Kampf gegen Bandenkriminalität: Schwedens schwarzer September

Militär soll Polizei bei Bekämpfung der Gangkriminalität unterstützen. Türkei verweigert Auslieferung einer zentralen Person des Bandenkrieges.

Polizist in Warnweste vor einem schwer beschädigten Haus, in dem eine Bombe explodierte und dabei eine Frau getötet wurde

Das Haus in Uppsala, in dem in der Nacht zu Donnerstag eine Bombe explodierte und eine Frau starb Foto: Anders Wiklund/TT News Agency/dpa

STOCKHOLM taz | Drei Tote binnen 24 Stunden, zwölf in einem Monat. Seit vier Jahren haben die gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb und zwischen kriminellen Gangs in Schweden in einem Monat nicht so viele Opfer gefordert wie jetzt im September.

Die Situation sei „unmenschlich, unbegreiflich und grenzenlos“, die Kriminalität habe „ein noch nie dagewesenes Ausmaß erreicht“, erklärte die Leiterin des Polizeikommandos in Uppsala, Catarina Bowall.

In der Universitätsstadt war in der Nacht zum Donnerstag bei einer schweren Explosion in einem Wohnhaus auch eine offenbar völlig unbeteiligte 25-jährige Frau ums Leben gekommen.

„Schweden hat nie Vergleichbares gesehen“, erklärte auch Ministerpräsident Ulf Kristersson am Donnerstagabend in einer Rede an die Nation: „Jetzt sind immer mehr Kinder und unschuldige Menschen von dieser schweren Gewalt betroffen. Ich kann nicht genug betonen, wie ernst die Lage ist.“

Ulf Kristersson berät mit den Polizei- und Militärführern

Am Freitag traf sich Kristersson mit der obersten Polizeiführung und dem Oberbefehlshaber des Militärs. Sie berieten, wie die Streitkräfte die offenbar unzureichenden Polizeiressourcen unterstützen können.

Man sei bereit, der Polizei bei Transport-, Schutz- und Bewachungsaufgaben zu helfen, damit diese mehr Ressourcen für die Kriminalitätsbekämpfung freimachen könne, erklärte Oberbefehlshaber Micael Bydén.

Ein darüber hinaus gehender Militäreinsatz im Inneren dürfte nach der geltenden Gesetzeslage aber nicht zulässig sein. Einen direkten Militäreinsatz gegen die Bandenkriminalität fordern bisher nur die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Sie schlagen zudem Ausgangsverbote und eine Senkung des Strafmündigkeitsalters auf 13 Jahre vor.

Sozialdemokraten wollten 2018 keine Militärhilfe haben

Ein möglicher Einsatz des Militärs gegen Gangkriminalität war schon 2018 debattiert und sogar vom damaligen sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven ins Gespräch gebracht worden. Dafür wurde er seinerzeit kabinetts- und parteiintern scharf kritisiert.

In der schwedischen Debatte gilt der Einsatz von bewaffnetem Militär im Inneren seit Mai 1931 fast als Tabu. In Ådalen hatte damals das Militär bei einem Arbeitskonflikt fünf DemonstrantInnen erschossen, die Streikbrecher protestierten. Es gebe keine Pläne, das Militär einzusetzen, stellte Verteidigungsminister Pål Jonson denn auch am Donnerstag klar. Er gehört Kristerssons konservativer Partei an.

Es ist deshalb bisher vor allem von „erweiterter Zusammenarbeit“ bei Logistik und Analyse die Rede. Nach Medienberichten hat die Polizei allein in Stockholm 150 Adressen von Mitgliedern der beteiligten Gangs. Dort könnte es weitere Gewalttaten geben.

Polizeichefin Catrine Kimerius Wikström will die Zahl nicht kommentieren, betont aber, es seien so viele potenzielle „Individuen, die sich in diesen kriminellen Strukturen bewegen und dann auch noch die Angehörigen dieser Personen“, dass es „unmöglich ist, alle ständig unter Beobachtung zu behalten“.

Polizeichefin betont Erfolge und Priorisierung

Man müsse daher priorisieren und sich darauf beschränken „an den verwundbarsten Stellen zu sein und zu versuchen, an die Personen ranzukommen, die im Zentrum dieser Strukturen stehen“.

Zugleich betonte sie am Donnerstag aber auch: „Wir haben nicht die Kontrolle verloren, wir waren noch nie so erfolgreich wie jetzt.“ Die Polizei scheint tatsächlich ein klares Bild der gestiegenen Gangkriminalität zu haben. Waren es in den letzten Monaten vor allem Auseinandersetzungen zwischen zwei kriminellen Netzwerken um den Drogenmarkt, sei es in jüngerer Zeit zu einer internen Spaltung in dem Netzwerk „Foxtrot“ gekommen.

Eine wachsende Zahl von Verbündeten habe sich vom Gangleader Rawa Majid distanziert. Dieser sei immer rücksichtsloser geworden, greife Verwandte an und rekrutiere Kinder, um schwere Gewalttaten zu begehen. Die Spaltung habe zu einem Dreifrontenkrieg geführt, in den auch die Rockergruppe Bandidos verwickelt sei und wo sich Gewalt und Vergeltung in einer Spirale stetig wiederholen.

Türkei lässt Schweden auflaufen – auch wegen Nato

„Die Konflikte sind im Grunde sehr persönlich“, sagt der Kriminologe Sven Granath, wobei sich „eine Rollenteilung bei der Gewalt herausgebildet hat, bei der die anstiftende Person weit vom Ort der Gewaltausübung entfernt sein kann und die Gewalt ausübende Person keine Beziehung zur Zielperson oder dem Ort der Gewaltausübung haben muss“. „Dies ist natürlich eine sehr zynische Situation, bei der die Gewalt sehr blind zuschlagen kann.“

Dabei ist die mutmaßliche Zentralgestalt dieser Gewaltspirale für Schwedens Polizei nicht greifbar. Der im Iran geborene 37-jährige Majid, dessen Eltern als Flüchtlinge nach Schweden kamen und der dort mit acht Jahren Haft vorbestraft ist, lebt seit 2018 in der Türkei. Dort hat er sich 2020 die Staatsangehörigkeit gekauft und wird nun offenbar von einflussreichen Kreisen protegiert.

Ankara verweigert die von Schweden schon länger geforderte Auslieferung Majids nicht nur wegen seiner türkischen Staatsangehörigkeit, sondern offenbar spielt auch die von der Türkei blockierte Nato-Mitgliedschaft Schwedens eine Rolle.

Stockholm übt keinen Druck auf Ankara aus

Stockholm versäumte es, Druck auf die Türkei auszuüben, wirft die Linken-Vorsitzende Nooshi Dadgostar der Regierung vor: „Kein anderes Land würde akzeptieren, dass eine Person, die so viele Menschenleben auf dem Gewissen hat, in der Türkei ein luxuriöses Leben führt und wie ein König lebt, und dass ihre Regierung nichts unternimmt.“

Vize-Ministerpräsidentin und Wirtschaftsministerin Ebba Busch forderte Mitte September, schwedische Hilfsgelder für die Türkei einzufrieren, solange Majid nicht ausgeliefert werde. Sie zog die Forderung aber wieder zurück, als ihr vorgeworfen wurde, damit zusätzlich die Zustimmung Ankaras zu einer schwedischen Nato-Mitgliedschaft zu gefährden.

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