzung bei den Zielen unverändert: „Ein Scharfschütze sucht einen Scharfschützen“, sagt der ehemalige Trainer. Dann nach Offizieren, Kommandeuren. „Wir suchen nach Hubschrauberpiloten, Granatwerfern und Mörsergeschützen. Unsere Aufgabe ist dieselbe: kommen, trainieren, gehen und überleben.“

Die mediale Darstellung des russischen Militärs als schlecht ausgerüstet, unqualifiziert und unmotiviert stimmt aus Alexeis Sicht nicht. Man dürfe die russische Armee auf keinen Fall unterschätzen, das räche sich grausam. In Bilohoriwka lasse der russische Druck nicht nach, sagt Alexei. Die Besatzer hätten riesige Reserven und brächten immer neue Soldaten an die Front.

Dmytro sagt, dass die Russen mehr Männer und Waffen haben. Jedoch steht die Ukraine in der Defensive, sodass sie das militärische Potenzial der Russen reduzieren kann. „Wenn sie 100 Prozent haben, haben wir 15 Prozent davon, das ist meine Meinung“, sagt der Kämpfer über das Ressourcenverhältnis. Dennoch könne ein Scharfschütze einen Angriff mit einem oder zwei präzisen Schüssen im Alleingang unterbrechen und unter den Gegnern Angst verbreiten. Trotz der großen Zahl russischer Drohnen.

Aus dem Russischen: Gaby Coldewey

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