Lange Kinofilme: Viel hilft nicht immer viel

Unser Autor hasst überlange Filme und von denen gibt es immer mehr. Wie kam es zu dieser Entwicklung und was macht gute Geschichten wirklich aus?

Frau mit Hut schläft allein im Kino

Dieser Film war definitiv zu lang(weilig) Foto: imagebroker/imago

Kürzlich suchte eine Kollegin Abnehmer für 2 Theatertickets. Sie schrieb: „Vernon Subutex heute Abend an der Schaubühne. 19 – 23.15 Uhr mit Pause“. Ich las mir gar nicht erst die Kritiken durch oder suchte nach einer Begleitung. Denn 4 Stunden und 15 Minuten will ich auf keinen Fall im Theater sitzen.

Ähnlich ist es, wenn mich FreundInnen fragen, ob ich mit ins Kino will. Egal, welcher Film es ist, ich google mittlerweile stets zuerst die Längenangabe. Bei einer Filmlänge bis zu 90 Minuten sage ich ohne weitere Recherche zu. Bei weniger als 140 Minuten fahre ich mit der Inhaltsangabe fort und entscheide nach Interesse und Kritiken. Bei über 140 Minuten schließe ich den Tab und tippe ins Handy: „Nee, ist mir zu lang.“ Das mag sich wie eine leidenschaftslose Absage an die Kultur lesen, aber ich hasse ausufernde Veranstaltungen. Und überlange Filme sind besonders schlimm.

Früher gab es rationale – sprich: kapitalistische – Gründe für normal lange Kinofilme. Das Material, etwa Filmrollen, war in der Frühzeit des Kinos teuer. Weil man die Kosten für längere Filme nicht einfach auf die Kun­dInnen umlegen konnte oder wollte, beschränkte man sich. Und auch die Zweitverwertung in Videotheken forderte ab den 1970er Jahren dank VHS-Kassetten, die zunächst nur zwei Stunden Film fassten, eine zeitliche Beschränkung. Die Digitalisierung sprengte diese Grenzen. Seitdem wird rausgeballert. Ein paar Beispiele: Der neue „Mission: Impossible“: 164 Minuten. „Avatar: The Way of Water“: 192 Minuten. Martin Scorseses „Killers of the Flower Moon“: 206 Minuten. 206 Minuten, das sind 3,4 Stunden!

Entgangene Highlights

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Gleichzeitig führt die Digitalisierung (Gruß an alle Kulturpessimisten) nicht nur bei mir zu einer geringeren Aufmerksamkeitsspanne. Aber statt auf diese gesellschaftliche Entwicklung einzugehen, setzt das Kino auf Blockbuster weit jenseits einer ertragbaren Länge.

Laut einer Untersuchung vom Oktober 2023 des Economist mit über 100.000 Filmen ist die Laufzeit seit den 1930ern um 32 Prozent gestiegen. Bei den 10 jeweils erfolgreichsten Filmen des Jahres um fast 50 Prozent auf im Schnitt 150 Minuten.

Mag sein, dass mir durch meine Abneigung überlanger Filme einige Highlights entgehen. Seit Wochen überlege ich, doch noch „Anatomie eines Falls“ (151 Minuten) zu sehen, alle lieben ihn. Aber ich bin letztlich auch nicht in „Oppenheimer“ (180 Minuten) gegangen, sondern in „Barbie“ (114 Minuten), obwohl der biografische Historienfilm bei den Oscarverleihungen 2024 dreizehn Mal nominiert war und sieben Mal ausgezeichnet wurde. Ich halte es eben einfach selten drei Stunden im Kinosessel aus.

Was gute Geschichten ausmacht

Und zwar nicht, weil ich den Blick aufs Smartphone vermissen würde. Auch die Kinositze erschienen mir zuletzt recht bequem, manchmal kann man sie sogar nach hinten fahren. Nein, das Problem ist einzig und allein die unerträgliche Länglichkeit des Films.

Selten trägt ein Film über 140 Minuten. Gute Geschichten arbeiten mit Auslassungen, lassen Raum für Interpretation. Gute Geschichten fokussieren sich aufs Wesentliche und präsentieren dem Publikum keine Busladung voller ProtagonistInnen, denen man bis ins Detail ihrer Biografien folgen muss. Gute Geschichten lassen sich auch in 130 Minuten erzählen.

Das Credo vieler Regisseure hingegen scheint zu sein: Ich habe was zu sagen, seht her, was ich alles kann, ich biete euch viel für euer Geld. Doch als Journalist weiß ich: Kürzen hilft. Immer. Oft fragen KollegInnen, ob ihr Artikel wenigstens online länger sein dürfe, im Internet sei ja viel Platz. Aber dort gilt genau wie auf der Leinwand: Nur, weil irgendwo Raum ist, muss man ihn noch lange nicht füllen. Und man kann das Kino stattdessen endlich mal wieder zufrieden um 22.20 Uhr verlassen und zeitig ins Bett.

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Jahrgang 1984, hat Journalistik und Soziologie in Leipzig studiert. Seit 2009 ist er bei der taz. Nach seinem Volontariat war er Redakteur in der sonntaz, bei taz.de, bei taz2/Medien und im Inlandsressort. Jetzt Ressortleiter der wochentaz.

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