Indigenes Wissen über Landwirtschaft: Zurück zum alten Wissen der Maya

Indigenes Wissen wurde in den Lehrbüchern meist ignoriert. Eine Gruppe von Maya-Aktivisten in Berlin-Neukölln will das ändern.

Angel Ku steht in einer Gruppe mit anderen menschen zusammen uns erklärt etwas

Gärtnern nach Tradition der Maya funktioniert auch im eigenen Garten: Ángel Kú beim Workshop Foto: Lucrecia Althabe

BERLIN taz | Ángel Kú steht zwischen alten Gräbern und neuen Beeten, auf einem stillgelegten Teil des Friedhofs St. Thomas. Ein mexikanischer Maya aus Yucatán in Berlin-Neukölln. Mit einem Stock bricht er den sandigen Boden auf. „Wir müssen ihn fragen, was er uns zu sagen hat und welches Leid er erfahren hat“, sagt Kú, dann gibt er seinen Stock in die Runde und bittet die Versammelten, von den Böden ihrer Heimat zu erzählen.

Eine Portugiesin spricht von den Obstbäumen, die der Großvater noch zwischen die Olivenbäume pflanzte – heute wachsen die Oliven für sich allein, Pestizide belasten den Boden. Reihum wird berichtet, von Zerstörung des Bodens durch Monokulturen: von Ginseng in Wisconsin, Bambus in Japan, Soja in Südbrasilien, Raps und Mais in Brandenburg.

Es ist ein weltweites Phänomen: Agrarbetriebe setzen Spritzmittel ein, um ungewollte Pflanzen und Schädlinge zu töten. Dadurch entziehen sie die Nahrungsgrundlage für Insekten und Vögel, aber auch für Organismen wie Regenwürmer.

„In Brandenburg, wo der Boden ohnehin sehr sandig ist, gibt es nur noch ganz wenig Humus, die Böden tragen nur noch durch Mineraldünger“, sagt die Bodenkundlerin Martina Kolarek, die gekommen ist, um sich mit Ángel Kú auszutauschen. „Es bräuchte ein radikales Umdenken, um wieder mehr Humus mit vielen nützlichen Bodentieren aufzubauen.“

Ausgelaugte Böden wieder regenerieren

Ángel Kú ist an diesem Tag für das radikale Umdenken verantwortlich. Auf Einladung der Berliner Initiative Spore wurde er eingeladen, um zu berichten, wie das von ihm mit begründete Kollektiv Suumil Móokt’aan althergebrachte Landwirtschaftstechniken der Maya verbreitet und neu etabliert.

Das Ziel: die ausgelaugten Böden seiner Heimat zu regenerieren. In den Tagen, in denen er zu Besuch ist, werden Menschen von ihm lernen, Bodenproben zu nehmen. Sie werden aber auch Zeremonien für Mutter Erde mit Simultanübersetzung hören. Einiges könnte man als esoterische Performances für sinnsuchende Städter abtun. Aber es lohnt sich genauer hinzusehen.

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Ángel Kú erzählt die Geschichte seines Dorfes Sinanché: Großgrundbesitzer bauten seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf großen Flächen Agaven an, deren Fasern für Seile und Säcke gebraucht wurden. Die unterbezahlten Dorfbewohner mussten Unkrautvernichtungsmittel und Pestizide versprühen, um den Ertrag zu erhöhen. Heute sind es Soja-Monokulturen, die aus der Luft gespritzt werden. Die Erde litt unter der intensiven Landwirtschaft – so wie in Brandenburg.

Aus Sinanché zogen sich die Großgrundbesitzer vor etwa 30 Jahren zurück, seither kann sich der Boden allmählich erholen. „Wir fragen ihn, was er braucht, und entwickeln Strategien, damit er wieder aufleben kann“, sagt Kú.

Bodenprobe mit Glas voll Reis

Er holt ein mit Stoff bedecktes Einmachglas mit gekochtem Reis hervor und vergräbt es in der Erde. „Nach einer Woche holen wir es wieder hervor und sehen, wie es um den Boden bestellt ist“, sagt Kú. Was er demonstriert, ist ein Verfahren, das in vielen Dörfern in Mexiko verbreitet ist, um den Boden zu analysieren und zu verbessern – ein günstiger Bodentest ganz ohne Labor.

Die Mikroorganismen im Boden vervielfältigen sich auf dem Reis und verfärben ihn. Ist er grün, gelb oder gar nicht gefärbt, seien vor allem erwünschte Mikroorganismen im Boden. Ist er rot, violett, rosa oder gräulich, haben sich schädliche Pilze eingenistet.

„Dann müssen wir nützliche einführen, um das Gleichgewicht wieder herzustellen“, sagt Kú. „Dafür holen wir Erde aus einer möglichst unberührten Ecke im Wald und vermischen sie mit Zucker, Reis und Wasser, um die guten Mikroorganismen darin zu vervielfältigen.“ Die lebendige Paste wird ins Gießwasser gegeben und auf den Beeten verteilt.

