Kampagne für geschlossenes Heim: Ein Kind als Spielball der Medien

Die Hamburger Lokalpresse macht Stimmung für ein geschlossenes Heim. Dazu instrumentalisiert sie einen auffälligen Jugendlichen.

ein Tor mit Schildern

Wünscht sich in Hamburgs Redaktionen offenbar mancher zurück: Geschlossene Heime der Haasenburg GmbH

Es gibt Tage, da haut einen um, was in der Zeitung steht. So als das Hamburger Abendblatt seine Leser über den Aufenthalt eines 14-Jährigen im Kinder- und Jugendnotdienst (KJND) auf dem Laufenden hielt. Erst vor Kurzem soll der „Hochgefährliche“ wieder einen „kritischen Vorfall provoziert“ haben.

Der Junge habe einen Bänderriss und laufe an Krücken. Mitarbeiter hätten beobachtet, dass er „durchaus“ normal laufen könnte und wollten ihm die Krücken wieder nehmen. Darüber sei er so erbost gewesen, dass er einen Beschäftigten der Security angegriffen habe. „Danach wurde der Junge mit einem speziellen Multifunk­tionsband am Boden fixiert.“

Fällt was auf? Provokateur und Provozierter, Ursache und Wirkung werden locker mal vertauscht. Wenn das Kind schon gefährlich ist, dann lässt man ihm doch besser seine Gehilfe, statt zu eskalieren. Die Passage sagt, sofern authentisch, mehr über die Mitarbeiter aus als über das Kind.

Der Junge, der viele Monate in U-Haft saß, weil er ein anderes Heimkind an einen Baum gefesselt und gewürgt haben soll, dann aber freigesprochen wurde, weil der Zeuge als unglaubwürdig galt, lebte laut NDR schon vorher beim KJND. Zum Spielball der Medien wird er, weil ein Gutachten ihm Gewaltfantasien attestieren soll. Die Frage ist, ob er nicht früher eine passende Hilfe hätte bekommen müssen und ob es auch früher schon einen falschen Umgang mit ihm gab.

Die Frage ist, ob der Junge nicht früher eine passende Hilfe hätte bekommen müssen

Die Berichterstattung verschärft nur alle Probleme. Deshalb müssen die Medien aufhören, den Jungen zu verfolgen. Mitarbeiter, die sie mit Details füttern, gehören gestoppt. Denn hier wird ein Kind instrumentalisiert. Selbst wenn man die Überzeugung teilt, dass ein geschlossenes Heim in diesem Fall nötig ist, fiele das ja nicht vom Himmel. Es ist so schon schwer, eine Wohngruppe zu finden. Aber die Presse betreibt mit ihrer Grusel-Kampagne extra Anti-Werbung.

Der Junge braucht wohl Hilfe und einen Ort zum Großwerden. Jugendhilfe und Jugendpsychiatrie sollten eine Lösung finden – was in vielen Fällen ja auch gelingt, wie die Arbeit der „Hamburger Koordinierungsstelle für individuelle Hilfen“ zeigt. Hätte Hamburg ein geschlossenes Heim, würde das Leid der Kinder nur größer, davor warnen Ex-Bewohner der Haasenburg.

Ganz übel war, wie die Presse den „Aufstand“ der Eltern aus der Nachbarschaft puschte. Eine Demo vor dem KJND wäre ein Angriff auf die Schutzeinrichtung gewesen. Ein Glück, dass nur drei Reporter kamen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.