Kommentar zum Fall Walter Lübcke: Das muss ein Wendepunkt sein

Immer wieder wird auch bei schwerster rechtsextremer Gewalt gezögert, das Wort Terrorismus in den Mund zu nehmen.

Die Sonne scheint über dem Eingang zum Bundesgerichtshof (BGH)

Es gibt wohl einen „rechtsextremen Hintergrund“: der Sprecher der Bundesanwaltschaft zum Fall Lübcke Foto: dpa

Noch immer ist vieles unklar im Fall Walter Lübcke. Aber immer deutlicher zeichnet sich ab: Der Mord könnte zu einem Fanal werden. Sollte die Erschießung des CDU-Politikers tatsächlich aus einem rechtsextremen Motiv heraus erfolgt sein, wovon die Ermittler derzeit ausgehen, dann ist das eine Ungeheuerlichkeit. Wir müssen über rechten Terror sprechen, und zwar ganz anders als bisher.

Bereits in den vergangenen Jahren hatte sich die Stimmung im Land stetig hochgeschaukelt. Pegida, AfD und Anti-Asyl-Demonstranten schmähten Politiker als „Volksverräter“, riefen zum „Widerstand“ auf. Im Netz ließen Rechtsextreme ihren Gewaltfantasien freien Lauf. In Köln attackierte ein Rechtsextremer die Oberbürgermeisterkandatin Henriette Reker mit einem Messer, in Altena den CDU-Bürgermeister Andreas Hollstein. Beide wegen ihrer Flüchtlingspolitik.

Auch Walter Lübcke hatte sich klar positioniert – für die Aufnahme von Geflüchteten. Ob dies nun Auslöser für den Mord war, bleibt abzuwarten. Klar aber ist: In dieser Gesellschaft ist etwas losgetreten, was sich nun nur noch schwer einfangen lässt. Wie entfesselt die Hetze inzwischen ist, zeigt sich daran, dass Lübcke selbst nach seinem Tod weiter aufs Infamste beleidigt wurde.

Es gab und gibt Widerspruch, ja. Aber offensichtlich nicht laut genug. Immer wieder wird auch bei schwerster rechtsextremer Gewalt gezögert, das Wort Terrorismus in den Mund zu nehmen – wo es an anderer Stelle schnell gebraucht wird. Dabei haben Rechtsextreme nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie ihren Worten auch Taten folgen lassen. Auf Asylunterkünfte flogen Brandsätze, der NSU mordete zehnfach, und militante Neonazis, etwa von Combat 18, trafen sich zu Schießtrainings.

Bei all dem blieb der Eindruck, dass der NSU-Schock bereits wieder Geschichte ist. Combat 18 bleibt bis heute weitgehend unangetastet. Betroffene auf rechten Feindeslisten wurden von den Behörden über die Bedrohung nicht informiert. Erst nach Chemnitz, als plötzlich Rechtsextreme mit Bürgern zu Tausenden auf der Straße standen und sich eine Kleingruppe mutmaßlich als Rechtsterroristen formierte, schienen die Sicherheitsbehörden aufzuwachen. Vielleicht zu spät.

Diese Halbherzigkeit und Stille müssen jetzt aufhören. Es braucht nicht nur klare Worte, wie sie zuletzt der amtierende Bundespräsident immerhin zu der rechten Hetze gegen Lübcke fand. Es braucht auch ein rigoroses Vorgehen gegen militante Rechte und ihre Strukturen – und auch gegen den digitalen Mob und die verbalen ­Einpeitscher von Pegida bis AfD. Dieser Fall muss ein Wendepunkt sein.

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Redakteur für Themen der "Inneren Sicherheit" und stellvertretender Ressortleiter Inland. Seit 2010 in der taz, anfangs im Berlin-Ressort. Seit 2014 Redakteur in der Inlands-Redaktion. Studium der Publizistik und Soziologie.

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