Auch der Ackerbau selbst ist Bodenpflege. Im Zentrum der Maya-Methodik steht eine jahrtausendealte Anbautechnik: die Milpa. Drei Kulturpflanzen, Mais, Kürbis und Bohnen, die „drei Schwestern“, sind das Herz dieser Mischkultur und ein Sinnbild für ihre Nachhaltigkeit. Denn diese drei Pflanzen, selbst Ureinwohner des amerikanischen Kontinents, gehen im Beet eine Symbiose ein: Der Mais benötigt viel Stickstoff zum Wachsen, den die Bohne in den Boden einbringt, während sie am Mais emporrankt. So bleiben die Nährstoffbalance und Fruchtbarkeit des Bodens erhalten.

Der Kürbis wiederum beschattet den Boden. Er bewahrt ihn so vor Austrocknung und Erosion und hält unerwünschte Wildpflanzen fern. „Die Milpa basiert auf einer Vielfalt von Pflanzen, die miteinander kommunizieren, neben den drei Schwestern auch Tomaten, Chilis, Melonen und Heilpflanzen“, sagt Kú. „Bis zu 100 verschiedene Pflanzen können in einem Beet koexistieren.“

Traditionelles Wissen – auch in Europa

Auch in Europa gibt es das Wissen um ähnliche Traditionen der Mischkultur noch – Anbauformen, die ökologische Vorteile mit sich bringen und die Pflanzengesundheit und Schädlingsresistenz fördern, haben auch hier trotz der massiven Intensivierung der Landwirtschaft im Kleinen überdauert. So stehen in Bauern- oder Kleingärten Karotten und Zwiebeln häufig als Schwestern im Beet, weil sie einander vor Schädlingen schützen, genauso wie Kartoffeln und Kohl

Zwei Hände halten ein Häufchen Erde

Was hat sie schon alles erlebt? Foto: Lucrecia Althabe

Die Prinzipien der Permakultur, die teils auf indigenen Mischkulturpraktiken beruhen, sowie früher in Europa verbreitete Techniken wie die Baumfeldwirtschaft, die Obstbäume mit Ackerflächen kombiniert, werden unterdessen in Brandenburg und anderswo zunehmend auf größeren Bauernhöfen erprobt. Auch das ist traditionelles Wissen.

Die Milpa der Maya wurde schon in Studien erforscht. Es ist bewiesen, dass sie, wie viele andere Formen von Mischkultur, sogar produktiver sein kann als eine Monokultur, wenn man die Erträge aller angebauten Pflanzen betrachtet. So liegt der durchschnittliche Wert an Energie und Protein pro angebautem Quadratmeter bei den drei Schwestern höher als bei einer Monokultur.

Die unterschiedlichen Pflanzen produzieren das ganze Jahr über vielfältige Lebensmittel für eine ausgewogene Ernährung und Samen für das nächste Jahr. Das kann entscheidend zur Ernährungssicherheit auf lokaler Ebene beitragen.

„Hinter der Auswahl des Saatguts und dem Anbau einer Milpa steckt Wissen, das durch jahrhundertelanges Ausprobieren entstanden ist und von Generation zu Generation mündlich weitergegeben wurde“, sagt die mexikanische Agrarwissenschaftlerin Tania Martínez-Cruz, die an der Freien Universität Brüssel forscht und die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen zu indigenen Ernährungssystemen berät.

Indigenes Wissen sei bisher kaum in die Politik eingeflossen, weil es als unsystematisch angesehen werde. Ein Weg in eine nachhaltigere Zukunft liege darin, beide Systeme miteinander zu verbinden.

Rückkehr zum alten Wissen

So wie in Sinanché. Dort kombiniert das Kollektiv Suumil Móokt’aan das alte Wissen bereits selbstverständlich mit neueren Techniken wie etwa Komposttoiletten für die Düngung. Die von den Agavenplantagen ausgelaugten Flächen werden zunächst durch Brandrodung urbar gemacht.

Was martialisch klingt, ist eine erprobte Methode: „Die Brandrodung ist nur oberflächlich, dem Boden werden dadurch wichtige Nährstoffe zugeführt“, erklärt Kú. Danach graben sie organisches Material unter und säen Bohnen aus, die sie noch vor ihrer Blüte in die Erde einarbeiten.

In Yucatán wird das alte Wissen mittlerweile wieder systematisch weitergegeben. Auch die agrarökologische Schule U Yits Ka'an lehrt eine ökologische Landwirtschaft, die auf alten Maya-Traditionen beruht. „Als wir anfingen, haben viele Kleinbauern selbst Monokulturen angebaut und mit Agrargiften den Boden zerstört“, sagt Atilano Ceballos Loeza, Gründer der Akademie.

Viele hundert Klein­bäue­r*in­nen haben an den Kursen bereits teilgenommen, selbst wieder Milpas angelegt und verbreiten das alte Wissen nun wieder in ihren Dörfern – jetzt gelangt es sogar bis nach Berlin und Brandenburg.

Es ist eine Rückkehr zum Lokalen, zu einer Landwirtschaft, die Leben fördert. Ceballos Loeza ist nicht zufällig auch Maya-Priester. Er steht für eine ins tägliche Handeln integrierte Spiritualität indigener Völker. Ihre Art der Landwirtschaft und Bodenpflege hat handfeste Vorteile – und ist darüber hinaus „eine Art, sich zu verbinden“, sagt Ceballos Loeza, „dem Boden oder dem Wasser einen Wert zu geben statt einen Preis.“

An einem dieser Tage leitet er in einem vollbesetzten Auditorium eine Zeremonie. Er steht auf, wendet sich den vier Himmelsrichtungen zu. Dann dankt er der Erde.

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