Klage gegen die Pflegefamilie: Ein Star emanzipiert sich

Die Jugend des NFL-Profis Michael Oher wurde verfilmt. Nun wehrt er sich gegen die Unterstellung, er sei dumm und ohne Weiße könne er nichts.

Szene aus dem Film "Blind Side"

Umstrittene Darstellung: Der Schauspieler Quinton Aaron als Michael Oher in dem Film „Blind Side“ Foto: Cinema Publishers Collection/imago

Es ist bis heute schwer, den Hollywoodstreifen „The Blind Side – Die große Chance“ aus dem Jahr 2009 (USA, Regie: John Lee Hancock) anzuschauen und nicht die eine oder andere Träne zu verdrücken. Zu schön ist das Sportmärchen, das dort mit aller Manipulationskunst der Branche aufgetischt wird.

Der Plot ist rasch erzählt. Eine großherzige weiße Familie aus dem US-amerikanischen Süden nimmt einen obdachlosen schwarzen Jungen zu sich, gibt ihm ein Dach über den Kopf und Zuwendung sowie die Chance auf ein Leben, die er sonst nie gehabt hätte. Der ebenso gutmütige wie simpel gestrickte Junge ergreift die Gelegenheit, schafft die Schule und wird nebenbei zum Star der High-School-Football-Mannschaft.

Am Ende verabschiedet eine rundum glückliche erweiterte Familie den Jungen aufs College und in eine strahlende Zukunft. „Er hat unser Leben verändert“, sagt eine beglückte Sandra Bullock in der Rolle der energischen und vermeintlich uneigennützigen Matriarchin Leigh Ann Tuohy.

Im Vorspann erfährt man, dass die Story auf einer wahren Begebenheit beruhe. Im Abspann wird dann berichtet, dass der Protagonist der Geschichte, Michael Oher, es nach seinem Collegeabschluss in die Profiliga NFL geschafft hat. Heute weiß man, dass Oher dort 35 Millionen Dollar verdiente und mit den Baltimore Ravens einmal den Superbowl gewann.

Michael Oher

„Das hat mir immer nachgehangen. Die Trainer hielten mich für dumm“

Was man bislang nicht so recht wusste, war jedoch, wie Oher selbst seine Jugend bei den Tuohys erlebt hatte. In seiner Autobiografie wiederholte er artig seine Dankbarkeit gegenüber der Familie. Lediglich eine kurze Bemerkung ließ darauf schließen, dass die Geschichte vielleicht komplizierter war. „Leigh Ann Tuohy hat öfter gesagt, dass ich entweder tot oder drogenabhängig wäre, wenn es sie nicht gegeben hätte. Jeder der mich kennt, weiß, dass ich meinen Weg so oder so gemacht hätte.“

Klage wird eingereicht

In den vergangenen Wochen wurde Oher nun deutlicher. Er hat die Tuohys darauf verklagt, die Vormundschaft zu beenden, die sie immer noch besitzen und die ihnen bis heute ein Mitspracherecht bei seinen Lebensentscheidungen einräumt. Es ist eine Klage, welche die christliche Uneigennützigkeit der Familie infrage stellt. Er sei immer in dem Glauben gewesen, man habe ihn adoptiert, sagt Oher.

Die Klage hat eine Welle öffentlicher Auftritte nach sich gezogen, in denen Oher sich lautstark darüber beklagt, wie er in dem Film dargestellt wurde, dessen Drehbuch ein Jugendfreund von Sean Tuohy geschrieben hat. „Ich sehe dort so aus, als wäre ich minderbemittelt.“ In einer Schlüsselszene erklärt der 12 Jahre alte Sohn der Tuohys Oher mit Ketchup-Flaschen taktische Grundbegriffe des Footballspiels. „Das hat mir zeit meiner Karriere nachgehangen. Die Trainer hielten mich alle für dumm.“

Um Geld geht es Oher bei der Klage nicht. Aus den Rechten an der Story haben die Tuohys weniger als 100.000 Dollar bezogen. Das ist kein Betrag, den Oher heute interessiert. Oher rebelliert nur endlich, im Alter von 37 Jahren, gegen das Narrativ, dass er alles, was er ist, der Wohltätigkeit einer weißen Familie zu verdanken habe. Die Touhys, die sich sehr in ihrer Rolle in „The Blind Side“ gefielen, geben sich schockiert.

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