Indierock mit Yo La Tengo: Nicht nur ein nostalgischer Moment

Wieso sollte Indierock keine relevante Größe sein? Im Kölner Gloria fanden sich ältere Männer, Twens und Yo La Tengo in einem krachend zärtlichen Abend.

die drei MusikerInnen unter einer Brücke am Fluss

Eine Band des allgemeinen Vertrauens: Yo La Tengo Foto: Cheryl Dunn

Zwei Vorstellungen schwirren offensichtlich durch den Raum, wenn es um Yo La Tengo geht. Dass die Konzerte ausschließlich von Musikkritikern (männliche Form bewusst gewählt) besucht werden. So mein Redakteur zu mir. Und/oder sie seien musicians’ musicians. So der Freund, der mir für den Abend dankenswerterweise eine Schlafstätte zur Verfügung stellt. Ich bin nämlich extra von Bremen nach Köln gefahren, um eine meiner Lieblingsbands zu sehen.

So stehe ich also um kurz nach acht im Gloria – einem ehemaligen Kino, roter Plüsch an den Wänden, die Diskokugel über mir – und schaue mich um. Viel Zeit habe ich nicht, mir das Publikum genauer anzuschauen, denn kaum angekommen, betritt das Trio aus Hoboken/New Jersey auch schon die Bühne.

Vor der ist das Publikum nicht uninteressant gemischt. Klar, da sind ältere Fans wie ich, das Haar, sofern noch vorhanden, grau. Da sind die mittlerweile fast obligatorischen Väter mit ihren Teenagertöchtern. (Da werde ich glatt neidisch, meine Tochter würde auf keinen Fall mit mir auf eines meiner komischen Konzerte gehen.) Hinter mir stehen drei weibliche Früh-Twens im Light-Emo-Look.

Dies ist also kein reiner Nostalgietrip alternder Indierock-Fans. Yo La Tengo sind immer noch relevant. Aber: Sind das hier jetzt alles Musiker:innen? I doubt it. Oder gar alles Musikkritiker:innen? No way. Yo La Tengo haben Fans, die nichts mit der Business-Seite der Musik zu tun haben. Das Konzert ist seit zwei Monaten ausverkauft.

„This Stupid World“ (Matador) ist das aktuelle Album von Yo La Tengo, die Europatour der Band geht noch bis 4. Mai mit Terminen in Spanien und Frankreich.

Was beim Publikum im Gloria nicht sonderlich ausgeprägt ist, ist das Phänomen, das Konzert vor allem durch den Bildschirm des Smartphones wahrzunehmen. Die Einzelnen, die gelegentlich Fotos machen, gehören allerdings tatsächlich zur bereits erwähnten Spezies älterer Männer. Die Twens hinter mir machen das nicht. Der Typ neben mir checkt doch tatsächlich – nachdem er ein paar Minuten gefilmt hat – die Bundesliga-Ergebnisse. Das geht gar nicht.

Schnell weg hier. Da vorne, näher an der Bühne, ist doch noch Luft. Ich lande pünktlich zum zweiten Set neben einem Mann im Anzug, der jedes Mal, wenn der Mensch vor ihm anfängt zu wippen, eine schützende Hand vor sich hält. Egal. Hier kann man gut sehen und bekommt akustisch die volle Breitseite ab. So soll es sein.

Gestartet sind Yo La Tengo an diesem Abend mit einem einstündigen, ruhigen, psychedelisch-atmosphärischen Set. Um dann nach der Pause das Haus richtig zu rocken. Neben freieren Spielarten des Jazz gibt es keine bessere Livemusik als diese Mischung aus Melodie und Krach, wie sie Yo La Tengo besonders beherrschen.

Wenn dazu noch ein steady Beat kommt, bin ich im Himmel. Der Standardvergleich, der für Schlagzeugerin Georgia Hubley immer bemüht wird, ist Maureen Tucker, legendäre Velvet-Underground-Drummerin. Das stimmt auch bei den Stücken, zu denen Georgia singt. Da hat es tatsächlich was von Tuckers atavistischem Getrommel.

Bei den anderen Stücken hingegen muss ich an Klaus Dinger von Neu! denken: ein ultra-präziser motorischer Groove. Über den Gitarrist Ira Kaplan die verschiedensten Arten von Lärm schichten kann. Spätestens jetzt ist auch der bzw. die Letzte aufgetaut. Okay, der Typ, der Angst hat, dass ihn jemand anrempeln könnte, wohl nicht, zumindest nicht sichtbar. Immerhin applaudiert er.

Das Trio wird nun auch schon seit über 30 Jahren durch Bassist James McNew komplettiert. Georgia und Ira sind seit den 80ern ein Paar. Kennengelernt haben sie sich über die Liebe zur Musik. Sie sind sich immer wieder auf den gleichen Konzerten eher obskurer Bands über den Weg gelaufen. Und seit Mitte der 80er machen sie gemeinsam diese wundervolle Musik irgendwo zwischen 60s-Garagen-Sound, New Yorker-Proto-Punk, Sun Ra und Feedback-Noise.

Am Ende des Abends spielen sie nach den Zugaben als Rausschmeißer ganz zart und leise ihr „You Can Have It All“. Nach diesem Abend fühlt sich das tatsächlich so an.

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Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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