Kulturmanager über Phantasie: „Wir produzieren Freizeit“

Der Lübecker Thilo Gollan ist Kulturmanager und Recycling-Unternehmer zugleich. Ein Gespräch über Gut und Böse, Zahlen und Bauchgefühl.

Thilo Gollan steht in einer alten Industriehalle

Zwei Jobs: Thilo Gollan macht in Abfall und Kunst Foto: Christiane Schröder

taz: Herr Gollan, wissen Sie noch, was Sie als Kind später arbeiten wollten?

Thilo Gollan: Meine Eltern hatten eine Landwirtschaft und einen Bauhof, wo ich als Kind mitgeholfen habe. Aber in deren Betrieb wollte ich auf keinen Fall einsteigen. Was ich werden will, habe ich mich eigentlich erst gefragt, als ich mit 17 Jahren aus der Schule geflogen bin.

Was hatten Sie denn angestellt?

Das weiß ich gar nicht mehr. Ich habe einfach immer wieder Mist gebaut. Ich habe dann eine Lehre zum Landmaschinen-Mechaniker gemacht und sogar gut abgeschlossen, und die Fachhochschulreife nachgeholt. Damit habe ich an der FH Maschinenbau studiert.

Und wie kamen Sie zur Abfallwirtschaft?

Mein Vater hatte damals ein sehr kleines Bauschutt-Unternehmen: sechs Mitarbeiter, kein Büro, alles auf einem Feld in Mecklenburg. Für diesen Betrieb habe ich als Abschlussarbeit eine Recyclinganlage entworfen.

Dort haben Sie dann weiter gearbeitet?

Ja. Das hat so gut funktioniert, dass wir größer geworden sind und ich ein Unternehmen für Abfallwirtschaft zurückkaufen konnte, das meinem Vater früher einmal gehört hat. Es hat wirklich Spaß gemacht, bis heute. In die Abfallwirtschaft kann man viel Phantasie stecken.

Sind Kulturmanagement und Recycling-Management etwas grundlegend Verschiedenes?

Am westlichen Rand der Lübecker Innenstadt liegt die Roddenkoppel, eines der ältesten Industriegebiete Schleswig-Holsteins.

Auf über 17.000 qm Fläche liegen hier die 100 bis 150 Jahre alten Backsteinhallen einer ehemaligen Werft.

Der Recycling-Unternehmer Thilo Gollan, Jahrgang 1963, hat sie 2014 als Industrieruine gekauft. Seitdem saniert das rund 400 Mitarbeiter starke Unternehmen die Hallen und machte daraus eine der wichtigsten Veranstaltungs-, Ausstellungs- und Messelocations im Norden.

In beiden Bereichen sind wir Dienstleister – wir leisten einen Dienst. Aber Kultur ist ein ganz anderes Thema, da muss man sich reindenken. Wir produzieren Freizeit, das ist natürlich interessanter. Kultur hat Ausstrahlung.

Kulturmanager, das hat schon mehr Glamour als Schrotthändler, oder?

Ja, auf jeden Fall. In der Abfallwirtschaft sind wir die Bösen, während Kunst ja viel mit Phantasie und Kreativität zu tun hat. Die wird aber beim Recycling genauso gebraucht. In beiden Bereichen muss ich Menschen führen, die Zahlen im Blick haben, mich behaupten. Wir fühlen uns als Start-up. Alles ist neu, und wir haben sehr viel Spaß und sind ein grandioses Team, übrigens im gesamten Unternehmen. Die Kulturwerft wäre so nicht möglich, wenn nicht der ganze Betrieb dahinter stehen würde. Die Mitarbeiter aus allen Bereichen sind deshalb auch zu unseren Konzerten eingeladen.

Sie hatten die alte Industrieruine eigentlich für Ihr Recycling-Unternehmen aus einer Insolvenzmasse gekauft. 2014 hatten Sie eine der Hallen für das 60. Firmenjubiläum schick gemacht.

Das Jubiläum hier zu machen, war die Idee meiner Frau. Am Anfang war ich damit gar nicht glücklich, weil es wirklich ruinös war: Die Dächer waren eingefallen, es gab nichts außer den Wänden und vielen Altlasten. Ich bin ein Mensch, der nicht immer rechnet. Das mache ich natürlich auch, aber vieles entscheide ich aus dem Bauch heraus. Damals habe ich mich nicht hingesetzt und durchgerechnet, was das eigentlich alles kosten wird. Gut so, sonst hätte ich es nicht gemacht.

Wie kam es zu der Entscheidung, die frühere Werft als Kulturort aufzubauen?

