Kampf um soziale Gerechtigkeit in Chile: Demos zum 2. Jahrestag der Proteste

Die vor zwei Jahren geforderte Versammlung zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung ist gestartet. Die Proteste gegen Piñera dauern an.

Tanzende Demonstrantenmit großen weißen Masken.

Anti-Regierungsperformance einer Gruppe von DemonstrantInnen mit Masken in Santiago de Chile Foto: Matias Basualdo/ZUMA Press Wire/dpa

BUENOS AIRES taz | In Chile haben am Montag landesweit zehntausende Menschen mit zahlreichen Kundgebungen und Protestversammlungen an den Beginn der sozialen Revolte vor zwei Jahren erinnert. In der Hauptstadt Santiago waren die Menschen auf der Plaza Italia zusammengekommen, dem traditionellen Versammlungsort für politische und soziale Proteste.

In Sprechchören forderten sie unter anderem die Absetzung von Präsident Sebastián Piñera, der für die damaligen brutalen Übergriffe der uniformierten Einsatzkräfte mitverantwortlich gemacht wird.

Mehrfach kam es auch diesmal wieder zu Rangeleien zwischen Protestierenden und uniformierten Einsatzkräften. Einige Geschäfte wurden geplündert, vereinzelt Barrikaden errichtet. Die befürchteten großen Auseinandersetzungen blieben jedoch aus.

Auslöser der Proteste am 18. Oktober 2019 war eine Anhebung der Preise für U-Bahn-Tickets, die sich rasch zu einer Revolte gegen die soziale Ungleichheit entwickelten. Zugleich wurde die Forderung nach einer neuen Verfassung immer lauter.

Präsident Piñera reagierte mit brutaler Härte: Er verhängte den Ausnahmezustand und schickte Polizei und Militär auf die Straßen. Mindestens 34 Menschen kamen ums Leben. Die Zahl der Verletzten geht in die Tausende. Viele erlitten schwere Kopf- und Augenverletzungen, da die Uniformierten mit Gummigeschossen gezielt in die Gesichter der Protestierenden schossen.

Entsprechend groß war auch jetzt die Furcht vor neuen Übergriffen, zumal am Montag 5.000 Uniformierte allein in der Hauptstadt im Einsatz waren. Vorsorglich war im weiten Umkreis der Plaza Italia alles entfernt worden, was potentiell zum Barrikadenbau hätte verwendet werden können.

Geschäftsleute wurden aufgefordert, spätestens am Nachmittag ihre Läden zu schließen. „Schützen wir das Zusammenleben in unserer Stadt, unsere Nachbarschaften, unsere öffentlichen Räume und den lokalen Handel, der vielen Familien Arbeit und Brot bietet“, appellierte die kommunistische Bürgermeisterin Irací Hassler, die dem Hauptstadtbezirk seit Juni vorsteht.

Während in Chile nach wie vor eine tiefe soziale Ungleichheit herrscht, wurde die Forderung nach einer verfassunggebenden Versammlung erfüllt. Die hatte sich Anfang Juli konstituiert und just am Montag mit der Ausarbeitung der neuen Verfassung begonnen.

„An diesem 18. Oktober beginnt die Debatte über die neue Verfassung. An diesem Tag werden die Kommissionen eingesetzt, die den Verfassungstext schreiben werden“, sagte tags zuvor die Präsidentin des Verfassungskonvents, die Mapuche Elisa Loncon. Sie würdigte die Versammlung als einen immensen Erfolg der sozialen Mobilisierung.

Noch immer gilt in Chile die Verfassung der Pinochet-Diktatur (1973 bis 1990) aus dem Jahr 1980. Sie schreibt de facto den Neoliberalismus als alleinige Wirtschaftsdoktrin fest. Deshalb sind auch knapp über 30 Jahre nach dem Ende der Diktatur noch immer nahezu alle öffentlichen Dienstleistungen in privater Hand, darunter die Bereiche Bildung, Gesundheit, Rentenversicherung und Wasserversorgung.

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