Katastrophenhelfer, Arzt und Politiker: Wjahat Waraich hilft Geflüchteten

Der Hannoversche SPD-Bezirksbürgermeister Wjahat Waraich ist Arzt und Katastrophenhelfer. Seine Motivation bezieht er aus seiner Familiengeschichte.

Wjahat Waraich steht im Arztkittel zusammen mit mehreren Helferinnen in Schutzkleidung vor dem Zelt seines improvisierten Testzentrums auf einem Parkplatz

Wjahat Waraich vor seinem improvisierten Testzentrum auf einem Parkplatz Foto: Privat

HANNOVER taz | Eigentlich ist Wjahat Waraich schon wieder auf dem Sprung ins nächste Katastrophengebiet – dieses Mal zu den Erdbebenopfern in der Türkei. Aber für ein kurzes Gespräch mit der taz nimmt er sich noch Zeit. Und wenn er von seinen Einsätzen an der ukrainischen Grenze redet, klingt es, als wäre das gestern gewesen.

Zwei Wochen seines Jahresurlaubes reserviert der Gynäkologe für humanitäre Einsätze mit der Organisation „Humanity First“. Im vergangenen Jahr wurden dann doch mehr als drei daraus: Dreimal für jeweils zehn Tage war er an der polnischen Grenze zur Ukraine im Einsatz.

Er sah, wie zuerst die Frauen und Kinder kamen, gezeichnet von der strapaziösen Flucht durch die Kälte, dann die Alten und chronisch Kranken, die länger brauchten, noch später die ersten Rückkehrer*innen, die ihre Gefallenen selbst beerdigen wollten, in ihrer Trauer die Trennung von Heimat und Familie nicht länger aushalten konnten.

Auch als SPD-Bezirksbürgermeister im Hannoverschen Stadtteil Bothfeld-Vahrenheide hat er mit Geflüchteten zu tun. Er ist nach dem Medizinstudium und der Promotion bewusst in sein altes Viertel zurückgekehrt, den Sahlkamp, eines der ärmsten Viertel Hannovers – auch wenn Ärztekollegen darüber die Nase rümpfen.

Keine ganz bruchlose Aufstiegsgeschichte

Er fühlt sich verpflichtet, etwas zurückzugeben, sagt Waraich. Seine Eltern mussten vor der religiösen Verfolgung aus Pakistan fliehen. Und auch wenn er selbst hier geboren sei: Die Erfahrung, wie es ist, alles zu verlieren und in einem fremden Land bei Null anfangen zu müssen, steckt ihm in den Knochen.

Dabei ist die Geschichte seiner Familie auch keine ganz bruchlose Aufstiegsgeschichte: Sein Vater schuftete erst als Torfstecher, dann in der Reinigung von Chemiefässern, dann in der Zeitungsdruckerei der Verlagsgruppe Mad­sack.

Als die geschlossen wurde, entließ man ihn in die Arbeitslosigkeit – keine Chance auf einen neuen Job als Ü50-Jähriger und immer noch studierende Kinder zu versorgen. „Das war keine leichte Zeit für meine Eltern“, sagt Waraich. Und trotzdem: Ein vergleichbarer sozialer Aufstieg wäre für die Familie in Pakistan nie möglich gewesen, sagt er.

Als Corona kam, stampfte er im Stadtteil ein Testzentrum aus dem Boden, half die Impfaktionen zu organisieren – und das alles neben seinem Vollzeitjob als angestellter Arzt.

Bei der Betreuung und Integration der Geflüchteten kann er auf ein breites Netz aus Ehrenamtlichen und die karitativen Einrichtungen vor Ort bauen, sagt er. „Das sind die gleichen Leute, die das schon 2015 gemacht haben. Die waren sofort wieder da, die muss man nicht rufen.“

Trotzdem sieht er auch mit Sorge, dass Städte wie Hannover an ihre Grenzen geraten. „Bezahlbarer Wohnraum, Kita- und Schulplätze – wir haben von allem zu wenig. Das ist eine Riesen-Herausforderung.“ Er wünscht sich – ganz klassischer Sozialdemokrat – mehr staatliches Engagement, zum Beispiel im Bausektor.

Aber auch bei der Förderung von humanitärem Engagement: Sonderurlaub gesetzlich festzuschreiben, wäre hilfreich, sagt er. Oder eine Stiftung, die für bestimmte Kosten aufkommt, immerhin können Sanitäter und Pflegekräfte nicht mal eben so locker auf Teile des Gehaltes verzichten.

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