Josef Albers in Bottrop: Variation im Quadrat

Das Josef-Albers-Museum Quadrat Bottrop widmet sich der Serie „Homage to the Square“ seines Namensgebers. Albers wollte den Betrachter „sehen lehren“.

Josef Albers arbeitet an seinem Schreibtisch sitzend an einem Quadrat

Josef Albers bei der Arbeit Foto: John T. Hill

Es erscheint genügsam oder vielleicht auch nur wie ein gut formuliertes Understatement, sein Werk der rein ästhetischen Betrachtung zu entziehen, um es unter den Schirm der Pädagogik zu stellen. Josef Albers (1888–1976) ging es um nicht mehr und nicht weniger als darum, den Betrachter zu lehren, Farben zu sehen.

Wohl deswegen wurde der Maler und Theoretiker, der am Bauhaus, in Yale und weiteren renommierten Hochschulen in den USA lehrte, lange vor allem als Kunstpädagoge und -lehrer anerkannt. Das Josef Albers Museum Quadrat in Bottrop widmet dem berühmtesten Sohn der Stadt nun eine Einzelausstellung und nimmt die „Huldigung an das Quadrat“ dabei sehr ernst.

Albers’ Quadrat, oder besser gesagt die etwa 200 Quadrate, die er, immer gleich im Aufbau, in den letzten 26 Jahren seines Lebens fast ausschließlich malte, tauchten nicht plötzlich einfach auf. Dass sie durch ihre Form miteinander verbunden sind, aber vor allem auch Ausdruck eines sich wandelnden Farbempfindens sind, ist in der Ausstellung gut nachvollziehbar.

Gewissenhaft untersucht Albers die Beziehungen zwischen den dicht nebeneinander verlaufenden Farben, beginnend mit Schwarz, Grau und Weiß, die im Wettstreit um Perspektiven von Helligkeit und Lichtverhältnis stehen. Langsam kommen Buntfarben hinzu; und spätestens hier grenzen sich Albers’ Experimente deutlich von einem anderen bekannten Viereck der Kunstgeschichte ab, das einem im ersten Raum der Ausstellung unweigerlich in den Kopf kommt.

Ein in Orangetönen gestaltetes Quadrat

Josef Albers, Study for Homage to the Square: Old Gate, 1954–56 © The Josef and Anni Albers Foundation Foto: Werner J. Hannappel; VG Bild-Kunst, Bonn 2022

Während Kasimir Malewitsch mit seinem Schwarzen Quadrat 1915 einen absoluten Schlusspunkt setzt, öffnen sich Albers’ Quadrate hin zur kombinatorischen Unendlichkeit. Es entstehen ungewöhnliche Farbkompositionen; beeindruckend sind auch die Arbeiten zu Mexiko, die trotz des immer gleichen Aufbaus der in der unteren Bildmitte stehenden Quadrate ein ganz eigenes Gefühl von der Wärme des lateinamerikanischen Erdbodens vermitteln.

Inspiration von Cézanne

Trotz der abstrakten Form spielen die Quadrate mitunter durchaus auf Gegenständliches an. „Aurora“ etwa übersetzt die Farbschattierungen eines Sonnenaufgangs in Geometrie. Stilistisch lassen sich die „squares“ mit ihren geraden, bei genauem Hinsehen aber imperfekt gezogenen Übergängen als Hard Edge in Reinform bezeichnen. Es überrascht daher, dass ausgerechnet der romantisch-realistische Maler Paul Cézanne solchen Eindruck auf ihn machte.

„Der Steinbruch von Bibemus“ (ca. 1895), der ebenfalls in der Ausstellung in Bottrop hängt, macht jedoch die Parallelen sichtbar: Viereckige Farbflecken, französisch „taches“, sind so gegeneinander gestellt, dass sich die Farbwahrnehmung intensiviert. „Es gibt keine Linie, es gibt keine Modellierung, es gibt nur Kontraste“, wie Cézanne selbst sagte. Das durch Albers farb- und quadratgeschulte Auge schätzt die Übergänge zwischen ockerfarbenem Gestein und grünen Baumkronen.

