Kinoempfehlungen für Berlin: Gekannt, gemalt und gefilmt

Filmkunst und Kunst im Film gibt es im Tempelhofer Flughafen. Eine ganze Welt kompletter Künstlichkeit entwirft das Filmmusical „Annette“.

„Loving Vincent“ (2017): Frau am Klavier

„Loving Vincent“ (2017) Foto: THF Cinema

Das THF Cinema in der Abfertigungshalle des ehemaligen Flughafen Tempelhof wird nun auch noch im Februar seine Türen öffnen und hat das Wochenprogramm ab 27.1. unter das Motto „Artfilm and Filmart“ gestellt.

Dazu gehört auch der Animationsfilm „Loving Vincent“ von Dorota Kobiela und Hugh Welchman, die sich rund um das tragische Leben des spätimpressionistischen Malers Vincent van Gogh eine Geschichte ausgedacht haben, in der Armand Roulin (Douglas Booth), der Sohn des Postmeisters von Arles, mit einem Brief des verstorbenen Vincent eine wahre Odyssee an Orte und zu Personen unternimmt, die der Künstler gekannt und gemalt hat.

Basierend auf dem Rotoskopieverfahren nahmen 100 Animatoren und Künstler den ursprünglich mit Schauspielern gedrehten Film als Vorlage, um einen großen Teil der Szenen im Stil van Goghs nachzumalen und entsprechend in bewegte Bilder umzusetzen (27. 1., 20 Uhr, THF Cinema im Flughafen Tempelhof).

Mein Interesse an dem Film „Effigie – Das Gift und die Stadt“ liegt ein Stück weit in meiner Herkunft begründet: Ich stamme aus Bremerhaven, einer mit ihrer Gründung im Jahr 1827 vergleichsweise jungen Stadt, deren Geschichte eng mit der Bremens verknüpft ist.

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Die Stadtgründung kommt tatsächlich gleich in einer der ersten Szenen zur Sprache, allerdings ziemlich low-budget-mäßig: in einem Gespräch dreier Männer auf einer sumpfigen Wiese. Aber das ist auch gar nicht der Kern von „Effigie“: Es geht um den berühmten und historisch verbürgten Kriminalfall der Giftmörderin Gesche Gottfried, die zwischen 1813 und 1827 insgesamt 15 Menschen mit Arsen umbrachte, darunter ihre Eltern, ihren Bruder, drei Kinder, zwei Ehemänner, einen Verlobten sowie mehrere Freun­d:in­nen und Nachbar:innen.

Sie war die letzte Person, die in Bremen öffentlich hingerichtet wurde. Regisseur Udo Flohr macht in seinem auf einem Theaterstück basierenden Film daraus vornehmlich ein Frauendrama, indem er Gesche Gottfried (Suzan Anbeh) die – nicht historische – Figur der Cato Böhmer (Elisa Thiemann) gegenüberstellt, eine junge ambitionierte Protokollantin des Untersuchungsrichters und Senators Droste.

Böhmer ist vergleichsweise privilegiert, Gottfried stammt ursprünglich aus ärmlichen Verhältnissen – aus den verschiedenen Perspektiven zweier Frauen blickt der Film auf eine von Männern dominierte Welt, in der Arroganz, Gewohnheit und Vorurteile einer moderneren Gesellschaft im Wege stehen (27. 1.-2. 2., div. Uhrzeiten, Kino Kiste).

Eine wunderbare Welt kompletter Künstlichkeit entwirft der französische Regisseur Leos Carax in der düsteren, von Russell und Ron Mael (von der Art-Rock-Band Sparks) geschriebenen Pop-Oper „Annette“: Adam Driver als fieser Stand-Up-Comedian Henry und Marion Cotillard als Opernsängerin Ann spielen die Hauptrollen in diesem anspielungsreichen Musical, in dem es um eine aus dem Ruder laufende Liebesgeschichte, um Mord und um eine Rache geht, bei der Annette, das singende Wunderbaby des Paares eine instrumentale Rolle spielt.

Nebenbei erzählt der Film mit Operndramaturgie von Publikumserwartungen, Künstlerexistenzen, Massenmedien, toxischer Männlichkeit, (imaginierten) #metoo-Erfahrungen, aufziehenden Stürmen und Bezügen zum Leben und zur öffentlichen Wahrnehmung von Leos Carax und seiner Tochter Nastya. Es ist ganz schön was los (27. 1.-2. 2., 20.30 Uhr, Bali Kino, 29.-30.1., 14.30, Passage, 2.2., 19.15 Uhr, Filmmuseum Potsdam).

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Lars Penning, geboren 1962. Studium der Publizistik, Theaterwissenschaft und der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Freier Filmjournalist. Buchveröffentlichungen: Cameron Diaz (2001) und Julia Roberts (2003). Zahlreiche filmhistorische und –analytische Beiträge für verschiedene Publikationen. Lebt in Berlin.

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