Es gab keinen Punkt, wo wir gesagt haben: Jetzt machen wir Veranstaltungen. Das ist mit uns passiert. Die Nachfrage war da, und daraus entwickelten sich die ersten Schritte in Richtung Veranstaltungsstätte.

Wie entsteht dann aus einer Ruine ein Konzertsaal?

Ich bin jemand, der in Bildern denkt. Ich sehe mir die Orte hier an und stelle mir etwas vor. Ich habe Architekten im Betrieb, die sagen mir dann, was nicht geht, und am Ende entwickeln wir eine Idee, die funktioniert. Das Schöne ist, dass wir alle Gewerke im Betrieb haben: Hochbau, Tiefbau, Zimmerei, Tischlerei. Eigentlich haben die Hallen uns gefunden und nicht umgekehrt.

Sie sind auch im Immobiliengeschäft aktiv und können einschätzen, was es bedeutet, mehr als fünf Hektar Ruine zu sanieren. Macht Ihnen diese Verantwortung manchmal Angst?

Verantwortung bin ich gewohnt. Aber wir haben von Anfang an gesagt: Wir können das nur machen, wenn wir damit auch Geld verdienen. Es ist eine gewaltige Aufgabe.

Schon nach kurzer Zeit hatten Sie pro Woche zwei größere Veranstaltungen in der Kulturwerft.

Das hat uns selbst total überrascht. Der Bedarf schien und scheint noch immer absolut da zu sein: Wir sind jetzt im Dezember bereits bis Ende kommenden Jahres ausgebucht, was unheimlich erfreulich ist.

Es gibt hier Hip-Hop und Klassik, Kinderkonzerte, Schlager, Vernissagen, Abibälle und Handarbeitsmessen, etwa zwei Veranstaltungen die Woche. Wer stellt das Programm zusammen, gibt es ein Konzept?

Die Veranstalter kommen auf uns zu und buchen die Hallen. Bei einem Teil der Veranstaltungen sind wir mittlerweile selbst Veranstalter. Das kann auch kontrovers sein: Wenn ein Künstler wie Jonathan Meese hier seine Performance macht, kann man herzlich darüber streiten – aber das soll man ja auch.

Sie haben Musikgrößen wie 5 Sterne Deluxe hergeholt, Jethro Tull und Doro, im Jahr 2017 fand die Wahlarena mit Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) statt. Kommen solche Promis über Kontakte oder wegen der Location?

Wenn wir einen bekannten Künstler herholen wollen, kostet der immer eine Summe X. Jethro Tull zum Beispiel ist eigentlich zu groß für diese Halle, eigentlich müsste ich für diesen Künstler viel mehr Sitzplätze haben, damit sich das rechnet. Manche sagen, sie spielen lieber in Hamburg, weil der Markt in Hamburg größer ist. Und viele Agenturen kannten uns nicht, aber das ändert sich gerade, was es einfacher macht. Wir müssen also über die Schwelle Lübeck kommen, über die Schwelle Geld und wir müssen die Veranstaltung selber durchführen, denn dieses Risiko trägt sonst keiner.

Ist die Kulturwerft ein Zuschussgeschäft?

Wir investieren gerade sehr viel, zum Beispiel in Technik und in Formate wie das Werft-Open-Air oder das Stereopark-Indoor-Festival. Auch in dieser Hinsicht sind wir ein Start-up: Wenn ich 500 Stühle kaufe, ist es gar nicht möglich, die Abschreibung sofort zu verdienen. Aber das Ziel muss sein, dass sich das trägt.

Die Kulturwerft liegt am Rand der Altstadt in einem Viertel, wo es nicht viel Kultur gibt.

In den letzten Jahren ist viel passiert mit diesem Teil der Stadt und die Entwicklung dauert an. Uns trennen nur 80 Meter Wasserlinie von der Altstadt, die Lage ist sehr attraktiv, das wird aber noch zu wenig genutzt. Und natürlich wünschen wir uns hier eine Brücke zur nördlichen Wallhalbinsel.

Welche Pläne haben Sie mit der Kulturwerft?

Wir möchten, dass hier eine Begegnungsstätte entsteht. Das Schleswig Holstein Musikfestival ist schon hergekommen und wir würden uns mehr Mieter wünschen, die zum Thema Kreativität passen. Außerdem planen wir langfristig ein Restaurant und eine Art Mall, wo Künstler ihre Werke präsentieren können, vielleicht mit offenen Werkstätten und einem Hotdog-Stand. Hier soll ein Kulturkiez entstehen, von wo Neuigkeiten nach oben sprießen wie die Pilze im Wald.

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