Kanye West und Antisemitismus: Recht hat, wer Erfolg hat

Wegen judenfeindlicher Äußerungen stellt Adidas die Kooperation mit dem Rapper Kanye West ein. Viel zu befürchten haben Reiche wie er nicht.

Kanye West trägt eine Sonnenbrille und zieht eine Schnute

Ist halt reich und darf deshalb alles: Kanye West Foto: Evan Agostini/ap Invision

Hochmut mag vor dem Fall kommen, aber manche Menschen fallen nie – zumindest nicht in ihrer Welt. Kanye West ist so einer, der nicht fallen kann. So kann man es in der Netflix-Doku „Jeen-Yuhs“ sehen. Darin skizziert der Kameramann und Freund von Kanye West, Coodie Simmons, anhand unzähliger Originalaufnahmen den spektakulären Aufstieg eines extrem selbstbewussten Rappers aus Chicago. Als sein Freund am Höhepunkt seiner Karriere immer öfter begann, psychisch auffällig zu werden, entschied sich Simmons dazu, nicht mehr weiter zu filmen. Es fühle sich „nicht richtig an“, diese Zustände zu dokumentieren, sagt er im letzten Teil der Trilogie.

Richtig oder nicht: Eine Welt, in der einer allein entscheiden kann, was über andere dokumentiert wird, gibt es nicht. Oft schon wurde Kanye West wegen verschiedenster Äußerungen auf nahezu allen bekannten Social-Media-Plattformen gesperrt. Er kaufte daraufhin das soziale Netzwerk Parler, das als eine Art Kommunikationszuflucht für Rechte und Konservative in den USA gilt. Ganz ähnlich reagierte US-Präsident Donald Trump, als er bei Twitter gesperrt wurde. Er gründete sein eigenes Netzwerk, „Truth Social“.

„Ich bin ein wenig verschlafen heute Nacht, aber sobald ich wach bin, erkläre ich Alarmstufe Gelb in Bezug auf die Juden“ – so in etwa ließe sich ein mittlerweile gelöschter Tweet Kanye Wests vom 8. Oktober übersetzen, der schon in Originalsprache eher wirr formuliert ist. Wie das verstanden werden kann, was er da schrieb, schien ihm aber bewusst zu sein, denn direkt im Anschluss heißt es: „Das Lustige ist, dass ich eigentlich gar nicht antisemitisch sein kann, weil Schwarze Menschen eigentlich auch Juden sind.“

Es war nicht das erste Mal, dass der Rapper mit antisemitischen Bemerkungen auffiel, und es war nicht das erste Mal, dass er sich im Nachhinein dafür entschuldigte, „falsch verstanden“ worden zu sein. Diesmal nützte das nichts. Nachdem erst die Talentagentur CAA und später das Modelabel Balenciaga verkündeten, die Zusammenarbeit mit dem Künstler einzustellen, stand auch der deutsche Sportartikelhersteller Adidas in der Kritik. West blieb selbstbewusst, wie immer. Noch am 16. Oktober suggerierte er in einem Interview, „jüdische Zionisten“ kontrollierten die Medien. Dann fügte er hinzu: „Ich kann antisemitische Sachen sagen und Adidas kann mich nicht fallen lassen. Was jetzt?“

Zentralrat der Juden forderte Konsequenzen

Das jetzt: Die Kritik wurde lauter, der Zentralrat der Juden forderte von Adidas Konsequenzen. Als sich dann noch der Aktienkurs des Textilherstellers nicht mehr zu erholen schien, stellte Adidas die Kooperation mit West „mit sofortiger Wirkung“ ein – nicht aber ohne darauf hinzuweisen, dass dem Unternehmen dadurch „bis zu 250 Millionen Euro“ Gewinn entgingen.

Während Adidas um seine Profite trauert, müssen Jüdinnen und Juden in den USA um ihr Leben fürchten: Am Wochenende nach Wests Äußerungen ließen Rechtsextreme auf einer Autobahn in Los Angeles „Kanye is right about the Jews“ (frei etwa: „Kanye hat recht mit den Juden“) herab und zeigten den Hitlergruß.

In Beverly Hills tauchten in derselben Woche Flyer auf, die unter anderem darstellen sollten, dass die Coronapandemie ein von Juden gesteuertes Projekt sei. Antisemitismus hat immer reale Konsequenzen, egal wie er „gemeint“ ist. Ohnehin wird es für Jüdinnen und Juden in den USA immer gefährlicher. Erst vergangenen Sonntag meinte Donald Trump, „amerikanische Juden“ sollten „sich zusammennehmen“ und seine Leistungen für Israel honorieren, „bevor es zu spät ist“.

Die Anti Defamation League (ADL), eine US-Menschenrechtsorganisation, die sich gegen Antisemitismus einsetzt, zählte im Jahr 2021 einen Rekordwert an antisemitischen Vorfällen im eigenen Land. Jenem Land, in dem laut Umfragen der ADL fast ein Viertel der jungen Erwachsenen meint, der Holocaust sei ein Mythos, wäre übertrieben oder sie seien sich nicht sicher.

Reiche kommen mit allem durch

Kanye West hat nicht viel zu befürchten. Viel zu weit reicht sein finanzieller und medialer Einfluss. Und viel zu sehr haben sich nicht nur die US-Amerikaner*innen post Trump daran gewöhnt, dass reiche und berühmte Menschen ohnehin mit allem durchkommen, oder schlimmer: dass sehr erfolgreiche Menschen doch so falsch nicht liegen können.

„Wie viel bist du wert?“, fragte West vergangene Woche den britischen Talkshow-Moderator Piers Morgan. „Nicht so viel wie du, traurigerweise“, entgegnete der. West: „Richtig, also nimm meinen Rat an. […] Warum sollte ich auf dich hören?“

Psychisch krank oder nicht: Im Kapitalismus hat recht, wer Erfolg hat. Und wer Erfolg hat, findet einen Weg, seine „Wahrheit“ zu kommunizieren – und kann dann immer noch glauben, die Medien seien gesteuert. Es sind goldene Zeiten für Antisemitismus.

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Seit 2013 freier Journalist, seit 2022 bei der taz. IJP-Fellow (Tel Aviv, 2021). DAAD-Stipendiat (New York City, 2016/17). Themen u.a.: Pop & Punk, Kapitalismus & Kultur, Rechte & Linke. Berlin/Leipzig

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