Iran-Abend an der Berliner Volksbühne: „Wer gehängt wird, sind die Armen“

An der Volksbühne stand ein Abend lang der Iran im Zentrum. Ein Film über eine unverheiratete Mutter in Teheran bildete den Rahmen.

Nächtliche Stadtszene, eine Frau steht mit einem Baby in einer Straße

Zwei Freundinnen und ein Baby auf der Suche nach Schutz in „Ta Farda“ Foto: Silk Road Productions

Sie sei gerade an der Uni, sagt Fereshteh. Das Telefon hat sie zwischen Ohr und Schulter geklemmt, sie hängt simultan Kindersachen auf den Wäscheständer und beaufsichtigt die ­kochende Milch auf dem Gasherd. Als sich ihre kleine Tochter lautstark meldet, muss Fereshteh zum Weitertelefonieren auf den ­Balkon.

Es sind die Eltern, die sich überraschend zum Besuch in Teheran angemeldet haben. Sie dürfen nicht wissen, dass ihre unverheiratete Tochter Mutter ist. Die ungefähr sechs Stunden Zeit, die Fereshteh bleiben, um ihre Tochter über Nacht zu parken, kondensiert der Film „Ta Farda“ (Bis morgen) des iranischen Filmemachers Ali Asgari in knapp 90 Minuten.

„Ta Farda“ lief bisher in Deutschland nur im Rahmen der Berlinale 2022. Ihre Aufführung am Sonntag Abend verdankt die iranisch-französisch-katarische Koproduktion der Berliner Initiative Cinema & Context, die „Ta Farda“ am Sonntagabend in der Berliner Volksbühne gezeigt hat.

Zur Eröffnung des Abends hatten Cinema & Context, das sind die Künstlerinnen Tara Afsah, Lilian Pfeuffer und Raquel Kishori Dukpa, den seit 2013 aktiven Com Chor Berlin eingeladen. „Wir sind die, auf die wir gewartet haben“, sang der noch unsichtbare Chor, als er auf die Bühne ging, um dann einen nordamerikanischen Bürgerrechtssong und ein aktuelles iranisches Revolutionslied zu interpretieren, das sich seinerseits in einer internationalistischen Geste auf einen chilenischen, nach dem Pinochet-Putsch 1973 entstandenen Song bezieht.

Im Iran gibt es ein Zensursystem mit immer wieder zu erfragenden Proben-, Dreh- und Auf­führungserlaubnissen

Zwischen Chor und Film hatten sie eine Podiumsdiskussion geschaltet, auf der die Islamwissenschaftlerin und Journalistin und taz-Kolumnistin Amina Aziz und die Politikwissenschaftlerin und Journalistin Sham Jaff über die Revolutionsbewegungen im Iran und in Kurdistan sprachen. Dem Film gegenüber wäre es eine schöne Geste gewesen, wenn die Moderation, Ozi Ozar, die Zeit gefunden hätte, ihn auch zu sehen.

Es ist auch ein Klassenkampf

Dabei war auf dem Podium eine Menge zu erfahren und zu lernen, nicht nur über das mehrstufige Zensursystem im Iran mit seinen immer wieder zu erfragenden Proben-, Dreh- und Aufführungserlaubnissen und behördlichen Interventionen. Man sprach auch über Aspekte der iranischen Revolution, die in der Berichterstattung eher stiefmütterlich behandelt werden. Seit Jahren schon kommt es zu Streiks und Protesten. Es ist auch ein Klassenkampf, der da stattfindet. „Wer inhaftiert und gehängt wird, das sind die Armen“, hieß es auf dem Podium.

Es tut dem sehenswerten Film „Ta Farda“ keinen ästhetischen Abbruch, wenn man diesen Aspekt mit im Auge behält. Das Haus, in dem die junge Mutter Fereshteh mit ihrer Tochter lebt, ist ein Wohnungsbau aus den Siebzigern oder Achtzigern. Er scheint bessere Zeiten gesehen zu haben. Das Gebäude mit seinen Gängen und Abstellmöglichkeiten erfährt seine Fortsetzung in der Großstadt Teheran, durch die ­Fereshteh (Sadaf Asgari) und ihre findige Freundin Atefeh (Ghazal Shojaei) mit dem Kind auf der Suche nach Hilfe eilen: ein Moloch aus verstauten Straßen, Tunneln und Sirenen.

Eine der ersten Adressen, die sie ansteuern, gehört zu einer befreundeten Anwältin. Sie geht aber nicht mehr ans Telefon. Sie wurde verhaftet, stellt sich heraus. Wie kann man eine Anwältin verhaften, fragt Fereshteh. Gerade weil sie Anwältin ist, antwortet Atefeh.

Erst danach kommt Fereshtehs Kindsvater ­Yaser (Amirreza Ranjbaran) ins Spiel. Keine Lichtgestalt, aber immerhin sorgt er für die einzige skurrile Episode des Films, der halsbrecherischen Motorradfahrt von vier Menschen durch das Teheraner Chaos. Ansonsten vermeidet der Film die Komödie, die in seiner Konstellation durchaus angelegt ist.

Eine der nächsten Stationen der zwei Frauen mit dem Kind ist ein Krankenhaus. Dessen ­Leiter offeriert Hilfe, sollte Fereshteh ihm körperlich entgegenkommen. Das Fürchterliche an dieser Szene ist vor allem das Geräusch der Klimaanlage. Fereshteh, Atefeh und dem Kind gelingt die Flucht aus den Eingeweiden des Krankenhauses. Der Film hat ein Open End.

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