„Sehen lernen“ ist kulturgeschichtlich ein viel bearbeitetes Motiv. Der Dichter Rainer Maria Rilke etwa versprach sich Erkenntnisgewinn durch genaues Hinschauen. „Ich lerne sehen“, schrieb er und wollte das „Seiende, das unter allem Seienden gilt“ mit bloßem Auge zu fassen lernen.

Auch Albers erhoffte sich pädagogische Wirkung über die bloße Kunst hinaus. „Wer besser sieht, schärfer unterscheidet, die Relativität der Fakten erkennt und weiß, dass es nie nur eine einzige Lösung für visuelle Formulierungen gibt, der wird dann wohl auch seine Meinung über andere Formulierungen ändern; vor allem wird er sowohl genauer als auch toleranter werden“, so der Maler.

Josef Albers. Huldigung an das Quadrat“. Josef Albers Museum Quadrat Bottrop, bis 26. Februar 2023

Bottrops berühmtester Sohn

Obwohl Albers Inspiration aus den Werken alter Meister bezog, lehrte er seine Schüler stets, stilistisch ihren Vorbildern nicht nachzueifern, schreibt im Katalog zur Ausstellung Heinz Liesbrock, der als Direktor des Josef Albers Museums seine letzte Ausstellung im Quadrat kuratiert hat. Albers gehe es darum, „die künstlerische Höhe der Alten mit zeitgenössischen Mitteln, also der Abstraktion des 20. Jahrhunderts, zu erreichen“.

Das 20. Jahrhundert hat Albert indes in verschiedenen Kombinationsmöglichkeiten durchlaufen. Den Großteil seines Lebens verbrachte er in den USA, wohin er 1933 mit seiner Frau, der Textilkünstlerin Anni Albers, emigrierte. Zuvor war Albers am Bauhaus Werkmeister für Glas. In Bottrop lebte er mit Unterbrechungen nur die ersten, knapp 30 Jahre seines Lebens. Trotzdem ist der Künstler heute von Bedeutung für die kleine Großstadt im Ruhrgebiet.

Als typische Kohlenstadt, arm an kultureller Infrastruktur, erinnerte man sich in den 1960er Jahren an den berühmten Sohn der Stadt. Erste Kontakte in die USA wurden geknüpft, so erfährt man im Katalog, bis 1983 schließlich, acht Jahre nach Albers’ Tod, das Josef Albers Museum in Bottrop eröffnete. Das Museum, das die weltweit umfangreichste Sammlung an Albers-Gemälden hält, wurde jüngst um einen vom Schweizer Architekturbüro Gigon/Guyer entworfenen Erweiterungsbau ergänzt, in dem aktuell „Huldigung an das Quadrat“ zu sehen ist. Künftig sollen hier Sonderausstellungen gezeigt werden.

„Huldigung an das Quadrat“ ist schlicht gehalten, Beschilderung gibt es wenig, auf den Wechsel der Farben im Quadrat als so ziemlich einzige Varianz muss man sich einlassen können. Wer Josef Albers schätzt, entscheidet sich für Coolness statt Dramatik, Kontinuität statt Überwältigung.

Das letzte Wort über Farbenspiele ist ohnehin, auch mehr als 70 Jahre nach dem ersten von Albers gemalten Quadrat, noch nicht gesprochen. Nachdem das Internet 2015 über der Frage verzweifelte, ob die Streifen eines fotografierten Kleids nun blau-schwarz oder weiß-gold seien, erscheint die Hartnäckigkeit, mit der Josef Albers seine 26 Jahre andauernden Quadrat- und Farbuntersuchungen betrieb, nachvollziehbarer. „Sehen lernen“ ist ein lebenslanger Prozess.

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